„Lebendtransporte meiner Rinder in den Schlachthof nur über meine Leiche!“
1965 übernahm Ernst Hermann Maier, damals 23, den Hof seines Vaters in Ostdorf, Landkreis Balingen. Damals war dort nur eine Handvoll Rinder in einem Kuhstall untergebracht. Schnell stand für Maier fest, dass diese Form der Nutztierhaltung nicht artgerecht ist. Er pachtete eine Weide für die Tiere, wo sie nach anfänglichen Schwierigkeiten bald ihr natürliches Verhalten wieder entdeckten. Heute leben dort so natürlich wie in der Nutztierhaltung möglich auf 70 Hektar Weide ganzjährig und rund um die Uhr 250 Kühe, Bullen und Kälber in einem Herdenverband. Da die Tiere so frei leben, hat Maier sie „Uria-Rinder“ getauft, angelehnt an den Auerochsen „Ur“, der einst wild durch Europas Wälder zog.
Maiers Tiere sollen würdevoll leben. Deshalb bekommen seine Rinder nur natürliches Futter – im Sommer frisches Gras, im Winter Bioheu – und weder Hormone noch Antibiotika verabreicht. Sie tragen keine Ohrmarken. Nicht nur, weil ihnen das Anbringen der Marken Schmerz verursacht, sondern weil diese bei frei lebenden Rindern beim Durchstreifen von Gebüsch immer wieder ausgerissen werden, was zu schwerwiegenden Verletzungen führt. Stattdessen tragen sie einen Chip neben der Schwanzwurzel. Im Gegensatz zur weit verbreiteten Mutterkuhhaltung werden bei Maier Mutterkuh und Kalb nicht nach neun Monaten voneinander getrennt. Sie bleiben ihr ganzes Leben zusammen. Die Herde ist altersdurchmischt und damit ein echter Familienverband.
Maiers Rinder sollen nicht nur würdevoll leben, sondern auch würdevoll sterben. Sie werden deshalb zur Schlachtung nicht transportiert. Wenn ein Rind geschlachtet werden soll, betäubt es Ernst Hermann Maier selbst, durch einen gezielten Kopfschuss mit einer schallgedämpften Waffe. Dies geschieht während es ruht direkt auf der Weide. Er will dem Tier damit Angst, Stress und unnötige Panik vor dem Tod ersparen. Denn seitdem er am 15.10.1986 erleben musste, wie viel Angst, Stress und Qualen sein Bulle Axel bei seiner Verladung zum Schlachthof erleiden musste, gehört für ihn zu einer artgerechten Nutztierhaltung auch eine möglichst stressfreie Tötung. „Weil mir brutales Vorgehen gegen meine Tiere abgrundtief zuwider war und ist und ich es mit meinem Gewissen nicht vereinbaren konnte, haben wir in der Folge die zur Schlachtung vorgesehenen Rinder niemals wieder eingefangen und in den Schlachthof transportiert“, schreibt Ernst Hermann Maier auch in seinem Buch „Der Rinderflüsterer“. Bis er endlich sämtliche Hürden überwunden hatte, um seine Tiere auf seiner Weide zu töten vergingen über 13 Jahre. Bis er das Fleisch EU-weit verkaufen darf, vergehen nochmals 10 Jahre.
13 Jahre bis zur Durchsetzung einer artgerechten Nutztierhaltung
Anfangs lässt der Biolandwirt ein Rind, das geschlachtet werden soll, aus nächster Nähe von einem der ansässigen Jäger erschießen. Jedoch, so stellt er fest, bringen für die Tiere unbekannte Personen immer Unruhe in die Herde und dies ist bei dieser Art der Schlachtung auf jeden Fall zu vermeiden. Deshalb beantragt Ernst Hermann Maier im März 1988 eine Schießerlaubnis und eine Waffenbesitzkarte, um die Tötung selbst in die Hand nehmen zu können. Beides wird ihm von den zuständigen Behörden verwehrt.
