„Werner-Bonhoff-Preis“ Gewinner 2022
Marco Scheel, „Nordwolle Rügen“ Bauamt des Landkreises Nordwestmecklenburg

Wollverarbeitung in eigenem ehemaligen Stall oder nur im Gewerbegebiet zulässig?

Mit seinem 2013 gegründeten Unternehmen  „Nordwolle Rügen“ produziert Marco Scheel  nachhaltige und regionale Outdoor- u. Funktionsbekleidung aus Wolle des Pommerschen Landschafs.  2018 kaufte der Unternehmer ein altes Gut in Teplitz (Mecklenburg-Vorpommern), auf dem er neben bereits bestehenden Gebäuden vor allem eines hat – Platz.

Um die Produktion auf seinem Grundstück, das im sog. Außenbereich liegt, auszuweiten, möchte er ehemalige Ställe auf dem eigenen Grundstück unter Erhaltung der Bausubstanz sanieren und umnutzen.  Doch das gestaltete sich schwieriger, als von ihm vermutet. Der Wollunternehmer musste sich mit für ihn unerwarteten, erheblichen Hürden in der Verwaltung auseinandersetzen, weil zunächst weder eine Baugenehmigung noch ein Bauantrag für sein Vorhaben existierte und er dennoch mit seinem Betrieb dort produzierte.

Die zuständige Behörde sah das Vorhaben auf dem Grundstück kritisch. Da vorwiegend Fremdwolle verarbeitet würde, läge aus Sicht des Bauamtes keine Landwirtschaft, sondern ein reines Gewerbe vor, das im Außenbereich nicht zulässig sei. Um evtl. eine Baugenehmigung zu erhalten, müsste entweder die Änderung des Flächennutzungsplanes beantragt und von ihm finanziert werden oder aber er könne sich mit seinem Vorhaben in einem Gewerbegebiet bei Wismar ansiedeln. Dort sei die Produktion rechtlich unproblematisch. Doch was wohl seitens der Behörde als konstruktive Vorschläge gedacht waren, verärgerte den Unternehmer derart, dass er sich in einem Video öffentlich „Luft“ machte, und deutschlandweit eine begrüßenswerte Diskussion, um eine schablonenhafte Verwaltungs- und Rechtsanwendungspraxis auslöste. Trotz bestehender Differenzen duldete die Behörde – während des laufenden Antragsverfahrens – die Produktion genehmigungslos weiter, was dem Unternehmer nicht nur seine Existenz, sondern auch die Arbeitsplätze seiner Mitarbeiter sicherte. Nachdem die Landratswahlen im Frühjahr 2021 für einen personellen Wechsel in der Person des Landrates sorgten, welcher als kommunaler Wahlbeamter die Verwaltung des Landratsamtes leitet, wurde Herrn Scheel im Dezember 2021 die ersehnte Baugenehmigung erteilt.

Marco Scheel ist Gründer der Firma „Nordwolle“ und Eigentümer des „Gut Teplitz“. Das ehemalige Landgut in der Gemeinde Züsow, liegt im Nordosten des Landkreises Nordwestmecklenburg und ist mit mehreren Gebäuden bebaut. Das Grundstück liegt im sog. Außenbereich, was baurechtlich bedeutet, dass die Umgebung wenig Siedlungsstruktur aufweist und nicht im Geltungsbereich eines Bebauungsplans liegt.  Bereits seit 2013 produziert der Unternehmer nachhaltige und regionale Outdoorbekleidung aus der Wolle des vom Aussterben bedrohten Pommerschen Landschafs, eine bedrohte Nutztierrasse, deren Wolle in der Vergangenheit u.a. deshalb vernichtet wurde, weil diese nur bedingt gefärbt werden kann. Seit 2018 produziert Herr Scheel am Firmensitz in Züsow/Teplitz.

Fasziniert von der Landwirtschaft war Marco Scheel schon immer. Bereits als Teenager hatte er sich auf einem benachbarten Hof, auf seiner Heimat-Insel Rügen als Hilfe angeboten, wobei damals bereits das Problem existierte, dass es für die rauwollige Pommernschafwolle kaum Abnehmer gab und sie deswegen häufig als Dünger auf den Feldern entsorgt wurde. Die Idee, eigene Outdoorkleidung aus jener Wolle zu produzieren, kam dem studierten Wirtschaftsingenieur, der begeisterter Windsurfer ist, nach einem Tag auf dem Wasser, an dem er sich einen nachhaltigen, regionalen und aus Naturfasern produzierten Wollpullover wünschte. Da es deutschlandweit keine derartigen Produkte gab, setzte er sich sodann in den Kopf, eigene Kleidung aus Naturfasern zu produzieren, lernte spinnen und stricken.

