Malerbetrieb wehrt sich gegen überholtes Urlaubskassenverfahren
Herr Steinert wurde mit dem hier dargestellten Fall für den Werner-Bonhoff-Preis-wider-den-§§-Dschungel 2015 nominiert.Hilmar Steinert ist Inhaber und Geschäftsführer des Familienbetriebs „Malerwerkstätten Hilmar Steinert GmbH & Co. KG“ aus Limbach-Oberfrohna bei Chemnitz. Die Firma wurde im Jahr 1949 von seinem Vater gegründet und geführt, bis Herr Steinert sie 1976 übernahm und sie 2005 in eine GmbH & Co. KG umwandelte. Der Betrieb beschäftigt heute 70 festangestellte Mitarbeiter und führt überwiegend Maler- und Tapezierarbeiten durch. Herr Steinert wehrt sich gegen die Zwangsmitgliedschaft in der sog. Urlaubskasse Maler, die weder seinem Betrieb noch seinen Mitarbeitern von Nutzen ist. Die Urlaubskasse wurde zur Absicherung der Urlaubsansprüche von Arbeitnehmern im Malergewerbe geschaffen. Herr Steinert gewährt seinen Mitarbeitern regulär ihren Urlaub. Trotzdem muss er monatlich Beiträge in die Urlaubskasse einzahlen, die er sodann nur unter hohem bürokratischem Aufwand zurückerstattet bekommt.
Herr Steinert kritisiert in erster Linie den Liquiditätsabfluss, der seinem Malerbetrieb durch das Urlaubskassenverfahren für das Malergewerbe entsteht. Das Verfahren verpflichtet die Betriebe, durch die monatliche Beitragszahlung in Höhe von 12,35 % des Bruttoarbeitslohns in Vorleistung zu treten, selbst wenn dem Arbeitnehmer gegenüber Urlaub gewährt wird. Zwar wird in diesem Fall dem Arbeitgeber die ausgezahlte Urlaubsvergütung zurückerstattet, jedoch nur auf Antrag unter der Voraussetzung, dass das Beitragskonto zum Zeitpunkt der Geltendmachung des Anspruchs ausgeglichen ist. Der genaue Betrag des jeweiligen Beitrags für jeden einzelnen Mitarbeiter muss von den Betrieben selbst monatlich berechnet und abgeführt werden. Die Höhe der Rückerstattung wird sodann von der Urlaubskasse berechnet. Aufgrund der strengen Formalisierung des Erstattungsverfahrens dauert die Rückerstattung Wochen.
Auf der anderen Seite klagte die Urlaubskasse im Falle von Herrn Steinert rückständige Beiträge vor dem Arbeitsgericht Wiesbaden ein, obwohl der Betrieb Rückerstattungsansprüche hatte. Nach Angaben des „Arbeitgeberverband für Maler und Lackierer in Deutschland e.V.“ führt die Urlaubskasse jährlich zwischen 8.000 und 10.000 Verfahren gegen Malerbetriebe am Arbeitsgericht Wiesbaden (Anm.: insoweit der nach dem Tarifvertrag ausschließliche Gerichtsstand). Das Geld fehlt den Betrieben in diesem Zeitraum. Herr Steinert sagt, dass diese Praxis der Urlaubskasse bei ihm bereits einige Male zu Liquiditätsengpässen geführt habe, die im Zusammentreffen mit Zahlungsausfällen bei einigen seiner Schuldner zu einer erheblichen Existenzgefährdung geführt hätten.
Zwangsmitgliedschaft in der Urlaubskasse durch Allgemeinverbindlichkeit des Tarifvertrags
Für das Maler- und Lackierergewerbe gilt der „Tarifvertrag über das Verfahren für den Urlaub und die Zusatzversorgung im Maler- und Lackiererhandwerk“ (VTV).
Tarifvertrag über das Verfahren für den Urlaub und die Zusatzversorgung im Maler- und Lackiererhandwerk (VTV)
Von den Tarifparteien des VTV, nämlich die Arbeitgeberverbände im Maler-Lackiererhandwerk, vertreten durch den Bundesverband Farbe Gestaltung Bautenschutz sowie die IG Bau auf Arbeitnehmerseite, wurde in den 1970er Jahren die „Gemeinnützige Urlaubskasse für das Maler-Lackiererhandwerk e.V.“ sowie die „Zusatzversorgungskasse des Maler-Lackiererhandwerks“ geschaffen (uk/zvk). Bei der uk handelt es sich um einen eingetragenen Verein, dessen erklärtes Ziel es ist, den Arbeitnehmern einen zusammenhängenden Jahresurlaub zu gewähren. Die zvk ist ein Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit (VVaG) mit dem Zweck, den Arbeitnehmern zusätzliche Leistungen zu der gesetzlichen Rentenversicherung zu gewähren. Vorstands- und Aufsichtsratsmitglieder beider Vereine sind identisch.
