Nominiert 2023: Reiner Hermann, IG-NRW-Soforthilfe, Nordrhein-Westfalen

Foto: Ninagraphie

Im Dschungel der „Corona-Soforthilfe“: Zusammenschluss „IG-NRW-Soforthilfe“setzt sich für Unternehmer ein

Reiner Hermann ist selbständiger Unternehmensberater aus dem nordrhein-westfälischen Erkrath. Sein wesentlicher Unterstützer der IG NRW-Soforthilfe, Marc Schuirmann, arbeitet als Veranstaltungsvideograf für Sport, speziell Voltigieren und Rhythmische Sportgymnastik.

Ende März 2020 führte die Landesregierung in Nordrhein-Westfalen eine „NRW-Soforthilfe 2020“ ein, um Unternehmer und Solo-Selbständige aufgrund der Umsatzausfälle während der Corona-Pandemie zu unterstützen. Einer zunächst unkomplizierten Antragstellung, raschen Bewilligung und Auszahlung in Form von einmaligen Pauschalen folgten jedoch mehrfache rückwirkende Änderungen der Antrags-, Berechnungs- und Bewilligungsvoraussetzungen – ohne dass die Unternehmer, die ihren Antrag bereits gestellt hatten, darüber informiert wurden. Im Sommer 2020 folgten zunächst scheinbar harmlose „Rückmeldeaufforderungen“ für die Hilfeempfänger, die das Land per E-Mail versandte. Auf die Rückmeldungen folgten dann jedoch Rückforderungsbescheide, da das Land seine vorherig erlassenen Bewilligungsbescheide trotz fehlender entsprechender Bezeichnung nur „vorläufig“ erlassen haben wollte. Zahlreiche Betroffene gerieten in Not aufgrund der unverhofften Rückforderungen.
Herr Hermann und Herr Schuirmann unterstützen seit Juli 2020 nach eigenen Angaben über 10.000 Betroffene mit der von ihnen gegründeten „IG NRW-Soforthilfe“ dabei, sich gegen die Rückforderungen zur Wehr zu setzen. Mit dem Slogan „Wir wollen nicht mehr, sondern fair“, übt die IG Kritik an der Praxis des Landes NRW. „Wir haben den Aussagen von Politikern, den Bedingungen des Landes NRW u.s.w. geglaubt und haben die Soforthilfe beantragt, bewilligt bekommen und erhalten. Nun stehen wir vor dem Chaos aus im Nachhinein veränderten Bedingungen, nachträglichen Behauptungen und einem sog. Rückmeldeverfahren, das so nie vereinbart war“, heißt es auf der Webseite der IG. In bereits 11 repräsentativen von der IG unterstützten Klageverfahren gegen die Rückforderungen gaben die Gerichte den Betroffenen recht. 

Herr Hermann wurde mit dem hier dargestellten Fall für den Werner-Bonhoff-Preis-wider-den-§§-Dschungel 2023 nominiert.

 

Der Reihe nach: Wie kam es zu dem Soforthilfen-Rückforderungs-Chaos?

Die aufgrund der Corona-Pandemie verfügten Maßnahmen zum Infektionsschutz (Lockdown) führten zu starken Umsatzrückgängen und -ausfällen in fast allen Wirtschaftszweigen. Insbesondere Kleinstunternehmen, Soloselbstständige und Freiberufler waren in ihrer Existenz bedroht. Der Bund legte im März 2020 das sog. Förderprogramm „Soforthilfe für Kleinstunternehmen und Soloselbstständige“ in Höhe von bis zu 50 Milliarden Euro auf, um diesen Berufsgruppen mit einer unbürokratischen Soforthilfe zu unterstützen.

NRW erweitert den Kreis der Hilfeempfänger – Informationspolitik weckte Erwartungen

Die Landesregierung in Nordrhein-Westfalen (NRW) erweiterte das Angebot des Bundes sogar noch, um die Gruppe der Unternehmen mit bis zu 50 Beschäftigten zu unterstützen. (Quelle: https://www.wirtschaft.nrw/nrw-soforthilfe-2020-archiv). Beide Maßnahmen wurden in der „NRW-Soforthilfe 2020“ gebündelt.

Informationen für Hilfeempfänger zur „NRW-Soforthilfe 2020“ stellte in NRW das federführende Ministerium für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie auf seiner Homepage bereit. Die Bewilligung selbst oblag in NRW den jeweils zuständigen Bezirksregierungen.

