Bernd Kreis, „High-Fidelity-Bar“ Stuttgart, Baden-Württemberg

Peruanische Spezialitäten in Stuttgarter Weinbar: Unternehmer kämpft mit Hürden bei der Rekrutierung eines Kochs für seine Sanguchería 

 

Der Mangel an qualifizierten Arbeitskräften in Deutschland macht der Gastronomie und auch vielen Betrieben anderer Branchen seit Jahren Sorgen. Auch Bernd Kreis, der in Stuttgart u.a. eine Weinbar betreibt und dort peruanische Spezialitäten anbieten möchte, suchte über Monate nach einem passenden Mitarbeiter. Weil er weder in Deutschland noch in der EU einen für die Stelle qualifizierten Bewerber fand, wollte er sodann einen Koch aus Peru einstellen. Doch dem Bewerber wurde die Arbeitserlaubnis für Deutschland zunächst verweigert. Die Zentrale Auslands- und Fachvermittlung (ZAV) der Bundesagentur für Arbeit blockierte u.a. mit der Begründung, die Dekoration in der Weinbar sei nicht peruanisch genug. Dies sorgte für große Unverständnis bei Herrn Kreis, zumal die Gastronomiebranche seit Jahren händedringend nach qualifizierten Mitarbeitern sucht.
Erst mediale Aufmerksamkeit brachte eine Wendung in seinen Fall.
Der Fall verdeutlicht beispielhaft das wiederkehrende Problem, wenn unternehmerische Interessen einer eingefahrenen und restriktiven Verwaltungspraxis gegenüberstehen, die nicht problemlösungsorientiert entscheidet.

 

Bernd Kreis ist Sommelier und Weinjournalist, der bereits mehrere Auszeichnungen (bspw. mehrfach „Bester Sommelier des Jahres Deutschlands“, „Bester Sommelier Deutschlands und Europas 1992“) erhalten hat. Neben seiner Tätigkeit als Weinexperte ist er Inhaber eines Weinhandels in Stuttgart und betreibt die „High-Fidelity Bar“, die eine Kombination aus klassischer Weinbar, peruanischer Sanguchería und Jazz-Listening-Room ist. Die Bar ist ein unselbständiger Unternehmenszweig seines Weinhandels, in der seine Gäste seltene Weine bei angenehmer Jazzmusik genießen und eine Auswahl an peruanisch inspirierten Speisen probieren können.
Herr Kreis suchte seit Herbst 2021 über mehrere Monate vergeblich nach einer geeigneten Fachkraft für die geplante Sanguchería. Er nutzte verschiedene Kanäle wie die sozialen Medien, das Stellenportal der Bundesagentur für Arbeit oder seinen eigenen Newsletter, aber weder in Deutschland noch in Europa konnte er einen passenden Mitarbeiter finden. Doch ohne einen geeigneten Koch konnte Herr Kreis sein Konzept der Sanguchería nicht umsetzen.


Grundsätzliche Problematik: Fachkräfteengpass in Deutschland
Laut einer aktuellen Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft konnten im Jahresdurchschnitt 2022/2023 etwa 17.000 Stellen nicht besetzt werden, was 38,7 Prozent aller offenen Stellen in den Hotel- und Gaststättenberufen entspricht. Der Engpass ist bei „Koch/Köchin“ mit einer Fachkräftelücke von 7.555 am größten. Trotz eines Anstiegs der Ausbildungsverträge für den Beruf Koch in den vergangenen Jahren, ist keine Besserung in Sicht (Quellen: Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB). https://iab.de/das-iab/befragungen/iab-stellenerhebung/  , sowie https://www.iwkoeln.de/ und https://www.dehoga-bundesverband.de/