Die unter den Tarifvertrag fallenden Betriebe des Malergewerbes müssen zusätzlich zu den üblichen Lohnkosten monatlich Beiträge an die Sozialkasse zahlen und zwar 12,35 % der Bruttolohnsumme für jeden gewerblichen Arbeitnehmer für die uk und 2% für die zvk. Für die sonstigen Angestellten fällt lediglich der Beitrag zur zvk an (Stand: 01/2015).
Durch die monatlichen Beiträge, die sich auf den monatlichen Bruttolohn des jeweiligen gewerblichen Arbeitnehmers beziehen, wird der Urlaubsanspruch des Arbeitnehmers quasi durch eine Art Kaution in voller Höhe bei der Urlaubskasse abgesichert. Somit ist ihr Urlaub auch bei häufigem Arbeitsplatzwechsel – der laut Urlaubskasse in der Branche üblich sei – innerhalb eines Jahres gesichert. Zahlt der Arbeitgeber an seinen Arbeitnehmer den Urlaubslohn aus, kann er diesen Beitrag von der Urlaubskasse erstattet verlangen. Diesen Anspruch muss er im Einzelfall geltend machen. Die Erstattung erfolgt nur unter der Voraussetzung, dass das Beitragskonto zum Zeitpunkt der Geltendmachung ausgeglichen ist.
Herr Steinert ist nicht Mitglied einer Innung und damit auch nicht Mitglied des Bundesverbands Farbe Gestaltung Bautenschutz. Der Tarifvertrag über das Urlaubskassenverfahren hat jedoch auch für nicht tarifgebundene Arbeitgeber Gültigkeit, da er vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) auf Grundlage von § 5 Tarifvertragsgesetz für allgemeinverbindlich erklärt wurde. In der Folge müssen alle Malerbetriebe im Bundesgebiet Beiträge an die Urlaubskasse Maler zahlen, mit Ausnahme der Betriebe im Saarland (dazu später mehr).
Was bedeutet allgemeinverbindlich?
Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) kann auf Antrag der Tarifparteien und auf Grundlage des § 5 Tarifvertragsgesetz im Einvernehmen mit einem aus je drei Vertretern der Spitzenorganisationen der Arbeitgeber und Arbeitnehmer bestehenden Ausschuss (Tarifausschuss) auf gemeinsamen Antrag der Tarifparteien Tarifverträge für allgemeinverbindlich erklären. Dies hat zur Folge, dass die Rechtsnormen des Tarifvertrages auch für die bisher nicht tarifgebundenen Arbeitgeber und Arbeitnehmer im Geltungsbereich Gültigkeit haben.
Hierzu mussten bis vor kurzem mindestens 50% der unter den Geltungsbereich des Tarifvertrages fallenden Arbeitnehmer von tarifgebundenen Arbeitgebern beschäftigt werden. Mit dem am 16. August 2014 in Kraft getretenen Tarifautonomiestärkungsgesetz wurden die Voraussetzungen der Allgemeinverbindlicherklärung geändert und die 50%-Regelung abgeschafft. Nach dem neuen § 5 Abs. 1 kann das BMAS nun einen Tarifvertrag auf gemeinsamen Antrag der Tarifvertragsparteien für allgemeinverbindlich erklären, allein „wenn (dies) im öffentlichen Interesse geboten erscheint“.
Versuch, aus dem Beitragszwang auszutreten
Herr Steinert ist mit dem Urlaubskassenverfahren nicht einverstanden. Er nennt es „die kleine Schwester der SOKA-Bau“. Da seine 70 Mitarbeiter alle bei ihm fest angestellt sind und ihren Urlaub ganz „normal“ arbeitsvertraglich gewährt bekommen, sieht der Malermeister kein Schutzbedürfnis. Er erklärte nach Rücksprache mit seinen Mitarbeitern am 29. Mai 2012 schriftlich seinen „Austritt“ aus der Urlaubskasse Maler und stellte die monatlichen Beitragszahlungen ein. Seither verklagt ihn die Urlaubskasse immer wieder vor dem Arbeitsgericht Wiesbaden auf Abgabe der entsprechenden Meldungen bzw. zur Zahlung der Beiträge für seine 70 Angestellten.
