Sozialgericht Lüneburg stoppt SVLFG-Praxis: Gartenbesitzer obsiegt vor Gericht
Herr Zadow wurde mit dem hier dargestellten Fall für den Werner-Bonhoff-Preis-wider-den-§§-Dschungel 2016 nominiert.11/2019: Update zum Fall: SVLFG nimmt eingelegte Berufung zurück!
Herr N. Zadow betreibt als Kleinunternehmer einen Motorrad- und Ersatzteilehandel in Niedersachsen. Er ist Eigentümer eines gut 6.000 qm großen Wiesengrundstücks, auf dem sich auch sein Wohnhaus befindet. Am Haus stehen einige Obstbäume, ansonsten besteht das ausschließlich privat genutzte Grundstück aus naturbelassener Wiese mit einzelnen Bäumen. Der Rasen rund um das Haus wird ab und an gemäht. Eine landwirtschaftliche Bewirtschaftung des Grundstücks findet nicht statt.
Im Juli 2011 teilte die Rechtsvorgängerin der Sozialversicherung für Landwirtschaft, Forst und Gartenbau (kurz: SVLFG) Herrn Zadow mit, dass sie der zuständige Unfallversicherungsträger für die landwirtschaftliche Unternehmen sei, und stellte seine Beitragspflicht ab dem 01. Januar 2011 gemäß § 123 Abs.1 Nr. 4 SGB VII fest.
Info:
Die landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaften wurden historisch mit dem Zweck errichtet, die landwirtschaftlichen Unfallversicherung, die Alterssicherung der Landwirte, die landwirtschaftliche Krankenversicherung und die landwirtschaftliche Pflegeversicherung zu regeln.
Zum 01.01.2013 fusionierten die einzelnen regionalen landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaften, Alterskassen, Krankenkassen und Pflegekassen mit den Berufsgenossenschaften für Gartenbau und denen für Forstwirtschaft, sowie dem Spitzenverband der landwirtschaftlichen Sozialversicherung in den neuen Träger Sozialversicherung für Landwirtschaft, Forsten und Gartenbau mit der Kurzbezeichnung SVLFG. Die SVLFG ist eine bundesunmittelbare Körperschaft des öffentlichen Rechts mit Selbstverwaltung mit Sitz in Kassel. Sie verfügt bundesweit über neun Geschäftsstellen und derzeit 16 Vorstände.
§ 123 Sozialgesetzbuch (SGB) VII:
(1) Die landwirtschaftliche Berufsgenossenschaft ist für folgende Unternehmen (landwirtschaftliche Unternehmen) zuständig, soweit sich nicht aus dem Dritten Unterabschnitt eine Zuständigkeit der Unfallversicherungsträger der öffentlichen Hand ergibt:
1. Unternehmen der Land- und Forstwirtschaft einschließlich des Garten- und Weinbaues, der Fischzucht, Teichwirtschaft, Seen-, Bach- und Flußfischerei (Binnenfischerei), der Imkerei sowie der den Zielen des Natur- und Umweltschutzes dienenden Landschaftspflege, (…)
(…)
4. Park- und Gartenpflege sowie Friedhöfe,
(2) Landwirtschaftliche Unternehmen im Sinne des Absatzes 1 sind nicht
1. Haus- und Ziergärten, (…)
es sei denn, sie werden regelmäßig oder in erheblichem Umfang mit besonderen Arbeitskräften bewirtschaftet oder ihre Erzeugnisse dienen nicht hauptsächlich dem eigenen Haushalt.
Weitere Informationen hier.
Willkürliche Beitragserhebung aufgrund der Grundstücksgröße
Den Einwand des Betroffenen, dass er den Garten rein privat nutzen würde und weder ein landwirtschaftliches Unternehmen nach § 123 Abs.1 Nr. 1 SGB VII noch nach § 123 Abs. 1 Nr. 4 SGB VII vorliegt, hielt die SVLFG entgegen, dass Haus- und Ziergärten nur bis zu eine Größe von 2.500 qm keine landwirtschaftlichen Unternehmen wären und ihre Zuständigkeit bereits aufgrund der vorliegenden Größe des Grundstücks gegeben sei. Die tatsächliche Nutzung und Bewirtschaftung des Grundstückes im Einzelfall werden nicht berücksichtigt.
