Manfred Nuding, M.G.N. Service, Spraitbach, Baden-Württemberg vs. Deutsche Rentenversicherung Bund

Unternehmerrisiko „Scheinselbständigkeit“: Wenn Statusfeststellungen der DRV rückwirkend korrigiert werden

Seit Ende des Jahres 2004 befasste sich Herr Nuding mit seiner Firma M.G.N. Services mit der Vermittlung von Aufträgen diverser Automobilkonzerne sowie deren Subunternehmen an selbständige Testfahrer.

Trotz vorangegangener Statusfeststellungen der Testfahrer zur Klärung der Frage ob ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis oder eine selbständige Tätigkeit vorliege, bei denen von der Deutschen Rentenversicherung Bund stets die Selbständigkeit bestätigt wurde, wurde im Juni 2012 gegen Herrn Nuding überraschend ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts des Vorenthaltens und der Veruntreuung von Arbeitsentgelt eingeleitet und in der Folge  rückwirkend mehrere Statusfeststellungen aufgehoben. Für Herrn Nuding war die nur vermeintliche Rechtssicherheit der Statusverfahren, verbunden mit dem Verlust seiner Hauptauftraggeber letztlich der Ruin für sein Unternehmen.

Seit Abschaffung der sog. Vermutungsregeln zum 01.01.2003 ist die Rechtsunsicherheit für Unternehmer und deren Auftragnehmer hinsichtlich der Bewertung einer Tätigkeit als Selbständig oder als abhängige (und damit sozialversicherungspflichtige) Beschäftigung, deutlich gestiegen. Das sog. Antragsverfahren bei der Deutschen Rentenversicherung Bund bietet für die Beteiligten theoretisch die Möglichkeit, sich Rechtssicherheit bezüglich des Status zu verschaffen.
Folgt jedoch eine nachträgliche Einstufung als Scheinselbständigkeit gibt es nicht nur erhebliche finanzielle Belastungen, sondern zusätzlich Bußgelder oder auch strafrechtliche Konsequenzen wegen Sozialversicherungsbetrug zu befürchten. Auf das Vertrauen auf die Rechtskraft der Entscheidung in der getroffenen Statusfeststellung können sich die Beteiligten leider auch nicht immer berufen – insbesondere dann, wenn die Rentenversicherung ihr Vertrauen als nicht schutzwürdig ansieht.

Das Unternehmenskonzept: Vermittlung von Aufträgen in der Automobilbranche

Nachdem im Jahr 2003 von der damaligen Bundesregierung mit der sog. „Ich-AG“ eine neue Gründerwelle ausgelöst wurde, entstanden in der Folge viele Existenzgründungen in Form von Kleinunternehmern, denen Herr Nuding ab Ende des Jahres 2004 durch die Vermittlung von Aufträgen in der Automobilbranche erfolgreich eine Perspektive geben konnte. Die Aufträge wurden an Gutachter, Kfz-Sachverständige, Fahrlehrer, Kfz-Werkstätten und insbesondere an Testfahrer, die für Herrn Nuding als freie Mitarbeiter tätig waren, vermittelt. Neben den Existenzgründern vermittelte er auch älteren, bereits selbständigen Unternehmern, deren Geschäft nicht mehr gut lief Aufträge in der Erprobung von Fahrzeugen, sodass diese ihre Existenz weiter sichern konnten.

Die Testfahrer konnten selbst wählen, ob sie einen Auftrag annehmen. Jede einzelne Testfahrt  war ein eigenständiger Auftrag. Die Testfahrer teilten Herrn Nuding mit in welchen Zeiträumen sie Testfahrten durchführen können. Diese Informationen leitete er an seine Auftraggeber weiter, die dann je nach Bedarf die Testfahrer beauftragten und mit ihnen die Details zur Auftragserfüllung absprachen. Über die erbrachten Fahrzeiten erstellten die Testfahrer gegenüber M.G.N. Service Rechnungen, die entsprechend der erbrachten Arbeitsstunden abgerechnet wurden.