Mit einem Anfangskapital von damals gerade mal 1500 Euro, ohne jegliche Anschubfinanzierung durch Bankdarlehen und ohne Businessplan, fing er an, sein Unternehmen langsam aufzubauen. Zunächst produzierte er nur in kleinen Mengen, um zu sehen, ob seine Idee von nachhaltiger Outdoorbekleidung aus Mecklenburg-Vorpommern auf dem Markt funktioniert, bevor er weitere hohe Investitionen tätigt. Denn seine zusätzliche Motivation war es, den Preis so zu kalkulieren, dass auch die Haltung des Pommernschafs für die Schäfer, von denen er die Wolle beziehen würde, rentabel ist. Nach und nach stellte er mehr Mitarbeiter ein, zahlte Gewerbesteuern etc.

2018 erwarb Herr Scheel das Grundstück in Züsow, weil sein Vorhaben auf seiner Geburtsinsel Rügen, aufgrund zu hoher Immobilienpreise, nicht realisierbar gewesen wäre. Auf dem Gut Teplitz fand er jedoch alles, was er für sein Vorhaben braucht: Platz und vorhandene Gebäude. Auf dem Grundstück hält der Unternehmer 30 Schafe mit Mutterschafen, Böcken und Lämmern. Diese liefern nicht nur einen Teil der Wolle für die Outdoorkleidung, sondern sie grasen auch auf mehreren Hektar Grünland.  Nachdem die Nachfrage für Scheels regionale Outdoorbekleidung schließlich wuchs, wollte er 2020 seine Produktionsfläche ausweiten und den u.a. das auf seinem Grundstück befindliche, ca. 200 Jahre alte Stallgebäude, sanieren und umbauen. Das zu DDR-Zeiten als Kuhstall genutzte Gebäude, ist umgeben von Feldern und Wiesen und wird seit Jahren nicht mehr genutzt. Bereits von der Größe her, ist der Stall für die heutige Landwirtschaft nicht mehr rentabel.  Das Dach ist eingefallen, die Bausubstanz aber allemal erhaltenswert. Ein idealer Ort, um künftig das Wollflies selbst verarbeiten zu können. Andernfalls hätte das Gebäude verfallen müssen.  Die notwendige Erneuerung von Dach und Estrich erschien daher bereits aus unternehmerischer Sicht deutlich kostengünstiger.

Grundstück im Außenbereich – ist die Wollproduktion privilegiert?

Im Sommer 2020 traf sich der Unternehmer mit Vertretern des Landratsamtes zu Gesprächen darüber, was an dem Ort grds. möglich sei. Dort wurde der Unternehmer, der einfach angefangen hatte zu produzieren, erstmals mit der Frage nach einer sein Vorhaben betreffenden Baugenehmigung konfrontiert. Weder hatte er bis dato einen Antrag gestellt, noch war die bisherige Produktion genehmigt worden, so dass das Vorhaben formell nicht aktenkundig war.  Obwohl die Baufreiheit der Eigentumsgarantie (Art 14 GG) unterfällt, die auch die Befugnis des Grundeigentümers miteinschließt, sein Grundstück baulich zu nutzen, wie er es möchte, kann diese durch Situationsgebundenheit oder einen bestehenden Bebauungsplan eingeschränkt werden.

Deshalb bedarf es bei jeder Nutzungsänderung, unabhängig davon, ob sie im Innen- oder Außenbereich verwirklicht werden soll, eines entsprechenden Bauantrags bei der zuständigen Behörde.  Während sich im Innenbereich Vorhaben i.d.R. nach einem Bebauungsplan verwirklichen lassen, soll der Außenbereich grds. von Bebauung freigehalten werden (§ 35 BauGB).  Aufgrund der Lage des Gutes Teplitz, im sog. Außenbereich, ist Kernvorschrift § 35 BauGB. Diese setzt voraus, dass das geplante Bauvorhaben in dem zumeist naturhaft geprägten Außenbereich einem auf Dauer angelegten landwirtschaftlichen Betrieb dient.