Hintergrund der Argumentation der SVLFG ist die gesetzliche Regelung des § 5 SGB VII, nach der sich Inhaber landwirtschaftlicher Unternehmen im Sinne des § 123 Abs.1 Nr.1 SGB VII auf Antrag von der Beitragspflicht befreien lassen können, wenn ihr Grundstück nicht größer als 2.500 qm ist. Im Umkehrschluss sieht die SVLFG jeden Besitzer eines Grundstückes, dessen Größe diese Grenze überschreitet, als beitragspflichtig an und argumentierte auch so gegenüber Herrn Zadow. Bemerkenswert ist hier, dass die SVLFG, als sie ihre Zuständigkeit schriftlich feststellte, diese jedoch gar nicht an § 123 Abs.1 Nr.1 SGB VII, sondern an § 123 Abs.1 Nr.4 SBG VII(Park- und Gartenpflege) knüpfte. Bei der Regelung des § 123 Abs.1 Nr. 4 SGB VII spielt jedoch die Grundstücksgröße im Hinblick auf eine Befreiung nach § 5 SGB VII überhaupt keine Rolle. Der Aufbau der Argumente der SVLFG bezogen auf Zuständigkeitsfeststellung und daraus resultierender Beitragsbegründung ist somit nicht nachvollziehbar.
Info:
Da sich die SVLFG nach zahlreichen Teilnehmerberichten immer wieder argumentativ auf die überschrittene Grundstücksgrenze von 2.500 qm als Merkmal für eine angeblich daraus resultierende Beitragspflicht beruft, sind an dieser Stelle die Hintergründe der in § 5 SGB VII festgelegten Grenze im Gesetzgebungsverfahren im Zuge der Entstehung der SVLFG nennenswert:
Am 05.12.2011 erging eine Empfehlung der Ausschüsse im Bundesrat zum Gesetzesentwurf zur Neuordnung der Organisation der landwirtschaftlichen Sozialversicherung (Bundesrat Drucksache 698/1/11). Die Empfehlung erging vom federführenden Ausschuss für Arbeit und Sozialpolitik, dem Ausschuss für Agrarpolitik und Verbraucherschutz, dem Finanzausschuss und dem Gesundheitsausschuss. Zur Regelung des § 5 SGB VII empfahlen die Ausschüsse, die dort vorgesehene Grenze von 2500 qm auf 10.000 qm hinaufzusetzen. Als Begründung führten sie unter anderem an:
„Aktuell führt die gesetzliche Grenze bei Kleinstunternehmen und Hobby-, Land- und Forstwirten zu unbilligen Härtefällen. Der Beitrag übersteigt den Nutzen unverhältnismäßig. (…) Diese Problematik soll durch eine erweiterte Möglichkeit der Befreiung von der Versicherungspflicht beseitigt werden. Das Schutzziel des Gesetzgebers wird durch die bestehende Regelung zum Teil überdehnt. In diesem Zusammenhang ist anzumerken, dass die genannten Probleme u. a. entstehen, weil die Überschreitung dieser Fläche als alleiniges Indiz für das Vorliegen einer Bodenbewirtschaftung genutzt wird. Die Tatbestandsmerkmale „planmäßige wirtschaftliche Tätigkeit von nicht ganz kurzer Dauer und einigem Umfang“ und „aktives Handeln“ werden nicht ausreichend geprüft bzw. zu großzügig bejaht. (…) Den Bewirtschaftern von Kleinstflächen, die diese in nicht nennenswertem Umfang nutzen oder bewirtschaften, wird mit der Anhebung der Versicherungsbefreiungsgrenze so die Möglichkeit eröffnet, selbst über eine Schutzbedürftigkeit in der gesetzlichen Unfallversicherung zu entscheiden.“
Die Gegenäußerung der Bundesregierung vom 25.01.2012 (Bundestag Drucksache 17/8495) ging auf die von den Fachausschüssen geäußerten Bedenken nicht ein und stellte allein darauf ab, dass für eine weitreichende Änderung eine gründliche Prüfung erforderlich wäre und diese gravierende, finanzielle Auswirkungen hätte.
Der Empfehlung der Ausschüsse wurde nicht gefolgt. Die Grenze verblieb bei 2.500 qm und kann demzufolge für alle Besitzer von Gärten ab 2.501 qm (diese Größe ist gerade in ländlichen Regionen keinesfalls unüblich) eine Beitragspflicht zur Berufsgenossenschaft auslösen.
Im April 2012 erhielt Herr Zadow einen Beitragsbescheid für das Jahr 2011. Der eingelegte Widerspruch verlief erfolglos, sodass er im Juli 2012 Klage am Sozialgericht Lüneburg erhob.