Tätigkeitsstatus der Testfahrer: selbständig

Anfang des Jahres 2007 überprüften Mitarbeiter der Bundesknappschaft und des Zolls bei Herrn Nuding die Unterlagen der freien Mitarbeiter, sowie das praktizierte Auftragsvermittlungsverfahren und bestätigten im Anschluss, dass hierbei keine Gefahr für die Förderung von Scheinselbständigkeit bestünde. 

In den Jahren 2009 – 2012 haben mehrere freie Mitarbeiter von Herrn Nuding  eine Statusfeststellung bei der Deutschen Rentenversicherung Bund beantragt (sog. Anfrageverfahren gemäß § 7a Abs.1 Satz 1 SGB IV).

Info: Anfrageverfahren gemäß § 7a SGB IV:
„Das Statusfeststellungsverfahren dient der Feststellung, ob ein Auftragnehmer seine Tätigkeit für einen Auftraggeber im Einzelfall selbständig oder im Rahmen eines abhängigen sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses ausübt.“ (Quelle: deutsche-rentenversicherung.de)

Die Statusfeststellungen wurden von der DRV, unter Einbeziehung der Clearingstelle durchweg mit dem Ergebnis beschieden, dass eine selbständige Tätigkeit vorliege.

Info: Die Clearingstelle der Deutschen Rentenversicherung hat ihren Sitz in Berlin. Seit dem 1. Juni 2010 ist sie für die gesamte Bundesrepublik die einzige zuständige Prüfstelle, wenn es darum geht, Fragen zum Sozialversicherungsstatus zu klären. In der Clearingstelle der Deutschen Rentenversicherung werden jährlich mehr als 15.000 Verfahren zur Prüfung des Status von Geschäftsführern, mitarbeitenden Familienangehörigen und tlw. auch Selbständigen durchgeführt. Diese so genannten Statusfeststellungsverfahren erfolgen entweder auf Antrag (Antragsverfahren) oder obligatorisch.(…)
Die im Rahmen des Statusfeststellungsverfahrens getroffene Entscheidung der Clearingstelle der Deutschen Rentenversicherung ist für alle beteiligten Sozialversicherungsträger und auch für die Agentur für Arbeit rechtlich bindend. (Quelle: clearingstelle.de/drv)

Durchsuchung der Geschäfts- und Wohnräume

Aufgrund eines Durchsuchungsbeschlusses des Amtsgerichts Ellwangen vom 06.03.2012 fand am 11.04.2012 für Herr Nuding überraschend durch Zollmitarbeiter eine Durchsuchung der Geschäfts- und Wohnräume von Herrn Nuding aufgrund des Tatverdachts des Vorenthaltens/Veruntreuens von Arbeitsentgelt gemäß § 266a StGB statt. Gegenstand der Ermittlungen war die Vermittlung von Testfahrern an eine Firma aus Süddeutschland, deren Geschäftsgegenstand es war solche Testfahrten durchzuführen sowie ggf. Unteraufträge zu erteilen. Auch diese Firma war Beschuldigte im eingeleiteten Ermittlungsverfahren. Beinahe alle im Büro befindlichen Unterlagen wurden mitgenommen und Herrn Nuding bis zum heutigen Tage nicht wieder ausgehändigt.

Mitte Juni 2012 erhielten alle von Herrn Nuding zu diesem Zeitpunkt beauftragten/ vermittelten Unternehmer ein Schreiben vom Zoll, mit dem diese über den bestehenden Verdacht informiert und Informationen zur Zusammenarbeit mit Herrn Nuding erfragt wurden. In diesem Schreiben vom 15.06.2012 heisst es, dass gegen Herrn Nuding der Verdacht besteht, „Beschäftigungsverhältnisse von tatsächlich abhängigen Arbeitskräften als Auftragsvergabe an selbständige Subunternehmer getarnt zu haben, um dadurch gesetzlich geschuldete Abgaben zur Sozialversicherung zu sparen.(…)“. Für Herrn Nuding war dieser Vorwurf, der durch die gewählte Formulierung nahezu den Anschein eines planerischen oder gar gewerbsmäßigen Vorgehens impliziert, nach eigenen Angaben ein Schlag ins Gesicht.

DRV hebt Feststellung der Selbständigkeit rückwirkend auf!