Dringende Suche nach einer geeigneten Fachkraft – Match in Peru
Angesichts dieser angespannten Arbeitsmarktlage suchte Herr Kreis nach einer Lösung und erwog, in Peru nach geeigneten Kandidaten für seine Weinbar zu suchen, da die Speisekarte im „High-Fidelity“ eine peruanische Ausrichtung haben sollte. Die peruanischen Sandwiches, genannt „Sánguche“, die der Sommelier in seiner Weinbar u.a. servieren wollte, sind ein echtes Streetfood in Peru und aus den Straßen der Hauptstadt Lima nicht mehr wegzudenken. „Seit ich das erste Mal in Lima war, bin ich vollkommen begeistert von dieser Esskultur, insbesondere von der ursprünglichen Küche. Die Streetfood-Kultur ist dort keine Mode, sondern seit Urzeiten fest verankert“, beschreibt Herr Kreis begeistert.
Zu seiner eigenen Überraschung konnte der Stuttgarter Unternehmer schnell einen erfahrenen Küchenchef in Peru rekrutieren. Der Bewerber hatte zwei Kochschulen absolviert und einen Cooking-Master vom renommierten `Basque Culinary´ Center in San Sebastian (Spanien). Zudem hatte er wertvolle Arbeitserfahrung in Sterne-Restaurants in Thailand und Spanien gesammelt. Da der Stuttgarter Unternehmer bereits Erfahrung mit der Visavergabe für ausländische Mitarbeiter hatte – er hatte vor Jahren einen chilenischen Mitarbeiter angestellt – entschied er sich, die Stelle unter der Option des Spezialitätenkochs anzugeben, um den Koch möglichst schnell beschäftigen und sein durchdachtes Konzept umsetzen zu können.
Doch der Prozess, den peruanischen Koch zur Anstellung nach Deutschland zu holen, erwies sich als problematisch und langwierig.

Arbeitsmarktzulassung für Spezialitätenköche – Vorrangprüfung durch Bundesagentur für Arbeit
Gemäß § 18 Abs. 2 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) können ausländische Staatsbürger aus Drittstaaten, die nicht zur Europäischen Union gehören, einen Aufenthaltstitel zur Ausübung einer Beschäftigung erhalten. Die Zustimmung der Bundesagentur für Arbeit ist grundsätzlich erforderlich (§ 39 Abs. 1 AufenthG), wobei die Zentrale Auslands- und Fachvermittlung (kurz: ZAV) eine Dienststelle der Bundesagentur für Arbeit ist und die Aufgabe übernimmt, für die örtlichen Agenturen für Arbeit weltweit Fachkräfte zu suchen. Innerhalb der EU rekrutiert sie zudem Auszubildende für Arbeitgeber in Deutschland. Auch die Zulassung ausländischer Arbeitskräfte zum hiesigen Arbeitsmarkt ist Aufgabe der ZAV.

Die Beschäftigungsverordnung erlaubt mehrjährige Einsätze von „Spezialitätenköchinnen und Spezialitätenköche“ aus Drittländern in Deutschland (§ 11 BeschV). Diese Köche müssen landestypische Speisen in einem Restaurant entsprechender Prägung zubereiten und die Staatsangehörigkeit des entsprechenden Landes besitzen.

Das Verfahren gestaltet sich so, dass sich der ausländische Koch, nach Abschluss eines Arbeitsvertrags mit den erforderlichen Unterlagen an die Deutsche Auslandvertretung wenden muss, um ein Einreisevisum zu beantragen. Benötigte Unterlagen für den Antrag sind: Erklärung zum Beschäftigungsverhältnis, Speisekarte, Betriebsbeschreibung, Arbeitsvertrag, Lebenslauf sowie Zeugnisse und Qualifikationsnachweise. Die Auslandsvertretung der Bundesagentur für Arbeit (ZAV) prüft die Zulassungsvoraussetzungen und führt eine Vorrangprüfung durch, um sicherzustellen, dass der Arbeitnehmer nicht zu ungünstigeren Bedingungen als vergleichbare inländische Arbeitnehmer beschäftigt wird und ob es geeignete bevorrechtigte Köche auf dem deutschen Arbeitsmarkt gibt. Basierend auf diesen Ergebnissen entscheidet die Bundesagentur für Arbeit über die Arbeitserlaubnis und übermittelt diese Entscheidung an die deutsche Auslandsvertretung, bei der der Antrag gestellt wurde.