Als er wieder ein Rind von einem Jäger erschießen lässt, steht wenige Tage später die Polizei vor der Tür. Es wird gegen ihn ein Strafverfahren wegen Verstoßes gegen das Waffengesetz, Verstoßes gegen das Fleischhygienegesetz und Verstoßes gegen das Abfallbeseitigungsgesetz eingeleitet, das später jedoch eingestellt wurde. Der Biolandwirt und die Jäger waren sich nicht bewusst, dass ihr Verhalten strafbar sein könnte. Ernst Hermann Maier wird darüber belehrt, dass die Tierschutz-Schlachtverordnung vorschreibe, dass seine Rinder Haustiere wären und nur in einem Schlachthof getötet werden dürften. Aber „Lebendtransporte meiner Rinder in den Schlachthof nur über meine Leiche!“, so Ernst Hermann Maier.
Der Landwirt stellt im Oktober 1988 abermals einen Antrag auf Erteilung einer Schießerlaubnis, weil er inzwischen selbst die Jägerprüfung abgelegt hat und damit die die waffenrechtlichen Voraussetzungen erfüllt. Auch das wird jedoch abgelehnt. Maier legt Widerspruch ein und so kommt es zu einem Gerichtsverfahren. Zwar bekommt er vor dem Verwaltungsgericht Sigmaringen Recht, jedoch geht die zuständige Behörde gegen das Urteil in Berufung. Der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg entscheidet zu Gunsten der Stadt Balingen und begründet die Entscheidung mit Verweis auf die Tierschutz-Schlachtverordnung, auf den Schlachthofbenutzungszwang, Fleischhygieneverordnung und das Abfallbeseitigungsgesetz. Letzteres schreibt vor, dass das Blut getöteter Tiere nicht in das Erdreich gelangen darf, weil dies die Gesundheit der Bürger gefährden könnte. Die Entscheidung wird 1991 vom Bundesverwaltungsgericht bestätigt.
1997 stellt Ernst Hermann Maier erneut einen Antrag auf Erteilung einer Schießerlaubnis, der wiederum abgelehnt wird. Abermals geht der Streit vor Gericht. Am 17.12.1997 lehnt diesmal das Verwaltungsgericht Sigmaringen den Antrag ab. Am 27.04.1998 wird die Berufung gegen dieses Urteil vom Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg zugelassen. Am 25.08.2000 entscheidet der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg zu Gunsten des Biolandwirts. Entscheidungsgründe: Die Berufung des Klägers hat Erfolg. Das Verwaltungsgericht hätte der – zulässigen – Verpflichtungsklage auf Erteilung einer Schießerlaubnis stattgeben müssen. Der ablehnende Bescheid der Beklagten vom 27.06.1997 und der Widerspruchsbescheid des Regierungspräsidiums Tübingen vom 18.09.1997 sind rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten. Am 02.05.2001 wird Ernst Hermann Maier endlich nach über 13 Jahren die Schießerlaubnis erteilt.