Viele Unternehmer, darunter auch Herr Hermann, informierten sich in ihrer Not auf der Seite des Ministeriums zu den Antragsvoraussetzungen. In der Rubrik häufig gestellte Fragen (FAQ = Frequently Asked Questions) war im Zeitraum 29. März bis 31.03.2020 unter der Frage, für was der Zuschuss genutzt werden dürfe, aufgeführt:

Der Zuschuss kann genutzt werden, um finanzielle Engpässe, wie z.B. Bankkredite, Leasingraten, Mieten usw., zu bedienen. (…) Soloselbständige im Haupterwerb beziehen ihren Lebensunterhalt aus ihrer selbstständigen Tätigkeit und müssen daher auch ihr eigenes Gehalt erwirtschaften, um ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Sofern der Finanzierungsengpass beim Soloselbstständigen im Haupterwerb dazu führt, dass er sein regelmäßiges Gehalt nicht mehr erwirtschaften kann, dient die Soforthilfe auch dazu, das eigene Gehalt und somit den Lebensunterhalt zu finanzieren.“

Aus u.a. dieser FAQ schlussfolgerten die Selbständigen, dass die bewilligte Soforthilfe auch für den eigenen Unternehmerlohn und die privaten Lebenshaltungskosten verwendet werden dürften.

Während Herr Hermann aufgrund seiner Betriebsform der GmbH zögerte, gleich einen Antrag zu stellen, beantragte Herr Schuirmann als Soloselbständiger noch am selben Tag, an dem die Soforthilfe NRW „an den Start“ ging (27.03.2022), den Zuschuss und versicherte darin die Richtigkeit seiner Angaben. Ebenso bestätigte er unter Hinweis auf eine etwaige Strafbarkeit bei falschen Angaben, dass eine akute, pandemiebedingte wirtschaftliche Notlage vorläge. Kurz darauf wurde ihm, wie den meisten anderen Solo-Selbständigen auch, eine einmalige Pauschale in Höhe von 9.000 Euro bewilligt.

In den Nebenbestimmungen zum Bescheid hieß es, dass etwaig zu viel gezahlte Mittel zurückzuerstatten wären, wenn nach Ablauf des dreimonatigen Bewilligungszeitraumes festgestellt werden würde, dass die Finanzhilfe höher sei als der Umsatzausfall abzüglich eingesparter Kosten. Jedoch war weder in den Antragsvoraussetzungen, den FAQs noch aus dem Bewilligungsbescheid ersichtlich, dass die Bescheide wohlmöglich nur vorläufig ergehen würden.

Tatsächlich wurden die Leistungen – wie von der Landesregierung versprochen – schnell und unbürokratisch ausgezahlt. Für betroffene Unternehmen war dies zunächst eine echte Hilfe, schildert Herr Hermann. Jedoch entwickelte sich die gut gemeinte Unterstützung des Soforthilfe-Programm, für viele Hilfeempfänger in der Folge zu einem schwer kalkulierbaren Risiko.

01.04.2020: Rückwirkende Änderung der Bestimmung zur Hilfeverwendung

Zwar hatten sich NRW und andere Bundesländer um Verbesserungen der Modalitäten für Unternehmer insbesondere in Form der Verwendung der Hilfen für die Lebenshaltung, bemüht. Die Bundesregierung jedoch vertrat jedoch die Auffassung, dass die Soforthilfen nur für betriebliche Sach- und Finanzaufwendungen verwendet werden dürften.

Dies hatte zur Folge, dass NRW seine FAQ am 1. April 2020 dahingehend änderte, dass die Aussage zu den Lebenshaltungskosten entfiel.  Auf diese nachträgliche und vorallem rückwirkend geltende Änderungen bzgl. der Ansetzbarkeit der Lebenshaltungskosten wurden die Soforthilfe- Empfänger jedoch weder in den FAQ noch auf andere Weise ausdrücklich hingewiesen. Daher erfuhren viele Soforthilfe-Empfänger erst später von der Änderung.