Restaurant-Deko wird zum Prüfstein: Schlicht und modern ist nicht peruanisch genug
Anfang Februar 2022 beantragte der Koch zum Zweck der Erwerbstätigkeit sein Visum bei der deutschen Botschaft in Lima und reichte alle erforderlichen Unterlagen ein.
Am 29.08.2022 (sechs Monate später) erhielt der Koch den Ablehnungsbescheid mit der Begründung, dass er nicht über die als Spezialitätenkoch notwendige Berufserfahrung verfügen würde. Weiterhin gebe der Internetauftritt der „High-Fidelity Bar“ nicht her, dass es sich überhaupt um ein Spezialitätenrestaurant handele, weil der Fokus auf einer Wein- und Musikbar läge.
Ende September 2022 trug der Bewerber gegen die ablehnende Entscheidung Einwendungen vor, auf die die Botschaft am 10. Oktober 2022 jdoch abermals mit einer Ablehnung reagierte. Zwar wurde dieses Mal die Qualifikation des Kochs durch die ZAV anerkannt, sie blockierte jedoch u.a. mit der Begründung, dass das Ambiente des Restaurants nicht landestypisch genug sei.
In dem Schreiben der ZAV heißt es hierzu: „(…) Ein Spezialitätenrestaurant muss auch durch das Ambiente den nationalen Charakter des jeweiligen Landes wiedergeben und diesen dem Gast zweifelsfrei vermitteln. Darüber hinaus verbindet sich mit dem Begriff „Spezialitätenrestaurant“ die Erwartung eines bestimmten äußeren Rahmens, der dem Erscheinungsbild einer gehobenen Gastronomie entspricht. (…) Der Außenauftritt der Weinbar High Fidelity in Stuttgart lässt nicht auf ein Spezialitätenrestaurant schließen, auch die sachlich schlichte Ausstattung des Lokals lässt kein landestypisches Ambiente erkennen. (…)“
Herr Kreis bestreitet nicht, auf ein schlichtes, modernes Ambiente zu setzen, weil dieser Stil das Gastro-Konzept unterstreiche. Es gäbe zwar einige stilvolle Fotografien im Lokal aus der Heimat seiner aus Peru stammenden Ehefrau, aber darauf beschränke sich die peruanische Dekoration auch. „Das Vorliegen eines Spezialitätenlokals davon abhängig zu machen, ob z.B. Machu Picchu Bilder an der Wand hängen, sei in seinen Augen aber grotesk und nicht mehr zeitgemäß“, meint er.

Das Betriebskonzept verdeutlich jedoch, dass es sich bei dem Etablissement um eines handelt, in dem die Gäste in stilvoll-gemütlichem Ambiente über eine längere Zeit verweilen sollen. Dem Gast soll ein ganzheitliches Angebot von Kulinarik und Musik offeriert werden, in welchen sie gehobene Service – Weine sowie peruanische Speisen – genießen können.
Die peruanische Affinität des Lokals zeigen die Bilder an den Wänden sowie ein Blick in die

Speisekarte, auch wenn der Name des Lokals dieses nicht offenkundig offeriert.
Dies mag kein alltägliches Konzept sein, jedoch sind es gerade solche Ideen, die den hart umkämpften Markt der Gastronomie in Bewegung halten.
Daher erscheint die Argumentation der ZAV, dass das landestypische Ambiente fehle, auch als nicht zeitgemäß. Schaut man sich die Gastro-Szene an, wird man feststellen, dass sich ein modernes, puristisches Interieur in Restaurants vielerorts – auch im Ausland – durchgesetzt hat. Die Zeiten, in denen bspw. in jedem chinesischen Restaurant mit Bildern von Pandabär-, Wasserfall- und Drachenmotiven dekoriert wurde, damit sich die Gäste sicher sein können in einem landestypischen Spezialitätenrestaurant gelandet zu sein, sind schon lange vorbei.

