Werkstatt nach 30 Jahren versiegelt wegen angeblich erloschener Baugenehmigung
Der Kfz-Meister Rolf Naßhan betreibt seit Ende der 1970er Jahre eine Autowerkstatt im baden-württembergischen Schwetzingen. Auf dem Grundstück der Werkstatt befand sich seit den 1960er Jahren eine Fahrschule, zu der auch eine Kfz-Werkstatt gehörte. Für den Bau dieser Werkstatt hatte die Stadt Schwetzingen 1964 den damaligen Eigentümern des Grundstücks eine Baugenehmigung erteilt. Der damalige Fahrschulinhaber nutze die Werkstatt mit Hebebühne zur Reparatur von Fahrschulfahrzeugen. 1979 überließen die Eigentümer Herrn Naßhan das Werkstattgebäude zur Nutzung. Bis 1984 baute er seinen Kfz-Reparaturbetrieb dort auf, nutzte die Werkstatt jedoch zwischenzeitlich nur sporadisch. Aus gesundheitlichen Gründen konnte er oft wochenlang den Reparaturbetrieb nicht aufrechterhalten. Eine Zeit lang arbeitete er auch in anderen Firmen. In der Werkstatt führte er jedoch kontinuierlich z.B. kleinere Reparaturen u.a. an den Fahrzeugen der Fahrschule durch.Seit Anfang 2013 führt Herr Naßhan seinen Betrieb wieder vollständig in der Werkstatt. Er nahm dazu einige Umbauarbeiten im Werkstattinneren vor, z.B. trennte er einen Büroraum ab und zog eine Zwischendecke ein. Mit Bescheid vom 20.02.2013 verfügte das Bauamt die sofortige Einstellung dieser Arbeiten. Man habe am festgestellt, dass „auf dem Grundstück Arbeiten zur Einrichtung einer Kfz-Werkstatt zur Reparatur von Kraftfahrzeugen und Motorrädern durchgeführt wurden“. Eine solche Nutzungsänderung sei baurechtlich genehmigungspflichtig, eine Genehmigung liege jedoch nicht vor und sei auch nicht beantragt.
Herr Naßhan legte am 28.02.2013 Widerspruch gegen die Verfügung ein. Nun wurde die Stadt aktiv. Sie überprüfte alte Unterlagen, führte mehrere Ortsbesichtigungen durch und befragte die Grundstückseigentümer und Nachbarn. Am 29.04.2013 ging eine schriftliche Beschwerde mehrerer Nachbarn bei der Stadt ein. Seit der Intensivierung der Kfz-Werkstatt-Tätigkeiten sei viel Lärm- und Geruchsentwicklung entstanden. Andere Nachbarn bestätigten, dass Herr Naßhan „seit sie denken können“ in der Werkstatt tätig war. Unterlagen, die das belegten, konnten der Stadt indes nicht vorlegt werden.
Versiegelung der Werkstatträume – 50 Jahre alte Baugenehmigung sei „erloschen“
Mit Bescheid vom 22.11.2013 untersagte die Stadt Herrn Naßhan schließlich die komplette Nutzung der Werkstatt und ordnete deren Versiegelung an. Zur Begründung führet sie an, die Nutzung des Gebäudes als Werkstatt sei seit ca. 1980 aufgegeben worden. Herr Naßhan könne keine Unterlagen aus den zurückliegenden Jahren vorlegen, die seine Nutzung der Werkstatt beweisen könnten. Es sei daher davon auszugehen, dass die Baugenehmigung aus dem Jahre 1964 durch Nutzungsaufgabe erloschen sei.
Herr Naßhan wehrte sich zunächst erfolglos im einstweiligen Rechtsschutz gegen diese Maßnahme. Das Verwaltungsgericht Karlsruhe wies seinen Eilantrag im Mai 2014 – 5 Monate nach Antragsstellung – zurück.
Im Hauptsacheverfahren gab die 5. Kammer des Verwaltungsgericht Karlsruhe Herrn Naßhan am 29.04.2015 schließlich Recht und entschied, dass die Nutzungsuntersagung rechtswidrig war. Es habe keine Nutzungsaufgabe stattgefunden. Die Baugenehmigung aus dem Jahr 1964 sei daher nicht erloschen.
Herr Naßhan durfte schließlich nach 1 ½ Jahren die Siegel entfernen und seinen Werkstattbetrieb im Mai 2015 wieder aufnehmen.
Nachbarn unterstützen Herrn Naßhan und gründen Verein
Herrn Naßhan traf die Versiegelung der Werkstatt hart. Er musste seinen Betrieb einstellen und ALG II beantragen. Viele Nachbarn konnten die drastische Maßnahme des Bauamtes nicht nachvollziehen. Sie setzten sich für Herrn Naßhan ein und wandten sich mit einem Brief und einer Unterschriftenaktion an die Stadt: „Wir alle empfinden Rolf Naßhan als einen sehr angenehmen Menschen. Sein Werkstattbetrieb stellt in keiner Weise eine Störung für uns im gemeinsamen Zusammenleben dar. Die Versiegelung des Betriebes hat zur Folge, dass die ganze Existenz von Rolf Naßhan auf dem Spiel steht. Dadurch würde ein neuer Sozialfall für die Stadt Schwetzingen entstehen. Ist dies wirklich so von der Stadt gewünscht?“ Eine Reaktion darauf seitens der Stadt gab es nicht.
Der Fall von Herrn Naßhan hatte zur Folge, dass sich aus der Nachbarschaftsinitiative ein Verein gegründet hat. Der Verein „Aktive Bürger für Gemeinden mit Zukunft e. V.“, dessen Zweck „die Unterstützung von Bürgern, die sich von Behörden missverstanden fühlen sowie die Förderung des Dialogs der Behörden mit den Bürgern“ ist. Eines der Gründungsmitglieder des Vereins kandidiert für die Oberbürgermeisterwahl im September 2016.
Stand der Falldarstellung: 08/2016