Herr Scheel ist mit der Schafhaltung und der Bewirtschaftung des Grünlands beim Amt für Landwirtschaft und Umwelt angemeldet, die ihn als Landwirt ansieht. Diese Auffassung teilte die Baubehörde des Landkreises jedoch nicht. Rechtlich unproblematisch wäre es nur, wenn Herr Scheel ausschließlich landwirtschaftlich tätig wäre und nur die Wolle der eigenen Schafe verarbeiten würde. Dieses würde als sog. Urproduktion, die nach § 35 BauGB geschützt ist, auch zum Bauen im Außenbereich privilegieren. In den Augen der Bauverwaltung diene die Tierhaltung jedoch als reines „Umgehungsgewerbe“. Vorrangig sei die Wollproduktion. Der Großteil der Wolle stamme nämlich gerade nicht von den eigenen Schafen, sondern werde hinzugekauft. Zudem käme nur ein geringer Teil der Fremdwolle aus der näheren Umgebung, z.B. von Schäfern der Insel Rügen. Der weitaus größere Teil werde aus anderen Regionen in Deutschland bzw. aus Europa (Irland) bezogen. Ein Regionalbezug liege somit offensichtlich nicht auf der Hand. Ein reiner Gewerbebetrieb, wozu die Wollproduktion zählt, sei im Außenbereich jedoch unzulässig.

Vorschlag: Umzug in Gewerbegebiet oder neuer Flächennutzungsplan

Trotz aktiver Unterstützung der Gemeinde Züsow, hielt der Landkreis an seiner rechtlichen Bewertung fest.  Wohl auch mangels eines abschließenden Nutzungskonzepts, das der Unternehmer hätte vorlegen können, passte das Vorhaben auch nicht in die üblichen rechtlichen Schablonen: Die fehlende Privilegierung lasse befürchten, dass sich die Gefahr der Entstehung, Verfestigung oder Erweiterung einer Splittersiedlung realisiere, die zu einer Zersiedlung des Außenbereichs führe und damit eine Beeinträchtigung öffentlicher Belange darstelle, § 35 Abs. 3 Nr. 7 BauGB.

Diese Gefahr sah der Unternehmer in Züsow aber zu keiner Zeit: „Guck doch mal da raus. Wenn du hier rausguckst, da kannste bis zum Horizont gucken, so weit geht ein Feld. Und wenn du an dem Horizont stehst, da kannste noch mal bis zum Horizont gehen, ist immer noch das gleiche Feld. Wo ist denn da ’ne Zersiedelung bitte? Weißt du im Münsterland – meine Frau kommt aus dem Münsterland – da ist ne Zersiedelung, ja da kann man das so sehen, ja. Aber das ist schön, das ist ne schöne Landschaft. Und hier ist Agrarwüste. Und wenn einer kommt und möchte halt irgendwelche alten Ställe irgendwie nutzen (…) Wir können nicht alle mit einem MacBook und einem Chai Latte in Berlin in einem Coworking Space sitzen und die zehnte Dating App erfinden. Es gibt halt ein paar Leute, die irgendwas anfassen müssen, sich die Hände schmutzig machen.“ (Quelle NDR, Die Nordreportage „Wolle for future – Es wird immer bunter“ vom 01.02.2021, ab Minute 23:14 www.youtube.com )

Der Landkreis schlug ihm alternativ vor, seine Produktion nach Wismar zu verlegen, wo gerade ein Gewerbegebiet „auf grüner Wiese“ erschlossen worden sei. Dort könne seine Produktion sogar öffentlich gefördert werden und wäre rechtlich unproblematisch. Für die Umsiedlung stelle man ihm einen „Verwaltungslotsen“ zur Seite, der ihm bei den Behördenkontakten helfen könne. Andernfalls sei für das Gebiet, um ggf. eine Genehmigung für die Umnutzung zu erhalten, eine neue Bauleitplanung und im Anschluss ein neuer Flächennutzungsplan nötig, den der Unternehmer im Amt Neukloster stellen müsse. Schließlich müsse im Nachgang an die Änderung ein neuer Bauantrag gestellt werden.