Kritik an der Allgemeinverbindlicherklärung
Herr Steinert hat im Gerichtsverfahren gegen die Urlaubskasse Maler vorgetragen, dass die Voraussetzungen für die Allgemeinverbindlicherklärung nicht vorgelegen hätten und diese daher rechtswidrig sei. Insbesondere sei die Mehrheit der Malerbetriebe in der Bundesrepublik aus unterschiedlichen Gründen nicht Mitglied im Bundesverband Farbe. Das vom Gesetzgeber für die Allgemeinverbindlichkeit geforderte 50%-Quorum sei somit nicht erreicht gewesen. Herr Steinert bezog sich dabei auf einen Auskunftsbescheid des BMAS, den er auf Grundlage des Informationsfreiheitsgesetzes beantragt hatte. Das BMAS zieht in diesem Bescheid zum Beweis der Voraussetzung des 50%-Quorums Zahlen der Urlaubskasse selbst heran. Die Urlaubskasse sei ja aufgrund der langjährigen Allgemeinverbindlicherklärung bereits verpflichtet gewesen, alle Betriebe im Tarifgebiet zu erfassen. Das Gericht entschied zu Ungunsten von Herrn Steinert und bejahte das Vorliegen der Voraussetzungen der Allgemeinverbindlicherklärung. Die Richter teilten die Auffassung des BMAS, das Zahlenmaterial der Urlaubskasse sei in zulässiger Weise herangezogen worden und bestätige das Vorliegen des 50%-Quorums.
Seit Inkrafttreten des sog. Tarifautonomiestärkungsgesetztes im Sommer 2014 können mittlerweile schon Tarifverträge für allgemeinverbindlich erklärt werden, deren Tarifparteien nur eine Minderheit der Branche vertreten. Die 50%-Hürde wurde gestrichen (siehe Hinweis oben).
Nach § 5 Abs. 1 S. 1 Tarifvertragsgesetz erscheint die Allgemeinverbindlicherklärung in der Regel im öffentlichen Interesse geboten, wenn
1. der Tarifvertrag in seinem Geltungsbereich für die Gestaltung der Arbeitsbedingungen überwiegende Bedeutung erlangt hat oder
2. die Absicherung der Wirksamkeit der tarifvertraglichen Normsetzung gegen die Folgen wirtschaftlicher Fehlentwicklung eine Allgemeinverbindlicherklärung verlangt.
BMAS und Tarifausschuss haben hierbei einen weiten Beurteilungsspielraum. Gerade in Hinblick auf die Wirkung der Allgemeinverbindlichkeit müssen hier sämtliche Interessen berücksichtigt werden, gerade auch die der nicht tarifgebundenen Betriebe und Arbeitnehmer, damit die Balance zwischen positiver und negativer Koalitionsfreiheit gewahrt wird.
Im oben bereits erwähnten Verfahren vor dem Arbeitsgericht Wiesbaden begründet das BMAS das öffentliche Interesse mit der „Funktionsfähigkeit der Urlaubskasse“, die ohne Allgemeinverbindlicherklärung gefährdet wäre. Das Urlaubsverfahren ermögliche den Arbeitnehmern auch dann zusammenhängenden Urlaub, wenn das Beschäftigungsverhältnis mehrmals im Jahr gewechselt werde. Aufgrund der angeblich hohen Fluktuation der Arbeitsverhältnisse im Malergewerbe sei dies nötig. Zahlen, die eine fortdauernd hohe Fluktuation im Malergewerbe belegen würden, nennt das BMAS jedoch nicht. Es bezieht sich lediglich auf einen Kurzbericht des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung aus dem Jahr 2009, welcher die „nach wie vor hohe Fluktuation der Arbeitsverhältnisse im Maler- und Lackierergewerbe als Teil des Baugewerbes“ belegen soll. Der Bericht spricht allerdings nur vom Baugewerbe im Allgemeinen.
Herr Steinert stellt das tatsächliche Vorliegen dieser „nach wie vor hohen“ Fluktuation in Frage. Aus seinen Erfahrungen aus der Praxis ist diese Annahme nicht mehr zeitgemäß. Gemeinsam mit dem Arbeitgeberverband für Maler und Lackierer in Deutschland e.V.“ (AMLD) hat er die Beobachtung gemacht, dass sich die Arbeitswelt in den letzten 20 Jahren verändert hat. Ein Malerbetrieb verfüge in der Regel über einen kleinen festen Personalstamm, der ganzjährig beschäftigt ist. Bei auftretenden Auftragsspitzen werde der erhöhte Personalbedarf über Leiharbeit oder Subunternehmer aufgefangen. Das Arbeitsgericht Wiesbaden folgte jedoch der Begründung des BMAS und stellte die Begründung der Allgemeinverbindlichkeit nicht in Frage.
Öffentliches Interesse an der Allgemeinverbindlichkeit trotz Ausnahme für das Saarland?