Am 12.04.2011 stellte auch Herr B., ein seit dem 10.07.2010 für Herrn Nuding tätiger freier Mitarbeiter, bei der DRV einen Antrag auf Statusfeststellung. Am 20.06.2011 erging sodann der Bescheid, mit dem seine Selbständigkeit bestätigt wurde.

Mit Bescheid vom 10.12.2012 wurde dieser jedoch als fehlerhaft und daher rechtswidrig rückwirkend aufgehoben und ein seit dem 10.07.2010 bestehendes abhängiges Beschäftigungsverhältnis festgestellt. Als wesentliche Merkmale, die für ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis sprächen führte die DRV insbesondere:

    • Testfahrer muss Arbeitszeit in vom Auftraggeber festgelegten Schichtsystem erbringen
    • Auftraggeber gibt Arbeitsort durch festgelegte Teststrecke vor
    • Die Bezahlung erfolgte nach für eine Schicht gültige Honorarsätze
    • Tätigkeit ist vom Testfahrer höchstpersönlich zu erbringen (keine Weiterreichung des Auftrages)
    • Alle wesentlichen Mittel zur Auftragsausführung würden vom Auftraggeber/Endkunden gestellt. Hierzu zählten neben den Fahrzeugen auch die gesamte Messtechnik und die Technik zur Dokumentation (d.h. keine eigenen Betriebsmittel)
    • Ein unternehmerisches Risiko bestehe nicht
    • Eine vergleichbare Tätigkeit würde von festangestellten Mitarbeitern beim Auftraggeber ausgeübt.

Demgegenüber sah die DRV als Merkmale für eine selbständige Tätigkeit lediglich:

    • Es bestand für die Testfahrer keine Verpflichtung bestimmte Aufträge anzunehmen
    • Sie hätten dem Auftraggeber freie Zeiten zur Auftragserfüllung angeboten.

Weiterhin konnten sich weder Herr Nuding noch Herr B. nach Ansicht der DRV auf den Schutz ihres Vertrauens in die Bestandkraft des Bescheides berufen, da nach Auffassung der DRV von Bösgläubigkeit der Beteiligten auszugehen war.

Info: Ist der Betroffene „bösgläubig“, kann er sich bei einer Bescheidrücknahme für die Vergangenheit und für die Zukunft nach § 45 SGB X nicht auf den Schutz seines Vertrauens in die Bestandskraft des Bescheides berufen.
Der Betroffene ist „bösgläubig“, wenn wenigstens einer der Tatbestände der Nummern 1 bis 3 des § 45 Abs. 2 S. 3 SGB X vorliegen. Diese sind:

  –Erwirken des Verwaltungsakts durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung,

  –Unrichtige oder unvollständige Angaben  oder

  –Kennen beziehungsweise Kennenmüssen der Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts.

Im Bescheid vom 10.12.2012 sah die DRV das Merkmal der Bösgläubigkeit dadurch erfüllt, dass zum Zeitpunkt der Antragstellung der Statusfeststellung bereits gegen das Unternehmen aus Süddeutschland, an das Herr Nuding Testfahrer vermittelte, ein Strafverfahren wegen des Verdachts des Vorenthaltens und der Veruntreuung von Arbeitsentgelt nach § 266a StGB, eingeleitet worden war. Von diesem Ermittlungsverfahren war Herrn Nuding jedoch erst später in Kenntnis gesetzt geworden, nämlich erst im Zuge der Durchsuchung seiner Geschäfts- und Wohnräume vom 11.04.2012. Die DRV behauptete jedoch einen früheren Zeitpunkt der Kenntnis und folgerte daraus, dass der Antragsteller bei der Statusfeststellung unvollständige Angaben getätigt hätte, wobei auf eine Konkretisierung an dieser Stelle verzichtet wird. Die DRV führt hier im Bescheid jedoch hinzu, dass von Seiten der Antragsteller und Herrn Nuding, „keine beweisbaren Falschaussagen getätigt“ worden seien. Durch die (behauptete) Kenntnis vom Ermittlungsverfahren haben die Beteiligten nach Ansicht der DRV zumindest grob fahrlässig nicht erkannt, dass der Bescheid vom 20.06.2011 rechtswidrig gewesen sei.