Aufgrund der eingetretenen Verunsicherung, insbesondere bei den Antragstellern, die bereits im März 2020 ihren Antrag gestellt und bewilligt erhieltem, beschloss NRW im Mai 202 eine sog. „Vertrauensschutz-Lösung“. Diese sah eine begrenzte Verwendung der Soforthilfe NRW für die Bestreitung des Lebensunterhalts bzw. eines fiktiven Unternehmerlohns zu.
Solo-Selbstständige, Freiberufler usw. konnten nunmehr einmalig einen Pauschalbetrag i.H.v. EUR 2.000,- für ihre Lebenshaltungskosten oder ihren fiktiven Unternehmerlohn für März und/oder April 2020 ansetzen. Voraussetzung hierfür war jedoch, dass die Soforthilfe im März oder April 2020 beantragt wurde, keine Beantragung von ALG II (Grundsicherung) für März oder April 2020 erfolgte und keine Hilfe über das Sofortprogramm für Künstlerinnen und Künstler bewilligt wurde.

31.05.2020: Rückwirkende Änderung des Berechnungsverfahrens der NRW-Soforthilfe

Am 31.05.2020 trat dann eine Soforthilfe-Richtlinie als Runderlass des Ministeriums für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie mit Wirkung zum 27.03.2020 in Kraft. Diese veränderte das Berechnungsverfahren komplett, sie enthielt auch erstmals eine Definition zum sog. Liquiditätsengpass, auf den sich das Land fortan berufen würde. In der Richtlinie war ebenfalls die getroffene „Vertrauensschutzlösung“ abgebildet.

Juli 2020: Hilfeempfänger erhalten E-Mails wegen Rückmeldung zum „Liquiditätsengpass“

Anfang Juli 2020 versendete NRW an sämtliche 430.000 Hilfeempfänger E-Mails, in der auf die Notwendigkeit zur Durchführung eines sog. Rückmeldeverfahrens hingewiesen wurde.

In der E-Mail wurde auf die (nach Auffassung des Landes) geltenden Regelungen und Fristen und den bereitgestellten Vordruck hingewiesen. Mittels des Online-Formulars sollten sämtliche Hilfeempfänger ihre Einnahmen und Ausgaben während des Bewilligungszeitraums mitteilen, anhand derer die zuständige Bezirksregierung dann den tatsächlichen „Liquiditätsengpass“ berechnen würde. Denn nur die tatsächliche Differenz zwischen den Einnahmen und Ausgaben des Geschäftsbetriebs, d.h. der echte Verlust, berechtige zum Behalt.  Die darüberhinaus zu viel gezahlten Mittel müssten zurückerstattet werden.

Die E-Mail kam für viele Unternehmer überraschend, weil eine Rückforderung weder durch die offene Formulierung in den Bescheiden (weder wörtlich noch aus dem Kontext), noch in den Aussagen in den FAQ-Versionen auf der Homepage des Wirtschaftsministeriums ersichtlich war. Stattdessen vertrauten die Selbständigen – so auch Herr Schuirmann -darauf, die gesamte Soforthilfe behalten und auch für die Lebenshaltungskosten verwenden zu dürfen – entsprechend der kommunizierten Hilfe-Voraussetzungen zum Zeitpunkt der Antragstellung.

Anfang Dezember 2020 versendete NRW eine weitere E-Mail mit dem Hinweis, dass „steuerliche Nachteile“ vermieden werden könnten, wenn die Rückmeldung noch im selben Jahr erfolge. Viele Betroffene gerieten- einen Monat vor Jahresende- in Panik und füllten das online bereitgestellte „Rückmelde-Formular ermittelter Liquiditätsengpass NRW-Soforthilfe 2020“ noch im Dezember 2020 aus.

Rückforderungen folgen: Bewilligungsbescheide werden überraschend als „vorläufig“ bezeichnet

Auf die Rückmeldung folgte in der Regel ein Schlussbescheid, in denen sich die Bezirksregierungen auf den Standpunkt stellten, dass es sich bei den ursprünglichen Bewilligungen im Frühjahr 2020 nur um die vorläufige Bescheidung des Antrages zur NRW-Soforthilfe 2020 gehandelt habe. Erst durch die Festsetzung der tatsächlichen Höhe der Antragsberechtigung aufgrund des später ermittelten Liquiditätsengpasses, sei endgültig verbindlich beschieden worden. In vielen Fällen setzte das Land die Beträge durch die Schlussbescheide entsprechend niedriger als ursprünglich bewilligt fest und forderte Teilbeträge zurück.