Peruanische Kulinarik sei erlernbar – Erfolglose Fachkräftesuche bleibt bei ZAV unbeachtet
Neben dem angeblich nicht-peruanischen Ambiente der Weinbar berief sich die ZAV in ihrer zweiten Ablehnung darauf, dass die Zubereitung der peruanischen Speisen auch von jedem anderen Koch (bzw. nicht aus einem Drittland stammenden Koch) erlernbar und daher die Einreise und der Aufenthalt zu versagen sei. Im Ablehnungsschreiben heißt es: „(…) Bei den im Restaurant angebotenen Sánguches handelt es sich um das klassische Streetfood in Peru, welche in ganz Mittel- und Südamerika verbreitet und somit nicht allein Peru zuzurechnen sind (Empanadas und Yucas Fritas). Um diese ausländischen Speisen zubereiten zu können, muss man weder Ausländer sein noch im Ausland eine Kochausbildung erhalten haben. Von jedem ausgebildeten oder erfahrenen Koch kann erwartet werden, dass er auch ausländische Speisen, insbesondere die auf international ausgerichteten Speisekarten üblichen Gerichte – ggf. nach entsprechender Anleitung – zubereiten kann (§§ 18 Abs. 2, 39 AufenthG i.V.m. § 11 BeschV.)“

Auch die Auswahl auf der Speisekarte stieß bei der ZAV ablehnende Argumente an. In dem Schreiben der ZAV hieß es hierzu: „(…) Ausweislich der vorgelegten Speisekarte der Weinbar High Fidelity in Stuttgart besteht das Speiseangebot lediglich aus kleinen Gerichten und Snacks als Weinbegleitung. Als Spezialitätenrestaurants im Sinne der Beschäftigungsverordnung werden Restaurants der gehobenen Kategorie bezeichnet, die eine, einem Land zuzuordnende, unverfälschte Nationalitätenküche anbieten. (…)“

Herr Kreis hatte nicht kommen sehen, dass die Auswahl der peruanischen Speisen zum Stolperstein hätten werden können, denn er hatte unternehmerisch gedacht: Ohne Koch muss er das Speisenangebot klein halten. Perspektivisch hätte er das peruanische Speisenangebot gerne erweitert, dafür benötigte er aber erst einen für die Umsetzung qualifizierten Mitarbeiter. Dem Argument der ZAV, das es sich bei den angebotenen Speisen lediglich um Sandwiches handeln würde (peruanische Streetfoods), konnte Herr Kreis nicht folgen: „was simpel klingt, ist in Peru eine ernste Sache, formvollendet und hochwertig. Es seien eben nicht nur „irgendwelche Sandwiches.“ Zu der Bewertung des Speisenangebotes sollte an dieser Stelle auch angemerkt werden, dass Speisen wie Burritos und Tacos in Mexiko ebenfalls „Streetfood“ sind, im Ausland jedoch als landestypische Spezialitäten in den entsprechenden Restaurants angeboten und auch von Kennern der mexikanischen Küche erwartet werden.
Dass die Zubereitung der peruanischen Speisen auch von einem Koch nicht-peruanischer Herkunft erlernbar sei, mag grundsätzlich der Fall sein und wird auch von Herrn Kreis dem Grunde nach nicht bestritten. Fraglich ist jedoch, wie ein Koch ohne die entsprechenden Kenntnisse im Betrieb von Herrn Kreis hätte qualifiziert werden können. Der unternehmerisch denkende Gastronom war daran interessiert, einen Mitarbeiter einzustellen, der über das Know-how bereits verfügt und sich dieses nicht erst hätte aneignen müssen, um sodann erst später dem Konzept entsprechend arbeiten zu können. Viel gewichtiger ist jedoch der Umstand, dass Herr Kreis zweifellos gerne viel schneller und unbürokratisch einen Koch aus Deutschland eingestellt hätte– jedoch keinen passenden Bewerber finden konnte. Die geplante Einstellung des Kochs aus Peru war die Konsequenz aus dem über mehrere Monate andauernden erfolglosen Verlauf seiner Bewerbersuche in Deutschland.
Dieses Faktum blieb bedauerlicherweise in der Entscheidung der ZAV wohl unzureichend beachtet, traf jedoch den Kern des vorliegenden Einzelfalls. Die Erkenntnis, dass die Entscheidung „Betrieb darf peruanischen Koch nicht einstellen“ kein befriedigendes Ergebnis und schon gar keine Lösung des Problems darstellte, wäre auch der handelnden Verwaltung zu wünschen gewesen.

