Landwirtschaftliche Berufsgenossenschaft Baden-Württemberg zwingt private Grundstückseigentümer zu Abgaben
Siegfried Schwarz ist selbstständiger Rechtsanwalt und bewohnt mit seiner Ehefrau ein Anwesen, auf dem er auch seine Kanzlei betreibt. Das Anwesen mit einer Größe von 18 Ha, bestehend aus zwei Grundstücken, hatte seine Ehefrau, Astrid Schwarz, am 29.06.2005 erworben. Kurze Zeit nach dem Erwerb wurde Frau Schwarz von der landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaft Baden-Württemberg um Auskunft darüber gebeten, in welcher Weise das Grundstück seit dem Erwerb bewirtschaftet oder gepflegt werde.
Die landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaften (LBG) bilden mit den landwirtschaftlichen Alterskassen, den landwirtschaftlichen Krankenkassen und Pflegekassen die landwirtschaftliche Sozialversicherung (LSV). Die landwirtschaftliche Sozialversicherung ist das Pendant zur allgemeinen gesetzlichen Sozialversicherung. Die Hauptaufgabe einer landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaft ist die Unfallversicherung von selbständigen Landwirten und den Arbeitnehmern sowie arbeitnehmerähnlichen Personen in land- und forstwirtschaftlichen Unternehmen. Versicherungsfälle sind wie auch in der allgemeinen gesetzlichen Unfallversicherung Arbeitsunfälle, Wegeunfälle und Berufskrankheiten in kausalem Zusammenhang mit dem Unternehmen. Versichert sind der landwirtschaftliche Unternehmer selbst, der Ehegatte oder Lebenspartner des Landwirts und andere Personen.
Anwalt soll in die landwirtschaftliche Berufsgenossenschaft Baden-Württemberg einzahlen, weil er auf dem Grundstück seiner Ehefrau 2 Mal im Jahr den Rasen mäht
Herr Schwarz beantwortete die Anfrage der landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaft, indem er mitteilte, die Flächen würden als Wiese/Weide genutzt und lediglich ab und zu gemäht. Mit Bescheid vom 26.08.2005 stellte die landwirtschaftliche Berufsgenossenschaft Baden-Württemberg ihre Zuständigkeit als Unfallversicherungsträger fest. Denn Herr Schwarz führe ein land- und forstwirtschaftliches Unternehmen und daher seien sowohl er als auch seine Ehefrau nunmehr beitragspflichtig. Über die Unfallversicherungsbeiträge hinausgehend müssten sie nun monatlich weitere 242 € pro Person in die Alterskasse einzahlen zuzüglich der Beiträge für die Krankenkasse.
Herr Schwarz erhob gegen den Bescheid Widerspruch und machte darin geltend, es existiere bereits kein Unternehmen, da das Grundstück ausschließlich privat genutzt werde und weder Gewinn erzielt werde noch eine Gewinnabsicht bestünde. Die landwirtschaftliche Berufsgenossenschaft wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 18.11.2005 mit der Begründung zurück, ein landwirtschaftliches Unternehmen läge vor, weil ein land- und forstwirtschaftliches Grundstück bewirtschaftet oder gepflegt werde.
Herr Schwarz erhob gegen diesen Bescheid am 24.11.2005 beim Sozialgericht Konstanz Anfechtungsklage. Er begründete die Klage damit, dass die Existenz des landwirtschaftlichen Unternehmens eine Erfindung der landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaft sei. Da kein Unternehmen existiere, gäbe es auch keinen Unternehmer. Insofern von „bewirtschaften“ die Rede gewesen sei, habe er damit lediglich „Rasen mähen“ gemeint.
Die Klage wurde mit Urteil vom 21.11.2007 vom Sozialgericht Konstanz mit der Begründung abgewiesen, Herr Schwarz betreibe ein landwirtschaftliches Unternehmen. Denn auf dem Grundstück würden Pferde gehalten und der Boden zur Futtergewinnung bewirtschaftet. Schon aufgrund der Größe des Anwesens sei dabei von einem Arbeitsaufwand anzugehen, der die Geringfügigkeitsgrenze überschreite. Auf eine Gewinnerzielungsabsicht komme es nicht an. Herr Schwarz sei daher ein landwirtschaftlicher Unternehmer.