Darüber hinaus führt Herr Steinert an, dass sich der Geltungsbereich des Tarifvertrags und somit auch die Allgemeinverbindlicherklärung, auf das gesamte Bundesgebiet mit Ausnahme des Saarlands erstrecken. Wenn allerdings das öffentliche Interesse die Notwendigkeit einer Allgemeinverbindlichkeit rechtfertige, müsse doch das Saarland eingeschlossen sein. Aus der Tatsache, dass die Tarifparteien des Saarlandes dem Anschein nach keine Notwendigkeit für ein Urlaubskassenverfahren sehen, folge die Frage, warum diese Notwendigkeit dann zwingend im restlichen Bundesgebiet gegeben sein solle. Das Gericht führt diesbezüglich lediglich aus, den Tarifparteien stehe es frei, den räumlichen Geltungsbereich von Tarifverträgen festzulegen. Die Beantragung einer Allgemeinverbindlichkeit könne daher auch nur für den jeweiligen räumlichen Geltungsbereich erfolgen.
Gründung eines neuen Arbeitgeberverbands
Herr Steinert will den in seinen Augen überflüssigen und existenzgefährdenden Bürokratismus der seines Erachtens „unnützen“ Urlaubskasse nicht hinnehmen. Bereits 2012 machte er seinem Unmut über die Urlaubskasse mittels eines Leserbriefs in der Septemberausgabe 2012 der Malerfachzeitschrift „Mappe“ Luft: „Die Kasse ist ein Relikt aus der Bismarckzeit und machte Sinn, als Handwerker noch auf die Walz gingen. … Das Verfahren stellt heute (einen) enormen Verwaltungsaufwand (…) dar.“
Insbesondere um die Abschaffung des Urlaubskassenverfahrens zu erreichen, gründete Herr Steinert im Mai 2012 gemeinsam mit Mitstreitern den „Arbeitgeberverband für Maler und Lackierer in Deutschland e.V.“ (AMLD), dessen stellvertretender Vorstandsvorsitzender er heute ist. Der Verband erfreut sich laut Herrn Steinert einer wachsenden Zahl an Sympathisanten. Der AMLD setzt sich für einen Tarifvertrag ein, der dem des Saarlandes gleicht, wo man seit jeher ohne ein Urlaubskassenverfahren auskommt.
Erster Erfolg der Kritik an der Urlaubskasse
Die Urlaubskasse hat inzwischen teilweise auf diese Kritik reagiert und im Mai 2014 die Möglichkeit eines „Direktausgleichs“ eingeführt, bei dem unter bestimmten Voraussetzungen die Erstattung der Urlaubsvergütung direkt mit dem aktuell fälligen Beitrag zu einem monatlichen Stichtag gegengerechnet werden kann. Herr Steinert lobt diese Maßnahme als einen ersten Schritt in die richtige Richtung. Er kritisiert jedoch weiterhin, dass nicht rechtzeitig geltend gemachte Rückerstattungsansprüche des Arbeitgebers gegen die Urlaubskasse innerhalb von zwei Jahren verjähren und die Beantragung der Rückerstattung aufwendig sei.
Undurchsichtige Verwaltungskosten
Welcher Prozentsatz der Beiträge genau bei der Urlaubskasse verbleibt, ist für den Betrieb nur schwer nachvollziehbar. Genaue Angaben hierzu fehlen im Tarifvertrag und auch auf dem Internetauftritt der Sozialkasse. Herr Steinert erklärt, dass von seinen Beiträgen schätzungsweise jedenfalls 250-400 Euro pro Mitarbeiter und Jahr bei der Urlaubskasse verblieben. Über die genaue Verwendung dieses Geldes, abgesehen von dem Prozentsatz, der in die Zusatzversorgung fließt, finden sich keine Informationen.
Erforderlichkeit des Verwaltungsaufwands?
Die Erforderlichkeit eines eigenen Verwaltungsapparats mit entsprechendem Verwaltungsaufwand allein zur Absicherung von Urlaubsansprüchen von Malern kann man hinterfragen. Angenommen, eine Absicherung von Urlaubsansprüchen ist in manchen Branchen tatsächlich notwendig, stellt sich für die betroffenen Unternehmen dennoch die Frage, ob dies nicht günstiger durch ein weniger bürokratisches Verfahren mit weniger Liquiditätsbindung erreicht werden kann. Beispielsweise wird zur Absicherung eines dreimonatigen Insolvenzgeldbezuges für jeden Arbeitnehmer in Deutschland nur 0,15 % des Bruttoarbeitslohnes (sog. Insolvenzgeldumlage, vgl. §§ 358ff. SGB III) von der Bundesagentur für Arbeit eingezogen.
Stand: 04/2015