Restriktive Rechtssprechung begrenzt Ermessensspielraum
Auch wenn den MitarbeiterInnen der Arbeitsagentur eine interne Durchführungsanweisung bzgl. des Aufenthaltsgesetzes und der Beschäftigungsverordnung zur Verfügung steht, wurde wohl im Fall von Herrn Kreis dort verkannt, dass diese Anweisungen zwar als Orientierungshilfe zur Auslegung dienen, diese aber klassische „Soll-Vorschriften“ enthalten, was einen Ermessensspielraum im Einzelfall zweifellos eröffnet. Idealerweise sollte dieser problemlösungsorientiert genutzt werden und sowohl Schutzzwecke als auch die Interessen der Beteiligten miteinander abwägen.
Laut Ziffer (19c.11.3) der internen Durchführungsanweisung der Arbeitsagentur sind Spezialitätenrestaurants „nur solche Restaurants, in denen ausländische landesspezifische Speisen das Angebot eindeutig dominieren. (…) Regelmäßig soll auch am Namen des Restaurants bzw. Unternehmens erkennbar sein, welche Landesküche angeboten wird. Ferner soll das Ambiente (Einrichtung und Ausgestaltung) des Restaurants den nationalen Charakter des jeweiligen Landes wiedergeben. (…).“ https://www.arbeitsagentur.de/datei/dok_ba033210.pdf

Da diese Anweisungen rechtlich nicht bindend sind, wurde der Inhalt des Begriffs „Spezialitätenrestaurant“ durch die Gerichte durch Auslegung des § 11 Abs. 2 BeschV ermittelt und ist vom allgemeinen Sprachgebrauch ausgehend erhöhten Anforderungen unterworfen. Die Vorschrift soll nach Sinn und Zweck sicherstellen, dass Gastronomiebetriebe, die ausländische Speisen anbieten, nicht gegenüber anderen Gaststätten bevorzugt werden, indem ihnen die Personalgewinnung durch die Möglichkeit einer Anwerbung im Ausland erleichtert wird. Er soll lediglich einen spezifischen Personalbedarf befriedigen, der auf dem hiesigen Arbeitsmarkt grundsätzlich nicht befriedigt werden kann (vgl. Laut dem VG München, Urteil vom 11. April 2013 – M 12 K 12.6281)

Da sich in der Vergangenheit eine restriktive Auslegung der Gesetze durch die Gerichte durchgesetzt hatte, kann der ZAV per se kein Ermessensnichtgebrauch vorgeworfen werden. Angesichts des wirtschaftlich relevanten und auch politisch nicht unbemerkt gebliebenen steigenden Fachkräftebedarfs stellt sich jedoch durchaus die Frage, ob eine andere Ermessensentscheidung möglich gewesen wäre, die das Interesse des Unternehmers und der heimischen Wirtschaft berücksichtigt hätte, ohne dem Schutzzweck der Gesetze zuwiderzulaufen.
In Zeiten des zunehmenden Fachkräftemangels erscheint eine grundsätzlich restriktive Verwaltungspraxis als nicht problemlösungsorientiert. Um die Gründe und Motive hinter dieser zu erkennen, wäre ein Blick auf die den rechtlichen Vorschriften zugrundeliegenden Schutzzwecken und damit dem gesetzgeberischen Willen zu werfen.