Hier stellt sich die Frage, ob die DRV von Herrn Nudings oder Herrn B.s Antrag auf Statusfeststellung – selbst wenn sie hier schon Kenntnis gehabt hätten- einen Hinweis auf das Ermittlungsverfahren hätten erwarten dürfen oder ob es ihnen nicht selbst hätte bekannt sein müssen. Weiterhin führt Herr Nuding hierzu aus, dass gerade im Hinblick auf die allgemein unsichere Rechtslage die Klärung des Status durch das Feststellungsverfahren begehrt wurde. Dass das Interesse an der Herstellung von Rechtssicherheit von der DRV nun rückblickend als „Bösgläubigkeit“ gewertet wird, überrascht doch sehr.

Rückwirkung der Rücknahme im Widerspruchsverfahren aufgehoben

Gegen den Bescheid legte Herr Nuding am 09.01.2013 Widerspruch ein. Gegen die Behauptung der DRV, dass Herr Nuding die Rechtswidrigkeit des Bescheides grob fahrlässig verkannt habe, konnte er sich im Widerspruchsverfahren erfolgreich zur Wehr setzen: Am 08.10.2013  erging ein Abhilfebescheid, durch den die DRV den Zeitpunkt der Rücknahme des Bescheides änderte: der Zeitpunkt der Rücknahme wurde vom 10.07.2010 auf den 14.12.2012 korrigiert, somit auf den Folgetag der Bekanntgabe der Rücknahme der Statusfeststellung vom 10.12.2012. Hilfreich war hierbei für Herrn Nuding wohl das Schreiben des Bundesversicherungsamtes vom 20.08.2013, in dem dieses erhebliche rechtliche Bedenken hinsichtlich der Rücknahme für die Vergangenheit äußerte. Im Widerspruchsbescheid vom 08.05.2014 hielt die DRV jedoch weiterhin an ihrer Auffassung, dass im Falle des Herrn B. ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis vorliege, fest.

Sozialgericht bestätigt Tätigkeit der Testfahrer als abhängiges Beschäftigungsverhältnis

Gegen den Widerspruchsbescheid erhob Herr Nuding Klage am Sozialgericht Ulm. Im Urteil vom 11.03.2016 (Az.:S 7 R 1824/14) bestätigte das Gericht die Rechtsauffassung der DRV, dass im Fall von Herrn B. keine selbständige Tätigkeit vorliege. Eine selbständige Tätigkeit ist nach der Ausführung im Urteil „vornehmlich durch das eigene Unternehmerrisiko, das Vorhandensein einer eigenen Betriebsstätte, die Verfügungsmöglichkeit über die eigene Arbeitskraft sowie die im Wesentlichen frei gestaltete Tätigkeit und Arbeitszeit gekennzeichnet. Ob jemand abhängig beschäftigt oder selbständig tätig ist, hängt davon ab, welche Merkmale überwiegen.(…) Maßgeblich ist das Gesamtbild der Arbeitsleistung.(…)“. Auf den Fall von Herrn B. bezogen subsummiert das Gericht sodann, dass dessen Tätigkeit als abhängige Beschäftigung zu qualifizieren sei: „Er war in jeder Hinsicht weisungsgebunden. Relevante Gestaltungsmöglichkeiten bei der Auftragsausführung im Hinblick auf Zeit, Ort bzw. Art und Weise der Tätigkeit bestanden nicht.“ Besonders hoch gewichtete das Gericht das seiner Rechtsauffassung nach nicht vorliegende Unternehmerrisiko, zur dessen Beurteilung maßgebliches Kriterium sei, „ob eigenes Kapital oder die eigene Arbeitskraft auch mit der Gefahr des Verlustes eingesetzt wird, der Erfolg des Einsatzes der tatsächlichen und sächlichen Mittel also ungewiss ist. Dies war bei Durchführung der Testfahrten nicht der Fall.(…)“