Zwangsversteigerung in letzter Minute abgewendet
Während sich die Verfahren so lange hinziehen kann Maier nur circa 100 Rinder der immer weiter wachsenden Herde schlachten, doch die Vermarktung ist nur eingeschränkt möglich. Damit ist der Fleischverkauf lediglich ein Tropfen auf den heißen Stein. Wenn Ernst Hermann Maier Geld hat, braucht er es, um Futter für seine Rinder zu kaufen. Das Geld reicht aber hinten und vorne nicht. Trotz dieser aussichtslosen Situation werden 1995 die Mobile Schlacht Box (MSB) und 1997 eine eigene Schlachtstätte fertig gestellt. Um zusätzliche Mittel zu bekommen, werden Stahlhallen gebaut und Landmaschinen sowie Traktoren verkauft. Dennoch geht Maier Pleite. Bei der Zwangsversteigerung seines Hofes am 25.10.2000 gewährt ihm seine Bank als bestrangige Gläubigerin die Möglichkeit, die Zuschläge an die Käufer zu versagen, sollte Maier die geforderte Summe bis zum Zuschlagstermin im Balinger Amtsgericht doch noch aufbringen. Dass niemand in der Bank daran glaubte, dass ihm dies gelingen würde, gestand man ihm erst, nachdem die Summe durch eine einmalige Spendenaktion tatsächlich aufgebracht werden konnte: „Als ich am nächsten Tag die Zeitung aufschlug, musste ich mich durch die Artikel und Kommentare zu unserem Ruin kämpfen. Mittendrin fand ich einen Leserbrief von Ellen Hirt: „Das kann ja wohl nicht wahr sein, dass ein Mann wie Hermann Maier Haus und Hof verliert.“ (…) 475.000 Mark würden das Unglück verhindern, war ihre Meinung, und sie rief die Leserschaft auf, 100 DM auf ein Solidaritätskonto zu zahlen. Sie ging mit gutem Beispiel voran und spendete die ersten 100 Mark“, erzählt Ernst Hermann Maier. In der Folge spendeten über 100 Menschen, teilweise Summen wie 10.000, 30.000 und 50.000 DM. Das Geld wurde auf einem Treuhandkonto hinterlegt und sollte an die Geber zurück fließen, falls die Summe nicht zusammen käme. Am 14.11.2000 fünf Minuten vor 11.00 Uhr, dem Termin bei dem der Zuschlag erteilt werden sollte, rief die Bank im Gericht an, um mitzuteilen, dass die nötige Summe aufgebracht wurde und auf den Zuschlag verzichtet wird. So wurde die Zwangsversteigerung in letzter Minute abgewendet. Dadurch kann der Hof von Maiers Tochter Annette, Diplom-Agraringenieurin, mit tatkräftiger Unterstützung durch seinen Sohn Edgar, Landmaschinen- und Metallbaumeister, weitergeführt werden. Ernst Hermann Maier selbst ist seither mittellos.
Ernst Hermann Maier erfindet Mobile Schlachtbox (MSB) und gründet Uria e.V.
Damit Maier das betäubte Tier von der Weide holen kann und kein Blut ins Erdreich gelangt, was die Gesundheit der Bürger gefährden könnte, erfindet und konstruiert er in den 1990er Jahren die Mobile Schlachtbox (MSB). Das auf der Weide betäubte Tier wird in die Schlachtbox verladen und erst dort mittels Messerstich getötet, so dass es ausbluten kann. Das Blut wird in einer Wanne der Box aufgefangen. Die Box wird dann mit einem Traktor in das Schlachthaus auf Maiers Hof gebracht. Dort wird es von einem Metzger fachmännisch zerlegt. So entspricht die Tötung den Bestimmungen der Tierschutz-Schlachtverordnung. Weltweit gab es damals nichts Vergleichbares zu seiner MSB. Weil es am Geld fehlte, wurde die Box aus Landmaschinen- und Stahlbauschrott zusammengeschweißt und gebaut. Vielen hundert URIA-Rindern hat sie im Laufe der Jahre das Elend der Schlachttiertransporte und der Tötungsmaschinerie in den Schlachthöfen erspart. Dennoch überlegte Ernst Hermann Maier immer wieder, wie diese MSB verbessert und optimiert werden könnte. „Wegen fehlender Mittel konnten diese Gedanken aber lange Zeit nicht realisiert werden. In Zusammenarbeit mit der Uni Kassel Witzenhausen konnte dann mit EU-Fördermitteln ein erster Prototyp der 2. Generation der Mobilen Schlachtbox, MSB II, fertig gestellt werden. Leider konnte dieser Prototyp beim Einsatz in der Praxis noch nicht überzeugen. Am 31.03.2010 wurde dann der zweite Prototyp der MSB II fertig, der in jeder Hinsicht die Erwartungen erfüllt hat“, erklärt der Biolandwirt.
Im Jahre 2004 ist die EU- Fleischhygiene-Verordnung 853/2004 in Kraft getreten.
