Drohender Abriss durch fehlende Ermessensausübung
Die maßstabssprengende Wirkung unter Auslösung städtebaulicher Spannungen der Umgestaltung einer Dachgeschossterrasse zu einem überdachten Raum infolge der damit verbundenen Erhöhung der Geschossflächenzahl von 0,47 auf 0,5.
Herr Dr. Melerowitz baute 1999 eine ihm gehörende Ein-Zimmer-Dachgeschosswohnung zu einer Zwei-Zimmerwohnung aus, indem er die vorhandene, von drei Seiten umbaute 43 qm große Dachterrasse mit einem Dach versah und die zur Straße gelegene, mit einer Brüstung versehene Terrassenseite schloss. Die Baumaßnahme stand im Zusammenhang mit einer Sanierung des Terrassenbodens, durch den immer wieder Feuchtigkeit in die darunterliegenden Räume gedrungen war. Die Wohnung konnte jahrelang nicht vermietet werden.
Im Februar 2001 beantragte Herr Dr. Melerowitz bei der Abteilung Bauen, Planen und Umweltschutz des Bezirksamtes Berlin-Spandau nachträglich eine Baugenehmigung mit der Abweichung von der tatsächlichen Baumaßnahme, dass der Bauantrag eine Vollverglasung des Zwischenraumes zwischen der Brüstung der Terrasse und dem Dach vorsah.
Das Bezirksamt lehnte die Erteilung der beantragten Baugenehmigung ab und wies den eingelegten Widerspruch mit der Begründung zurück, die Überbauung der Dachterrasse erhöhe die ohnehin schon überschrittene durch den Bebauungsplan vorgeschriebene Geschossflächenzahl von 0,4 um 0,03 von 0,47 auf 0,5.
Die Voraussetzungen für eine Befreiung, insbesondere auch die städtebauliche Vertretbarkeit, lägen nicht vor. Das Vorhaben löse städtebauliche Spannungen aus und von seiner Größenordnung gingen maßstabssprengende Wirkungen aus, die die bauliche Situation durch die erreichte hohe bauliche Dichte erheblich verschlechterten. Die vorhandene Gebietsstruktur werde durch die Gebäudeerweiterung nachhaltig geändert, wobei u.a. unter Zugrundelegung des Gleichbehandlungsgrundsatzes bei der Bescheidung von Folgeanträgen von einer massiven Verdichtung auszugehen sei, die eine geordnete städtebauliche Entwicklung gefährde und somit dem wesentlichen Planungsgrundsatz des §1(5) BauGB widerspreche.
Die vom Bezirksamt in den Mittelpunkt seiner Argumentation gestellte maximale Geschossflächenzahl von 0,4 würde durch die Überdachung nur dann überschritten, wenn man davon ausgeht, dass die Gatower Straße, an der das Grundstück liegt, zu Lasten der Grundstücksfläche um 6m verbreitert würde. Diese Möglichkeit sieht der Bebauungsplan von 1965 vor. Inzwischen haben sich die Verhältnisse jedoch grundlegend geändert. Die Gatower Straße war damals eine wichtige Durchgangsstraße im britischen Sektor und hatte strategische Bedeutung. Die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung plant bis 2030 überhaupt keine Verbreiterung der Straße und danach, wie sie Herrn Melerowitz 2004 auf Anfrage mitgeteilt hat, eventuell Veränderungen, die einen Streifen von 3 m Breite erfordern. In diesem Falle wäre die Geschossflächenzahl von 0,4 durch die Überdachung der Terrasse nicht in Frage gestellt.
Nach Einschaltung des Petitionsausschusses des Berliner Abgeordnetenhauses erklärte sich das Bezirksamt mit dessen Kompromissvorschlag einverstanden, die Terrasse nach Rückbau mit einem vollverglasten Wintergarten zu versehen. Den wollte Dr. Melerowitz jedoch nicht akzeptieren, weil er enorme Energiekosten für die Heizung im Winter und die Kühlung im Sommer verursacht hätte. Streitig ist seitdem im Grunde nur noch das Material der Bedachung, da der Bauantrag ohnehin eine Vollverglasung der Straßenfront oberhalb der Brüstung vorsah.
Im Jahre 2003 klagte Herr Dr. Melerowitz erfolglos gegen die Abrissanordnung des Bezirksamtes. Interessant ist, dass das Gericht seine Entscheidung unter anderem darauf stützte, dass die Beseitigungsverfügung nicht ermessensfehlerhaft sei. Das damit explizit eingeräumte Ermessen des Bezirksamtes hätte dieses grundsätzlich auch zu Gunsten des Klägers ausüben können. Dass es das nicht getan hat, ist nach Auffassung des Anwaltes von Herrn Dr. Melerowitz auf das Auftreten der ursprünglich mit dem Ausbau betrauten Architektin gegenüber dem Bezirksamt zurückzuführen, das in einer Dienstaufsichtsbeschwerde gipfelte. Einen Antrag des Prozessvertreters auf Zulassung der Berufung beim OVG Berlin wies das Verwaltungsgericht ab.
Im Februar 2008 erhöhte das Bezirksamt Berlin-Spandau das zur Durchsetzung der Abrissverfügung festgesetzte Zwangsgeld von 2.000 Euro auf 5.000 Euro. Gegen den Bescheid erhob Herr Dr. Melerowitz wiederum Klage vor dem Verwaltungsgericht. In seiner Klagebegründung trug der Prozessvertreter vor, dass der mit dem Abbau des Terrassendaches und der Umbauung beauftragte Dachdeckermeister sich nicht in der Lage sähe, den Auftrag auszuführen, weil er gemäß der inzwischen in Kraft getretenen Energie-Einspar-Verordnung gezwungen wäre, auf dem nach dem Abriss freiliegenden Terrassenboden statt der aus dem Jahre 1965 stammenden Dämmschicht von 5 cm eine dickere Wärmedämmung mit einer Höhe von 16 cm aufzubringen. Da dann 1. das Niveau der Terrasse höher wäre als das des Wohnraumes und 2. die Wärmedämmung höher wäre als der Tür- und Fensteranschluss, wäre eine Abdichtung in diesem Bereich nicht mehr möglich.
Der Niveauunterschied hätte zur Folge gehabt, dass Regenwasser in die Wohnung gelaufen wäre. Eine fehlende Abdichtung hätte zudem das Problem des Eindringens der Nässe in die unter der Terrasse liegenden Räume wieder aufleben lassen. Unter diesen Umständen müsste Herr Dr. Melerowitz im Falle eines Rückbaues der Terrasse auf die vom Energie-Einspar-Gesetz vorgeschriebene verstärkte Dämmung verzichten. Die Abrissverfügung und die Zwangsgeldbescheide zwingen ihn de facto, wie der Anwalt in seinem Schriftsatz feststellte, gegen geltendes Bauordnungsrecht zu verstoßen.
Stand der Falldarstellung: 2009