Hinsichtlich dieser Ausführung und insbesondere der Gewichtung des Unternehmerrisikos in der Entscheidung des Sozialgerichts Ulm sei an dieser Stelle jedoch auch auf andere vertretene Rechtsauffassungen, wie die des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 13.09.2016 (Az.: L 4 R 2120/15 ZVW, Rd.Nr.57) verwiesen. Hier führt das Gericht nämlich zur Beurteilung des Unternehmerrisikos aus: „(…)Der Einsatz eigenen Kapitals bzw. eigener Betriebsmittel ist hingegen keine notwendige Voraussetzung für eine selbständige Tätigkeit. Dies gilt schon deshalb, weil anderenfalls geistige oder andere betriebsmittelarme Tätigkeiten nie selbständig ausgeübt werden könnten.(…)“

Als Testfahrer von Versuchsfahrzeugen von Automobilherstellern verfügt man nuturgemäß über keine eigenen Betriebsmittel, da das Fahrzeug und die vom Hersteller vorgegebenen Dokumentationsmittel die einzigen bei Auftragsausführung zu verwendenden Mittel sind. Vielmehr ist der Einsatz der eigenen Arbeitskraft das Risiko, das der Selbständige trägt, da er bei keiner oder unvollständiger Auftragsausführung keine Rechnung stellen kann und er die Ausführung jedoch als Erfolg schuldet. Allein die Merkmale der fehlenden Vergütung im Krankheitsfall oder Urlaub sprechen gegen eine abhängige Beschäftigung. Zu diesem Punkt führt das LSG Baden-Württemberg zutreffend aus:  „Ein unternehmerisches Risiko ist auch dann Hinweis auf eine selbständige Tätigkeit, wenn diesem Risiko auch größere Freiheiten in der Gestaltung und der Bestimmung des Umfangs beim Einsatz der eigenen Arbeitskraft oder größere Verdienstchancen gegenüberstehen (BSG, Urteil vom 18. November 2015 – B 12 KR 16/13 R). Freie Mitarbeiter tragen ein Unternehmerrisiko unter anderem dann, wenn der Erfolg des Einsatzes ihrer Arbeitskraft ungewiss ist; das gilt namentlich, wenn ihnen kein Mindesteinkommen garantiert ist. Er kann eine Vergütung nur beanspruchen, wenn er eine bestimmte Leistung auch erbringt, wogegen dem abhängig Beschäftigten ein Lohnanspruch schon dann zusteht, wenn er sich arbeitsbereit hält.“ (Beschluss v. 10.06.2016 ,Az. L 4 R 3072/15, Rd.93)

Wie Herr Nuding berichtet, brachte der Richter während der mündlichen Verhandlung das große Problem mit der Rechtsunsicherheit hinsichtlich des Status‘ mit folgenden Worten auf den Punkt: „Der Wind dreht sich. / Das sind die Unabwägbarkeiten des Statusverfahrens. / Man könnte auch würfeln.“

Neben der Feststellung eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses des Herrn B. bei seiner Tätigkeit als Versuchsfahrer für das Unternehmen aus Süddeutschland entschied das Gericht weiterhin, dass ab dem Zeitpunkt der Bekanntgabe der Rücknahme des Bescheides durch die DRV auch kein Vertrauensschutz mehr bestand, auf den sich Herr Nuding oder Herr B. hätten berufen können. Insofern wurde das Schulden von Sozialversicherungsbeiträgen ab dem 14.12.2012 bestätigt.

Glück im Unglück: Keine Qualifizierung als abgabenschuldenden Arbeitgeber

Bezüglich der Rolle von Herrn Nuding entschied jedoch das Gericht, dass das festgestellte abhängige Beschäftigungsverhältnis nicht bei ihm bestand, sondern vielmehr ein Fall der gewerbsmäßigen Arbeitnehmerüberlassung gemäß § 1 Abs.1 Satz 2 Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG) vorläge.
§ 1 Abs.1 S.2 AÜG:
Arbeitnehmer werden zur Arbeitsleistung überlassen, wenn sie in die Arbeitsorganisation des Entleihers eingegliedert sind und seinen Weisungen unterliegen.