Alle deutschen registrierten Schlachtbetriebe mussten zwingend bis zum 31.12.2009 eine EU- Zulassung erhalten, andernfalls wurden sie geschlossen. Deshalb wurde für den URIA- Schlachtbetrieb im Jahre 2005 der Antrag auf Zulassung nach EU-Verordnung 853/2004 gestellt. Ende 2009 erschien je ein Beamter vom Veterinäramt Balingen und dem Regierungspräsidium Tübingen. „Der Beamte vom Regierungspräsidium erklärte“, so Ernst Hermann Maier, „in dürren Worten, dass der Antrag des URIA-Schlachtbetriebs abgelehnt und der Schachtbetrieb zum 31.12.2009 geschlossen werden müsse. Gemäß der EU-Verordnung dürften nur noch lebende Tiere in Schlachtstätten angenommen werden. Beim URIA-Schlachtbetrieb würden die Schlachttiere jedoch schon auf der Weide getötet und dies sei nicht zulässig. Als den Herren dann der erste Prototyp der MSB II gezeigt wurde, auf welchem groß geschrieben stand, dass das Geld dafür von der EU kommt, wurde der Mann aus Tübingen in seinem Eifer etwas gebremst.“
Mit einiger Mühe konnte dann die Schließung des URIA-Schlachtbetriebs verhindert und am 21.12.2009 die notwendige Zulassung erhalten werden. Die Schlachtungen wurden in der Folge vom Ministerium für Ländlichen Raum und Verbraucherschutz (MLR)als Notschlachtungen deklariert. Dadurch konnte das Fleisch der geschlachteten Tiere nicht uneingeschränkt vermarktet werden. „Gegen massive Widerstände aus dem MLR“, so der Biolandwirt, „konnte dann mit erheblichen Mühen am 24.03.2011 auch die MSB II eine EU-Zulassung erhalten.“ Damit darf Ernst Hermann Maier nun uneingeschränkt schlachten und das Fleisch EU-weit verkaufen.
1995 gründet Ernst Hermann Maier den Verein Uria e.V. Der Verein fördert die an den Bedürfnissen der Tiere orientierte Nutztierhaltung und ist ein als gemeinnützig anerkannter Tierschutzverein. Er setzt sich insbesondere für die Abschaffung von Schlachttiertransporten ein. Er berät Tierhalter, Metzger, Viehhändler und Behörden bei der Umsetzung tierfreundlicher Haltungs- und Schlachtmethoden. Er leistet politische Lobbyarbeit bei Politikern, Parteien, Verbänden, Organisationen und in der Bevölkerung zur Durchsetzung seiner tierfreundlichen Ziele.
Nominierung für den Werner Bonhoff Preis 2012 und Teilnahme an der Bonhoff-Börse
Mit seinem unermüdlichen sowie konsequenten Engagement für seine Tiere und seinem problemlösungsorientierten Erfindergeist hat Ernst Hermann Maier einen Meilenstein für eine würdevolle und artgerechtete Nutztierhaltung gelegt. 2012 war er deshalb für den „Werner-Bonhoff-Preis-wider-den-§§-Dschungel“ nominiert.
Der Biolandwirt hofft, dass andere interessierte Landwirte seinem Beispiel folgen werden und ebenfalls die Mobile Schlachtbox einsetzen und sich bei Bedarf vom URIA beraten lassen. Derartige Beratungen sind für Vereinsmitglieder kostenlos. Ernst Hermann Maier hat schon oft festgestellt, dass viele Bauern unkonventionellere Wege gehen wollen, aber oft nicht wissen wie und leider immer wieder von Behörden ausgebremst werden. Er hofft auch, dass möglichst viele Menschen bei URIA Mitglied werden, damit der Verein seine Anliegen mit Nachdruck vorantreiben kann. Deshalb ist Maier Teilnehmer der Bonhoff-Börse. Über die Bonhoff-Börse können unternehmerische Menschen Mitstreiter und Unterstützer gegen bürokratische Hürden suchen.
Stand der Falldarstellung: 07/2012
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Download: Pressemitteilung vom 31.07.2012
Weitere Informationen zum Fall:
Weiterführender Link zu Uria
Weiterführender Link zum Kurzfilm auf youtube (SWR)
Information von Uria e.V. auf schwarzwaelder-bote.de (09.12.2020)