Was seitens der Verwaltung wohl als konstruktiver Vorschlag gedacht war, hätte für Marco Scheel jedoch nicht nur hohe unternehmerische Risiken bedeutet, sondern vor allem auch nicht unerhebliche Kosten. Um das gesamte neue Planverfahren auf den Verwaltungsweg zu bringen, hätte Herr Scheel hierfür finanziell aufkommen müssen, weil dieses Planverfahren aus Sicht des Gesetzes rein privatwirtschaftlichen Interessen diene. Zwar sei diese Hürde für Herrn Scheel grds. unternehmerisch tragbar, allerdings nur, wenn ein mögliches Planfeststellungsverfahren zur sicheren Genehmigungsfähigkeit des Vorhabens geführt hätte. Ein Umzug in ein Gewerbegebiet kam für Herrn Scheel nicht in Frage, weil er nicht einfach „irgendwo“ produzieren will, sondern auf seinem Grundstück, wo er sich mittlerweile verwurzelt sieht und sich etwas aufgebaut habe. Nicht nur er, sondern auch seine Mitarbeiter leben in der Umgebung. Er könnte ja nachvollziehen, wenn er etwas Neues bauen wollte, dass dieses im Außenbereich nicht zulässig sei. Aber das will er gerade nicht. Die Scheune, die auf dem Grundstück unverändert seit 200 Jahren steht, will er lediglich „umnutzen“.

Herr Scheel berichtet, dass er nach dem Gespräch mit dem Landkreis zum Amt in Neukloster gegangen sei. Doch anders als der Landkreis, habe das Amt in Neukloster eine Änderung des Bebauungsplanes als nicht zwingend notwendig angesehen, denn das Vorhaben könne grds. auch ohne eine Änderung umgesetzt werden. Die seitens der Behörden vorgetragenen unterschiedliche Rechtsauffassungen zur Umnutzung der Scheune, ließen den Unternehmer ratlos zurück und er fühlte sich im Stich gelassen. Als Laie hatte er die Erwartung, dass man ihm in einer Behörde rechtssichere Auskünfte erteilen könne.

Öffentliche „Wutrede“ löste Debatte um Verwaltungskultur und -praxis aus

Die Erfahrungen mit der örtlichen Verwaltung nahm der Unternehmer schließlich zum Anlass, um seinem Ärger über die schablonenhafte Verwaltungs- und Rechtsanwendungspraxis -in einer Sendung des NDR – öffentlich Luft zu machen: „Jetzt soll das Amt Neukloster den Flächennutzungsplan ändern, dann soll die Gemeinde einen Bebauungsplan machen, und dann kann ich einen Bauantrag stellen. (…) Aber die ganzen Planer, die sich natürlich über die Regelung freuen, die bezahl ich…Kann ich aber nicht. Ich habe ja auch keinen Dukatenesel, der Geld scheißt. Wie stellen die sich denn so was vor?“  Scheel kritisierte weiterhin den Vorschlag der Behörde, ihm einen „Verwaltungslotsen“ zur Seite zu stellen: „Ein Verwaltungslotse, der mich durch die Stromschnellen der unteren Verwaltungsbehörden … Ey, Leute. Hört sich mal jemand selber zu? Wenn ich mit Abitur nicht mal mehr in der Lage bin, mich durch die Stromschnellen meiner Verwaltung, die ich bezahle, die für mich da ist, durchzulavieren, dann können wir aufhören. Dann können wir‘s lassen. Ich habe Bock, was anzupacken, ich habe Bock, die Welt zu verbessern, aber irgendwer muss auch mal mitmachen.” Bezüglich der zuständigen Entscheider sagte Herr Scheel: „Und die Leute, die sowas entscheiden, das sind ja keine Bauingenieure oder so. Das sind Leute, die haben Verwaltung gelernt. Verwaltung, das sind vom Beruf Verwalter, die verwalten unseren Reichtum.“ (Quelle NDR, Die Nordreportage I „Wolle for future – Es wird immer bunter“ vom 01.02.2021, ab Minute 23:14  www.youtube.com)

Das Video wurde innerhalb weniger Tage deutschlandweit geteilt und erreichte mehrere hunderttausend Menschen. Scheels „Wutrede“ löste eine begrüßenswerte Diskussion um die gängige Verwaltungspraxis in Deutschland aus, mit der vielerorts unternehmerische Menschen zu ringen haben. Die zuständige Bauverwaltung traf ebenfalls harsche Kritik. In einem Interview des Redaktionsnetzwerks Deutschlands, vom 08.02.2021, rechtfertigte sich der Bürgermeister der Stadt Neukloster Frank Meier jedoch zu den Vorwürfen des Unternehmers: „Die Produktion von Herrn Scheel könnte ohne Abstriche in jedem Gewerbegebiet Deutschlands stattfinden. Landwirtschaftliche Fläche und landwirtschaftliche Gebäude braucht es dazu nicht. Damit verstößt diese Nutzung gegen geltendes Recht. (…) Ein gutes Unternehmerkonzept und ein guter medialer Auftritt entbinden nicht von rechtlichen Regelungen, an die sich Tausende anderer Unternehmer gehalten haben und halten. Man hat Wege aufgezeigt, wie man eine rechtssichere Genehmigung erreichen kann. Das halte ich für zumutbar.“ (www.rnd.de)