Auch Herr Schuirmann, der ebenfalls im Dezember das Rücksendeformular ausfüllte, sollte laut Schlussbescheid der Bezirksregierung Düsseldorf nur noch knapp 6000 Euro behalten dürfen und somit 3000 Euro zurückzahlen.

„IG-NRW-Soforthilfe“ unterstützt Betroffene

Da bereits die erste E-Mail (Juli 2020) zahlreiche Aussagen hinsichtlich der Rückmelde- und Rückzahlungsmodalitäten enthielten, welche mit den entsprechenden Vorgaben im Soforthilfe-Bescheid nicht übereinstimmen, befürchteten Herr Hermann und Herr Schuirmann schon zu diesem Zeitpunkt, dass es sich bei den Rückmelde-E-Mails um „versteckte“ Verwaltungsakte handeln könnte, mit denen das Land versuchen würde, die Soforthilfe-Bescheide nachträglich abzuändern.

Am 3.7.2020 gründeten Herr Hermann und Herr Schuirmann zunächst die Gruppe „IG – NRW-Soforthilfe“ auf Facebook. Ziel der IG sollte nicht sein, allein die Umstände zu beklagen. Vielmehr sollte sie dem fachlichen Austausch innerhalb der Facebook-Gruppe dienen, um durch fachliche Inhalte Lösungen für die gemeinsamen Probleme zu finden.
Der Gruppe, der zunächst nur einige Düsseldorfer Unternehmer angehörten, haben sich mittlerweile über 10.000 Gewerbetreibende und Freiberufler angeschlossen, um sich gegen die Praxis der vom Land NRW initiierten Rückforderungen zu wehren.

„Auf diese Art dürfe man nicht mit Unternehmern umgehen“, meint Herr Hermann, „doch der eigentliche Skandal ist, dass mehrmals die sogenannten FAQs, beziehungsweise die faktischen Förderbedingungen, geändert wurden.“ Insgesamt sei dies 15-mal geschehen, berichtet er. Allein diese Änderungen führten zu einer Intransparenz darüber, wer in welchem Umfang überhaupt förderberechtigt ist und wer nicht. Die große Diskrepanz zwischen öffentlicher Kommunikation und Verwaltungspraxis schuf viel Verzweiflung und Ärger.

„Unternehmer haben nach bestem Wissen und Gewissen ihre Anträge ausgefüllt, ohne zu wissen, dass sich die Richtlinien der Förderung eventuell schon wieder verschoben hatten. Insbesondere bei den Unternehmern, die ihre Anträge bereits bis Ende März 2020 gestellt hatten, wich das, was zuvor von der Landesregierung kommuniziert wurde, teilweise sehr stark von dem ab, was sich die Verwaltungen (im Nachhinein) zurechtgelegt hatten. Ein undurchsichtiges System führt aber dazu, dass die Beantragung von Fördergeldern schnell fehlerhaft wird“, so der Unternehmer. Einzelne FAQ entfielen durch die zahlreichen Änderungen komplett oder wurden inhaltlich dergestalt abgeändert, dass sie im Vergleich zu der Vorversion einen vollkommen anderen Aussagegehalt enthielten.

Neben dem allgemeinen Zugang zur IG bei Facebook, existiert ein exklusiver Bereich für Mitglieder. Während in der Facebook-Gruppe grds. jeder, der Unternehmer in NRW ist und die Soforthilfe NRW in Anspruch genommen hat, Mitglied werden kann, gibt es auf der Homepage der IG-NRW-Soforthilfe einen geschlossenen Mitgliederbereich. Dieser soll ausschließlich den Mitgliedern zur Verfügung stehen, die sich an den Kosten für Anwälte und deren Tätigkeiten für die IG beteiligen.

Die Initiative wehrte sich in kürzester Zeit gegen das Chaos, das die geänderten Voraussetzungen und FAQs mit sich brachten, Herr Hermann sprach mit diversen Verbänden, suchte Kontakt zum Wirtschaftsministerium und anderen, um auf die Lage der Selbständigen aufmerksam zu machen und nach Lösungen zu suchen.

Vertrauensschutz oder Vertrauensfrust?