Da Herr Nuding nicht über die notwendige Erlaubnis zur Arbeitnehmerüberlassung verfügte, war das Vertragsverhältnis zwischen ihm und Herrn B. als unwirksam zu betrachten und stattdessen ein Vertrag zwischen Herrn B. und dem Entleiher (Auftraggeber für Testfahrt) als zustande gekommen zu werten   (§§ 9 Nr.1, 10 Abs.1 S.1 AÜG), womit der Entleiher nicht nur im arbeitsrechtlichen, sondern auch im beitragsrechtlichen Sinn Arbeitgeber des Leiharbeitnehmers ist.

Aufgrund dieser Feststellungen des Gerichts war der Klageantrag von Herrn Nuding hinsichtlich des Punktes, dass ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis des Herrn B. bei ihm besteht, begründet.

Falscher Beitragsschuldner? Legitimation durch öffentlich-rechtlichen Vertrag

Ein großer Automobilkonzern sowie dessen Tochterunternehmen waren einer der Hauptauftraggeber von Testfahrten auch mittels Beauftragung von Subunternehmen (wie auch die bereits erwähnte Firma aus Süddeutschland, an die Herr Nuding Testfahrer vermittelte). Zur Beurteilung der Rechtmäßigkeit von Beitragsnachforderungen von Herrn Nuding, ist das an ihn adressierte Schreiben des großen Automobilkonzerns vom 11.12.2014 beachtlich.  In dem Schreiben teilte der Konzern Herrn Nuding mit, dass er und sein Tochterunternehmen aufgrund des Einsatzes von selbständigen Versuchsfahrern (über Herrn Nuding) und der unklaren Rechtslage zum Status der einzelnen Versuchsfahrer als Selbständige mit der DRV  einen öffentlich-rechtlichen Vertrag abschließen werden. Mit diesem Vertrag verpflichtet sich der Konzern und sein Tochterunternehmen auf freiwilliger Basis die Sozialversicherungsbeiträge für die einzelnen Versuchsfahrer in den Jahren 2009 – 2013 zu übernehmen.

Der Inhalt, bzw. die rechtliche Folge des Vertrages ist vermutlich bei der DRV bei der Auswahl des Beitragsschuldners zum Teil unbeachtet geblieben, da sie im August 2016 für drei weitere Testfahrer, die im Zeitraum 2012-2014 Aufträge erhielten, von Herrn Nuding die Nachzahlung von Sozialversicherungsbeiträgen forderte.

DRV ermittelt weiter und fordert 2016 Nachzahlung von Versicherungsbeiträgen in Höhe von knapp 46.000 EUR

Bezüglich der drei weiteren Testfahrer stellte die DRV rückwirkend fest, dass entgegen der Ergebnisse der vorausgegangenen Statusfeststellungen keine selbstständige Tätigkeit vorläge, sondern ein weisungsgebundenes Beschäftigungsverhältnis bei M.G.N. Service und forderte für den Zeitraum März 2012 – September 2014 rückwirkend Sozialversicherungsbeiträge in Höhe von 45.827,28 € inklusive 13.618,50 € Säumniszuschlägen. Als Grundlage hierfür wurde das Ergebnis einer Betriebsprüfung vom 18.04.2016 – 18.08.2016 angeführt. Herr Nuding hat nach eigenen Aussagen hierfür jedoch weder eine Ankündigung erhalten, noch fand bei ihm eine Prüfung statt. Es wurden ausschließlich Rechnungen der Auftragnehmer angefordert und ausgewertet.

Nachdem Herr Nuding gegen den Bescheid Widerspruch einlegte, teilte die DRV mit Schreiben vom 22.05.2017 sodann mit: „Aufgrund der von Ihnen eingesandten Unterlagen ist nicht auszuschließen, dass der Beitragsbescheid nach Abschluss gegebenenfalls noch notwendiger Ermittlungen zumindest teilweise zurückzunehmen ist. Aus diesem Grund wird der Vollzug der Beitragsforderung in voller Höhe bis zum Abschluss des Widerspruchsverfahrens ausgesetzt.(…)“

Es folgt die Unternehmensaufgabe

Nachdem die Firma aus Süddeutschland Ende 2014 Insolvenz anmeldete, hatte Herr Nuding seinen größten Auftraggeber verloren. Gegen ein weiteres Unternehmen, an das Herr Nuding bis Mitte 2016 Testfahrer vermittelte, wurde Anfang 2017 ein Ermittlungsverfahren eingeleitet. Durch den Verlust der Hauptauftraggeber, musste er seine Firma zum 31.12.2016 aufgeben. Das Ausbleiben von Aufträgen und die nicht unbeachtlichen Rechtsverfolgungskosten hatten ihn wirtschaftlich in die Knie gezwungen.