Im April 2013 – eine Entscheidung war vom Sozialgericht noch nicht ergangen – forderte die SVLFG nun auch für das Jahr 2012 Beiträge zur Unfallversicherung, sowie einen Beitragsvorschuss für das Jahr 2013. Auch gegen diesen Bescheid legte Herr Zadow Widerspruch ein, der abgewiesen wurde. Er erhob auch gegen diesen Bescheid Klage am Sozialgericht Lüneburg. Die beiden Verfahren wurden vom Gericht zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden.
Sozialgericht erachtet Rechtsauffassung der SVLFG als unzutreffend
Am 26. Mai 2015 erfolgte die Entscheidung des Sozialgerichts Lüneburg (Urteil vom 26. Mai 2015, Az.: S 2 U 97/12). Das Gericht erachtete die Klage als begründet und hob die angefochtenen Beitragsbescheide als rechtswidrig auf. Die Urteilsbegründung der Kammer ist überzeugend und lesenswert. Die bisher von der SVLFG vertretene Rechtsauffassung wird als unzutreffend und nicht vom Gesetz getragen bezeichnet. So führt das Gericht unter anderem aus, dass § 5 SGB VII nicht rechtfertige, dass alle (Garten-)Grundstücke, welche eine Größe von 2.500 qm überschreiten, landwirtschaftliche Unternehmen seien. „(…)
Vielmehr sei § 5 SGB VII erst dann anwendbar, wenn feststeht dass ein landwirtschaftliches Unternehmen im Sinne des § 123 Abs.1 Nr.1 SGB VII mit der genannten Größe auch tatsächlich betrieben werde. Eine Übertragung der in § 5 SGB VII geregelten Situation auf Haus- und Ziergärten ist demgegenüber vom Gesetzgeber nicht gewollt, da er diese gerade wegen ihres der privaten Lebenssphäre zuzurechnenden Charakters ausdrücklich nicht als landwirtschaftliche Unternehmen angesehen hat. Nach dem eindeutigen Wortlaut des § 123 Abs. 2 SGB VII ist ein Haus- oder Ziergarten vielmehr ausnahmsweise nur dann als landwirtschaftliches Unternehmen anzusehen, wenn er regelmäßig mit besonderen Arbeitskräften bewirtschaftet wird oder dessen Erzeugnisse nicht hauptsächlich dem eigenen Haushalt dienen. Auf die Größe des Grundstücks wird daher im Gesetz gerade nicht abgestellt. Die Ansicht der Beklagten, nach der es auf die konkrete Nutzung nicht ankommen soll, steht daher auch aus diesem Grund im offensichtlichen Widerspruch zum Gesetz (…)“
Urteil als wichtiger Etappensieg
Auch wenn das von Herrn Zadow erstrittene Urteil bisher nicht rechtskräftig ist, da die SVLFG Berufung zum Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen eingelegt hat (Anm.: Update 11/19 !), stellt es aufgrund der richtigen gesetzessystematischen Argumentation des Sozialgerichts einen Erfolg für alle Gartenbesitzer dar, die wie Herr Zadow zu Unrecht als „landwirtschaftliche Unternehmen“ zu einer Beitragspflicht herangezogen werden, obwohl sie als private Grundstücksbesitzer, die ihr Grundstück nicht bewirtschaften, sondern nur zu privaten Erholungszwecken nutzen, überhaupt nicht schutzbedürftig im Sinne des SGB VII sind. Dies dürfte mehrere hunderttausend Gartenbesitzer deutschlandweit betreffen.
Seit mehreren Jahren melden sich im Rahmen unseres Projektes viele verunsicherte Betroffene, die ähnlich wie Herr Zadow sehr überraschend von der SVLFG zu einer Beitragspflicht herangezogen werden. Die meisten Betroffenen schlucken die Zwangsbeiträge, da diese meist um 200 € p.a. betragen und damit unterhalb der Schmerzgrenze liegen.
Herr Zadow zeigt mit seinem Fall, dass er Bürokratismus nicht still hinnimmt, sondern durch sein Engagement „Licht“ ins Dunkle von fragwürdiger Verwaltungspraxis bringt. Mit dem veröffentlichten Urteil des Sozialgerichts Lüneburg hat er weiterhin eine Hilfestellung für andere Betroffene und damit einen Beitrag für das Gemeinwohl erwirkt, der sich nun hoffentlich durchsetzt und die eigenmächtige Praxis der SVLFG in die Schranken weist.
Stand der Falldarstellung: 03/2016
Lesen Sie hier, einen Sozialkritischen Kommentar vom Teilnehmer N. Zadow (22.08.2016)
11/2019: Update zum Fall: SVLFG nimmt eingelegte Berufung zurück!