Die Behörde ist hier grds. im Recht, wenn sie sich auf geltendes Recht beruft und darauf hinweist, dass jede nicht genehmigte Umnutzung eines Gebäudes rechtswidrig ist. Dass von demjenigen, der ein Vorhaben plant, grds. erwartet werden kann, sich mit den hierfür notwendigen formalen Regularien des Baurechtes auseinandersetzen, zur Not auch unter zu Hilfe Name eines Rechtsexperten, ist unbestritten. Letztlich ist es Aufgabe der Bauverwaltungen zu prüfen, ob ein Vorhaben – gerade im geschützten Außenbereich – rechtlich zulässig ist oder nicht.

Ein und dieselbe Frage stößt im selben Bundesland auf eine andere rechtliche Bewertung?

Allerdings müssen Entscheidungen rechtssicher ergehen und für den durchschnittlichen Adressaten verständlich und nachvollziehbar sein, ohne sich hierfür eines Rechtsbeistandes bedienen zu müssen. Ob und wie im ländlichen Raum jedoch gebaut werden kann, scheint in Mecklenburg-Vorpommern zumindest auf rechtlich unterschiedliche Bewertungen zu stoßen. Zum Fall Scheel äußerte sich beispielsweise der Amtsvorsteher und Bürgermeister der Gemeinde Passee des Landkreises Nordwestmecklenburg, Herr Adolf Wittek, am 5. Februar 2021 auf seinem Facebook-Account: „Leider kein Einzelfall in unserem Landkreis. Die Verantwortlichen in der Kreisverwaltung sollten sich mal Gedanken machen wie frustrierend ihre Arbeit ist für unsere Bürger. In unseren Landkreis einen Bauantrag zu stellen, führt zu oft zu solcher Frustration, nicht jeder kann es so gut rüberbringen.“ (Quelle: www.facebook.com). Bereits zuvor kritisierte er in seiner Funktion als Amtsvorsteher, dass die Bauordnung des Landkreises, bauen im ländlichen Raum absichtlich verhindern würde.

In dieser Allgemeinheit kann diese Aussage nicht hinreichend überprüft werden, allerdings stützt es die Vermutung, dass der Landkreis mit dem Vorschlag, den Betrieb von Herrn Scheel lieber im Gewerbegebiet bei Wismar anzusiedeln, den für ihn leichteren Weg der Umsetzung bevorzugte. Allerdings entbindet ein einfacher Weg die Verwaltung nicht davon, rechtlich vertretbare Lösungen zu finden, wenn diese grds. möglich sind. Denn nicht zuletzt ist nachvollziehbar, dass Herr Scheel als Grundstückseigentümer auf seinem eigenen Territorium bleiben möchte, bereits aus Kosteninteresse. Wünschenswert wäre, das von vornherein   die   Belange    des    betroffenen Bürgers und Unternehmers als Adressat des Verwaltungshandelns in den Blick genommen werden. Dabei geht es darum, das Verwaltungsermessen im Sinne der Rechtsordnung und im Gemeinwohlinteresse auszuüben und Vorhaben da zu ermöglichen, wo öffentliche Belange nicht entgegenstehen. Wenn innerhalb des rechtlichen Erlaubten verschiedene Auffassungen denkbar erscheinen, sollte die Verwaltung stets versuchen, als Ermöglicher zu agieren und Antragssteller dabei zu unterstützen, das Vorhaben an dem Ort der Wahl umzusetzen.