Die Kritik von Herrn Hermann erscheint grds. nachvollziehbar. Denn das von den Hilfeempfängern den Informationen der Landesregierung entgegengebrachte Vertrauen muss in irgendeiner Weise schutzwürdig sein. Ein Antragssteller, der sich vor dem Antrag ausreichend auf der Homepage des federführenden Wirtschaftsministeriums, d.h. einer öffentlich-rechtlichen Stelle, zu den Antragsvoraussetzungen informiert hat, wird sich auf die Informationen verlassen. Eine Pflicht des Hilfeempfängers, die FAQ laufend einzusehen, um zu überprüfen, ob es ggf. zu Änderungen gekommen ist, kann ernstlich nicht verlangt werden. Antragsvoraussetzungen müssen so formuliert sein, dass sie ein Durchschnittbürger (objektiver Dritter) erfassen und verstehen kann (sog. Empfängerhorizont). Unklarheiten gehen zu Lasten desjenigen, der die Voraussetzungen aufgestellt hat.

„Kampfkasse“ wird eröffnet – Offener Brief der IG und Unterstützer

Weil durch die ganzen geänderten Voraussetzungen keiner mehr „durchgeblickt habe“, richtete die IG eine sog. „Kampfkasse“ ein. Es basiert auf einem Crowd-Funding-Konzept, in das jedes Mitglied einen freiwilligen Betrag „x“, jedoch mindestens 50 Euro einzahlt. Mit dieser leistete sich die IG eine umfassende Rechtsberatung durch eine große Rechtsanwaltskanzlei. „Diese sollte das Ganze mal rechtlich auseinandernehmen und etwas Licht ins Dunkel des Soforthilfe-Dschungels bringen“, erläutert Hermann.

Eines der wichtigsten Ziele der Kampfkasse bestünde auch darin, dass den Mitgliedern, die die IG durch eine freiwillige Beteiligung an den hohen Kosten für anwaltliche Beratung unterstützen, die Ergebnisse der Anwälte zur Verfügung gestellt werden. Viele könnten sich ansonsten keine gute Rechtsberatung leisten. Recht schnell wurde durch die beauftragte Kanzlei klar: in NRW lief wohl so Einiges schief.

Parallel zum fachlichen Austausch mit ihren Mitgliedern, setzte sich die IG auch für pragmatische Lösung im Zuge der Rückforderungen ein.  Zusammen mit der Initiative „Einzelunternehmer.info“ sendete die IG im Dezember 2020 einen offenen Brief an die Landesregierung, die Fraktionen im Landtag NRW und an das Wirtschafts- und Finanzministerium NRW mit der dringenden Bitte, eine pragmatische Lösung für die drohenden Nachteile zu finden, um mitten im Lockdown den Druck von den betroffenen Selbständigen zu nehmen (Quelle: https://ig-nrw-soforthilfe.de/16-danke) .

2500 Klage-Verfahren in NRW, davon 700 von IG-Mitgliedern 

Unter den Selbständigen stieß Herr Hermann immer wieder auf Menschen, die um ihre Existenz bangten, die wütend und zunehmend politikverdrossen waren. „Ich kann das verstehen. Aber mir war es wichtig, nie destruktiv zu werden“, sagt er.  Stattdessen verwendete er seine Energie für Öffentlichkeitsarbeit und die späteren Gerichtsverfahren, mit Erfolg.

Nach Auskünften des Bundeslandes NRW sind in Nordrhein-Westfalen bei den Verwaltungsgerichten rund 2.500 Klagen gegen die Schlussbescheide eingelegt worden.

Die Verwaltungsgerichte (Düsseldorf, Köln und Gelsenkirchen) haben bereits in insgesamt elf repräsentativen Verfahren zugunsten der Unternehmer entschieden. Die Gerichte monierten insbesondere die Vorläufigkeit der Bewilligungsbescheide sowie den Maßstab des Liquiditätsengpasses bei der Berechnung der Rückforderung.

Alle drei Verwaltungsgerichte stellen auf die Förderpraxis des Landes NRW während des Antragsverfahrens ab, also bis zum Erlass der Bewilligungsbescheide. Die darin zum Ausdruck gebrachte Verwaltungspraxis des Landes stimme mit den Festsetzungen in den Schlussbescheiden nicht überein.