2017 gründete Herr Nuding seine Firma „Nuding Personalberatung“ und übt seitdem zusätzlich eine freiberufliche Dozententätigkeit bei der Deutschen Angestellten Akademie aus.

Risiko der Privatinsolvenz

Herr Nuding hofft, sowohl aufgrund der Feststellungen aus dem Urteil des Sozialgerichts Ulm, das ihn als Verleiher und nicht als Arbeitgeber beurteilte und auch aufgrund des öffentlich-rechtlichen Vertrages, welcher vom Zeitraum her zumindest einen Teil der Tätigkeiten der drei Testfahrer umfasst, hohen Beitragsforderungen zu entgehen. Das Widerspruchsverfahren läuft aktuell noch.

Trotzdem ist für Herrn Nuding noch kein Ende in Sicht, so erhielt er am 25.10.2017 ein Schreiben zur Anhörung über die Rücknahme der Statusfeststellung einer weiteren Mitarbeiterin.

Sollten hier oder auch durch weitere Verfahren noch Nachforderungen von Seiten der DRV auf ihn zukommen, muss er nach eigenen Angaben Privatinsolvenz anmelden.

Für Herrn Nuding ist die gesamte Entwicklung im Hinblick darauf, dass er durch die erste positive Zollprüfung aus dem Jahr 2007 und die stetige Entscheidungspraxis der DRV bei den Statusfeststellungen der Überzeugung war, gesetzeskonform zu handeln, sehr frustrierend. Er wägte sich in Rechtssicherheit, wurde dann jedoch durch die Rücknahme der Statusfeststellungsbescheide eines besseren belehrt.

Vertrauen auf Verlässlichkeit von Behördenentscheidungen vs. schutzwürdiges Interesse

Der Fall von Herrn Nuding zeigt nicht nur ein weiteres Praxisbeispiel für das Unternehmerrisiko „Scheinselbständigkeit“, sondern auch im Vergleich zum Fall von Frau Christa Weidner, unserer Preisträgerin aus dem Jahr 2016, dass eine nachträgliche Korrektur eigener Entscheidungen durch die DRV in Form von Rücknahme bereits getroffener Statusfeststellungen durchaus möglich sind.

Gerade weil von Seiten der Politik dazu angeraten wird, die Frage ob eine selbständige oder abhängige Beschäftigung vorliegt im Wege des Statusfeststellungsverfahrens klären zu lassen, ist es als besonders frag- und kritikwürdig zu betrachten, dass Unternehmer, die sich an diese Regel halten, dadurch keine Rechtssicherheit und Vertrauensschutz hinsichtlich getroffener Behördenentscheidungen erlangen.

Weiterhin sollte wohl beim Handeln der DRV der Schutzzweck der Norm und die dahinterstehende Intention des Gesetzgebers beachtet werden – und zwar erst recht wenn sie über Existenzen entscheidet und ganze Geschäftsfelder wie die der Hauptauftraggeber von Herrn Nuding, die in die Insolvenz gingen, liquidieren kann. Ergibt die Prüfung nämlich nicht dass schutzwürdige Arbeitnehmer vorliegen, die aus Eigeninteresse der Auftraggeber in die Selbständigkeit gedrängt werden, müsste sich die DRV in Zurückhaltung üben und darauf achten, dass nicht das eigene Beitragsinteresse in den Vordergrund tritt.

(Stand der Falldarstellung: 10/18)

Weitere Fälle zum Thema „Scheinselbständigkeit“ in unserer Fallsammlung:
Christa Weidner, IT-Beraterin aus Aschheim
Daniel Moucha, Berlin vs. Bundestagsverwaltung

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