Im Fall der Firma Nordwolle waren im Rahmen des rechtlich Möglichen rechtlich funktionierende Lösungen denkbar. Der Unternehmer hält nicht nur eigene Schafe, er bewirtschaftet auch seine Grünflächen. Zudem möchte er im Außenbereich nichts Neues bauen, sondern bestehende Ressourcen auf seinem Grundeigentum nutzen. Die Wände der Scheune aus Naturstein bleiben stehen, nur das Dach soll erneuert werden. Gleichzeitig befindet sich das Gebäude inmitten von Feldern und Wiesen. Da die Produktion von Wollpullovern u.a. aus Wolle der eigenen Schafe genutzt werden soll, erscheint es eher abwegig, dass die Umnutzung eines ehemals landwirtschaftlichen genutzten zu einem gewerblich genutzten Gebäude, eine Zersiedelung ernstlich befürchten lassen soll, da das Gebäude bereits vorhanden ist und hier keine neuen Gebäude hinzukommen. Die Gefahr einer Splittersiedlung kann insoweit ebenfalls ausgeschlossen werden, weil es sich bei dem Vorhaben nicht um ein atypisch landwirtschaftsfremdes Vorhaben handelt, wie z.B. eine Eisdiele oder eine Boutique, die Herr Scheel dort betreiben möchte.  Neben der Haltung eigener Schafe, bei der er durchaus landwirtschaftlich arbeitet, produziert er Wollpullover aus Eigen- und Fremdwolle, so dass grds. vermittelnde Lösungen i.S.e. „mitgezogenen Nutzung“ denkbar wären, die Mischbetriebe im Außenbereich rechtlich ermöglichen (wie beispielsweise ein Pensionsbetrieb, was heutzutage einigen Landwirten hilft, ihr Auskommen zu sichern).

Da sich auf dem Grundstück mehrere Gebäude befinden, wäre von Beginn an eine Lösung denkbar gewesen, Scheels Vorhaben vor Ort zu unterstützen. In einem Stall hätte nur die eigene Wolle verarbeitet werden können, weil diese dann als landwirtschafte Urproduktion gilt. In einem weiteren Gebäude hätte der Unternehmer Fremdwolle verarbeiten können. Diese Gewerbe wäre dann als sog. „mitgezogene Nutzung“ zur landwirtschaftlichen Urproduktion trotzdem genehmigungsfähig. Diese Lösung hätte im Fokus, dass sowohl unternehmerische Interessen als auch Schutzpflichten der Verwaltung gleichzeitig verwirklicht werden könnten. Zudem ist die sog. „Mitgezogene Nutzung“ typisch in der heutigen Zeit und resultiert aus dem Umstand, dass viele Nebenerwerbslandwirte mit einem weiteren Betrieb, der nicht notwendigerweise ebenfalls landwirtschaftlich geprägt ist (z.B. Pension), ihre Existenz sichern und so die Möglichkeit erhalten, auf ihrem Grundstück zu bleiben.

Gleichwohl muss man im Fall Scheel dem Landkreis zugutehalten, dass dieser trotz bestehender Differenzen die Produktion zunächst genehmigungslos weiter duldete und den Betrieb nicht untersagte, auch wenn ihm dies rechtlich möglich gewesen wäre. Dies sicherte Herrn Scheel nicht nur seine eigene Existenz, sondern auch die Arbeitsplätze seiner Mitarbeiter.

Scheel stellt Antrag auf Umnutzung

Der Unternehmer blieb dennoch hartnäckig dran, um sein Vorhaben auf seinem eigenen Grundstück doch noch verwirklichen zu können, denn für ihn sei eine „so mehrdeutige Situation nicht tolerabel“ gewesen. Grundsätzlich, sagt der Unternehmer, sei er immer ein Freund des Redens und würde nicht ausweichen, wenn es mal schwieriger würde.

Für Herrn Scheel kollidiert auch der gesellschaftliche Wunsch nach Veränderung zu mehr Regionalität und Nachhaltigkeit, mit einem – in seinen Augen – völlig überreguliertem Verwaltungsapparat. Allein die Nutzung von Beton, die für einen Neubau im Gewerbegebiet in Wismar benötigt würde, habe einen enorm hohen Co2 Ausstoß. Für ihn als Unternehmer passe aber der Wunsch nach nachhaltiger, möglichst klimaneutraler Veränderung, nicht mit der bestehenden Verwaltungspraxis zusammen und führe zu einem echten Problem, in solchen Regionen, wo er lebt, was anpacken und verändern zu können. 