Die Verwaltungsgerichte waren alle einig darin, dass das Land zu Unrecht davon ausgegangen sei, dass die Bewilligungen im Frühjahr 2020 unter dem Vorbehalt einer späteren endgültigen Entscheidung gestanden hätten. Ein solcher Vorbehalt sei zwar rechtlich möglich, müsse aber aus den Bewilligungsbescheiden klar erkennbar hervorgehen. Jedwede Unklarheit gehe zulasten der Behörde. Diese habe es in der Hand, Auslegungsprobleme durch eindeutige Formulierungen zu vermeiden. Die an die Kläger gerichteten Bewilligungsbescheide hätten weder ausdrücklich noch indirekt einen solchen Vorbehalt enthalten. Auch aus den sonstigen zum Bewilligungszeitpunkt verfügbaren Informationen, insbesondere den vom Land veröffentlichten Hinweisen zum Förderprogramm, hätten die Kläger nicht den Schluss ziehen müssen, es habe sich um eine bloß vorläufige Bewilligung gehandelt. Ob die Förderrichtlinie des Landes vom 31.05.2020 etwas anderes regelt, sei irrelevant, weil diese bei Erlass der Bewilligungsbescheide noch nicht existiert habe.

Zudem durfte das Land für die Berechnung der Soforthilfen nicht allein auf einen Liquiditätsengpass abstellen. Weder die Bewilligungsbescheide noch das Antragsformular noch die im Internet durch das Land veröffentlichten „FAQ“ haben eine Einschränkung auf einen Liquiditätsengpass erkennen lassen. An diese Festlegung war das Land gebunden.

Gegen diese Entscheidungen der Verwaltungsgerichte ist das Land NRW in Berufung gegangen.

Bezüglich der Entscheidungen des Verwaltungsgerichts Düsseldorf hat am 17.03.2023 das in der Berufung zuständige Oberverwaltungsgericht Münster in drei Musterverfahren zugunsten der jeweiligen Kläger geurteilt: Die Rückforderungen von Corona-Soforthilfen in Nordrhein-Westfalen waren für die drei klagenden Selbsttändigen rechtswidrig, so das Gericht. Auch wenn das Gericht der Auffassung der Kläger – die 9.000 EUR seien ihnen jeweils auch für Umsatzeinbußen ausgezahlt worden – und zwar unabhängig davon, ob sie in der Zeit auch Ausgaben eingespart hatten, etwa für den Sprit für Fahrten zum Auftraggeber – nicht folgte, vertrat es im Ergebnis die Auffassung, dass aus den Bescheiden für die Empfänger nur schwer herauslesbar war, was die Vorgaben sein sollten. Dies habe das Land NRW zu vertreten. (Quelle: tagesschau vom 17.03.2023, https://www.tagesschau.de/inland/innenpolitik/ovg-corona-soforthilfe-101.html)
Eine Revision gegen das Urteil hat das Oberverwaltungsgericht Münster nicht zugelassen.

Weitere acht im Wesentlichen vergleichbare Berufungsverhandlungen sind aktuell noch beim OVG NRW anhängig, in denen zuvor die Verwaltungsgerichte Köln und Gelsenkirchen entschieden haten.  (Stand: 17.03.2023)

Das Engagement von Herrn Hermann ist – unabhängig vom späteren Ausgang des Verfahrens – beachtenswert. Der Fall macht sichtbar, wie wichtig und notwendig die Unterstützung von betroffenen Unternehmen in Bezug auf die Corona-Soforthilfe des Landes NRW war und wie sinnvoll es war, die beschlossenen Maßnahmen zu hinterfragen, statt das Verwaltungshandeln einfach still hinzunehmen. Mit sehr viel Initiative, Energie und Zeitaufwand ist es Herrn Hermann und Herrn Schuirmann gelungen, Sprachrohr und Stütze für durch die Corona-Krise in wirtschaftliche Existenznot geratenen Kleinunternehmer und Soloselbständigen zu sein. Das Crowd-Funding-Konzept der IG erscheint zudem als ein gutes Mittel, um rechtliche Unterstützung auch in solchen Fällen zu organisieren, die sonst (aufgrund des geringen Streitwerts) häufig auf der Strecke geblieben wären.

Stand der Darstellung: 30.03.2023

Weitere Informationen zum Fall: Die Süddeutsche Zeitung listete Herrn Hermann am 29.12.2022 als „Mensch der Wirtschaft“, der mit neuen Ansätzen beeindruckt hat.

https://www.sueddeutsche.de/projekte/artikel/wirtschaft/ueberraschungen-wirtschaft-2022-rueckblick-e247704/ 

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