Anwalt gewinnt Berufung vor dem Landessozialgericht Baden-Württemberg
Herr Schwarz legte gegen das Urteil beim Landessozialgericht Baden-Württemberg Berufung ein. Das Gericht gab Herrn Schwarz Recht. Zwar käme es bei der Beurteilung, ob es sich um einen Unternehmer handele, tatsächlich nicht auf eine Gewinnerzielung bzw. eine solche Absicht an. Vielmehr sei jede Tätigkeit geeignet, ein Unternehmen im Sinne der gesetzlichen Unfallversicherung zu begründen. Die Tätigkeit müsse nur darin bestehen, dass mit dem Boden in irgendeiner Weise gewirtschaftet werde. Für eine Einordnung als landwirtschaftliches Unternehmen reiche es daher zwar aus, wenn Herr Schwarz nur 2 Mal im Jahr eine geringfügige Fläche mähe. Jedoch sei gemäß § 136 III Nr. 1 SGB VII nur derjenige Unternehmer, dem das Ergebnis des Unternehmens unmittelbar zum Vor- oder Nachteil gereicht, der mithin das Unternehmensrisiko trägt. Dies kann auch der Besitzer eines Grundstückes sein, der auf eigene Rechnung Tätigkeiten verrichtet oder verrichten lässt. Die Ehefrau des Herrn Schwarz hätte das Grundstück jedoch nur aus Liebhaberei erworben, nämlich um darauf ihren Hobbys, der Haltung von Pferden und Hunden, nachgehen zu können. Angesichts dieser Zweckbestimmung und in Anbetracht der tatsächlichen Nutzung des Anwesens, so das Gericht in seinem Urteil, ist nicht ersichtlich, dass das Ergebnis des Unternehmens dem Herrn Schwarz unmittelbar zum Vor- oder Nachteil gereicht. Auch ließen die Angaben der Ehefrau des Herrn Schwarz nicht den Schluss zu, dieser betreibe auf dem Anwesen seiner Ehefrau eine Bodenbewirtschaftung auf eigene Rechnung.
Der Bescheid der landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaft war somit rechtswidrig. Herr Schwarz muss nichts in die Kassen einzahlen.
„Für mich verstößt das Verhalten der landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaft eindeutig gegen Artikel 9 des Grundgesetzes!“
Herr Schwarz kritisiert, dass Grundstückseigentümer, die ihre Grundstücke nur zu privaten Zwecken nutzen und bewirtschaften oftmals in die Kassen einzahlen müssen. Da sie die Grundstücke nur privat nutzen, erwerben sie trotz ihrer Einzahlungen keine Ansprüche, da es ja wegen der privaten Nutzung gerade nicht zu Berufsunfällen mit entsprechenden Leistungen kommen kann.
Herr Schwarz geht davon aus, dass sehr viele andere Privatpersonen in die landwirtschaftlichen Sozialkassen einzahlen müssen, obwohl sie nicht landwirtschaftlich tätig sind. „Es ist geradezu unerhört, dass an die fiktive Tätigkeit als landwirtschaftlicher Unternehmer zugleich Mitgliedschaften in der landwirtschaftlichen Alterskasse sowie in der Krankenkasse bzw. Pflegekasse zwangsläufig geknüpft sind. Absurd wird es, wenn dies dann auch noch für die Ehegatten des – nicht existenten – Unternehmers der Landwirtschaft zwangsweise gilt. Für mich verstößt das Verhalten der landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaft Baden-Württemberg eindeutig gegen Artikel 9 des Grundgesetzes, der die Koalitions- bzw. Vereinigungsfreiheit gewährt.“
Gerne hätte Rechtsanwalt Schwarz die landwirtschaftliche Berufsgenossenschaft Baden-Württemberg insgesamt zur Strecke gebracht, doch hierfür fehlte ihm die Klagebefugnis, weil er nun ja nicht mehr Mitglied in ihr war.
Herr Schwarz wurde mit dem hier dargestellten Fall für den „Werner-Bonhoff-Preis-wider-den-§§-Dschungel“ 2013 nominiert.
Stand der Falldarstellung: 12/2012