Im April, am 02.04.2021, beantragte Herr Scheel online die Umnutzung des ehemaligen Stallgebäudes in eine Produktionsstätte für Schurwoll-Textilien aus Wolleigenproduktion/Schafzucht, die Abtragung/Entfernung von Betonplatten sowie die Einrichtung von 10 PKW-Stellplätzen und die Installation einer Photovoltaikanlage. Hiermit wurde der vorher formal illegale Zustand, zumindest in einen ersten Legalisierungsprozess überführt, dem es der Behörde auch faktisch ermöglichte, eine rechtlich verbindliche Entscheidung zu treffen. Denn letztlich muss die Behörde im Vorfeld antizipieren können, welche zukünftigen Konflikte (z.B. durch Emissionen/ Verkehr/ Nachbarn/ Wasserwirtschaft etc.) entstehen könnten und wie dem begegnet werden kann.

Landratswahlen sorgen für personellen Wechsel im Landkreis

Während sich im weiteren Verlauf das Vorhaben weiter in die Länge zu ziehen schien und sich auch die Kommunikation zwischen Unternehmer und Behörde eher disharmonisch zeigte, kündigten sich im Frühjahr 2021 die Landratswahlen in Mecklenburg-Vorpommern an. Im Zuge dieser schloss sich ein Wechsel in der Person des Landrats an der Spitze der Verwaltung des Landkreises Nordwestmecklenburg an. Der gelernte Landwirt und Landwirtschaftsmeister Tino Schomann, der zuvor hauptberuflich selbst einen familieneigenen Landwirtschaftsbetrieb in Robertsdorf führte, wurde als neuer Landrat gewählt und trat im Juli 2021 sein Amt an.  Bereits während des Wahlkampfes warb Herr Schomann er für eine nachhaltige, umweltschonende sowie klimaschützende Politik, was für ihn auch bedeutete, pragmatisch und innovativ zu denken und zu handeln.

Ob der persönliche Wechsel an der Verwaltungsspitze Auswirkungen auf das Verfahren von Herrn Scheel hatte, lässt sich nicht belegen. Allerdings erschien in der Folge die Dynamik in der Verwaltung verändert: Denn so erhielt Herr Scheel, kein halbes Jahr nach seinem Antrag, am 22.12.2021 die ersehnte Baugenehmigung, die ihm der Landrat persönlich auf seinen Hof brachte. Gegenüber dem NDR machte der Landrat in der Sendung „Auf dem Land“ deutlich, dass er natürlich nicht bei jeder Baugenehmigung persönlich vorbeikäme. „Hier aber schon. Weil Start-Up, junges Unternehmen, Außenbereich und eben nicht in der Stadt und im Gewerbegebiet. Das war mir auch wichtig, dass in Teplitz, hier fernab von vielem, das wir hier jetzt loslegen können.“   Das ganze Verfahren habe in seinen Augen aber: „… normal lang gedauert. Das Baugesetzbuch hat eben auch gewisse Hürden im Außenbereich. Deswegen war es sicherlich auch manches Mal schwierig, zu gucken, was soll hier eigentlich entstehen. Und die Prüfungen, die daraus resultieren, brauchen nun mal Zeit. Deswegen freut es mich aber, dass wir das nun endlich zum Abschluss bringen können und Herr Scheel hier starten kann.“ (Quelle:www.ndr.de)

Das zuvor geduldete, aber noch formell illegale Vorhaben wurde nunmehr legalisiert und Herr Scheel kann mit der Umnutzung des Gebäudes, wenn auch unter Geltung einiger Auflagen, endlich beginnen. Herr Scheel hofft, dass seine Kritik anderen Leuten helfen könnte, die in einer ähnlichen Situation sind, auch wenn ihm bewusst war, dass die Art und Weise, wie er diese formuliert habe, den Weg für sein Vorhaben wahrscheinlich nicht unbedingt erleichtert hat.

Auch wenn dieser Fall am Ende zeigt, dass – mit Durchhaltevermögen und ein wenig öffentlichem Druck- Lösungen möglich sind, macht er auch sichtbar, wie schwierig es ist, wenn junges, praxisorientiertes Unternehmertum auf eine gewachsene, formale Verwaltungskultur trifft und unterstreicht hierbei, welche enorme Bedeutung einer konkreten Problemlösungsorientierung der Verwaltung zukommt. 

Update vom 05.05.2022

Weitere Informationen zum Fall:

15.09.2022: ostseezeitung.de – Nordwolle Rügen-Gründer Marco Scheel gewinnt 50 000-Euro-Preis für Kampf gegen Behörden

15.09.2022: NDR – Teplitzer Jungunternehmer erhält Preis für mutiges Aufmüpfen


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