Schutzzweck: Wer soll wovor durch das Gesetz geschützt werden?
Erklärtes Ziel des Aufenthaltsgesetzes ist die Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung in Abhängigkeit von der Aufnahme- und Integrationsfähigkeit sowie den wirtschafts- und arbeitsmarktpolitischen Interessen der Bundesrepublik Deutschland (§ 1 Abs.1 Satz 2 AufhG).
Vakante Stellen auf dem deutschen Arbeitsmarkt sollen prioritär mit Bewerbern aus Deutschland und der EU besetzt werden, bevor einem aus einem Drittstaat stammeden Bewerber die Einreise und der Aufenthalt genehmigt wird. Im vorliegenden Fall ist es nun aber so, dass kein anderer Bewerber aus Deutschland und der EU zur Verfügung stand. Durch die Aufnahme einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung würden der Bewerber weiterhin wirtschaftlich integriert werden und Einkommenssteuer sowie Sozialabgaben zahlen. Darüberhinaus würde das Unternehmen von Herrn Kreis gestärkt werden, was wiederum der deutschen Wirtschaft zugutekäme.
Im vorliegenden Fall ist nicht nachvollziehbar ersichtlich, insbesondere mit der von der Verwaltung vorgebrachten Begründung, dass der Aufenthalt des peruanischen Kochs einer konkreten Gefährdung eines anderen übergeordneten Schutzzweckes zuwiderläuft und er somit zu versagen gewesen war.
Die abstrakte Gefahr, dass die Regelung zur Einwanderung von Spezialitätenköchen aus Drittstaaten insofern überdehnt wird, als dass jeder gastronomische Betrieb behaupten könne, er benötige zur Umsetzung des kulinarischen Angebotes einen Koch aus dem jeweiligen Heimatland, ohne sich um geeignete Bewerber aus Deutschland oder der EU zu bemühen, besteht im vorliegenden Fall offenkundig auch nicht. Denn Herr Kreis war lange darum bemüht, die Stelle durch Bewerber aus Deutschland zu besetzen, fand jedoch keinen qualifizierten Bewerber. Auch nicht durch Unterstützung der Arbeitsagentur.

Mediale Aufmerksamkeit bringt Dynamik in den Fall
Herrn Kreis verärgerte es sehr, dass die ZAV eine Entscheidung aufgrund des äußeren Erscheinungsbildes seines Lokals traf und pauschal mitteilte, dass auch ein nicht-ausländischer Koch die peruanische Kulinarik erlernen könne. Und die Argumentation des Gastronomen erscheint auch berechtigt. Eine derart restriktive Auslegungspraxis im Bereich der Arbeitskräfteerlaubnis sollte vorallem dann kritisch gesehen werden, wenn sie dazu führt, dass Betriebe wie der von Herrn Kreis, offene Stellen nicht besetzen können. Denn die Konsequenz wäre die zwangsläufige Änderung des durchdachten Betriebskonzeptes. Dies dürfte jedoch ein nicht verhältnismäßiger Eingriff in die unternehmerische Freiheit darstellen und es erscheint zudem fraglich, ob Herr Kreis mit dem herrschenden Mangel an gastronomischen Fachkräften die Stelle überhaupt anderweitig erfolgreich hätte besetzen können.
Enttäuscht von der in seinen Augen vorliegenden Engstirnigkeit, wandte sich Herr Kreis über Social Media an die Öffentlichkeit. Nachdem zunächst die Lokalpresse über seinen Fall berichtete, nahm sich auch das ZDF in seinem Format „länderspiegel“ des Falles an. Dies führte nach kurzer Zeit zu einer Veränderung, mit der der Unternehmer nicht gerechnet hatte. Noch während der Recherche der Journalisten, die hierbei auch beim ZAV Stellungnahmen erbaten, kam sprunghaft Bewegung in den Fall. Am Drehtag mit dem ZDF teilte der ZAV telefonisch mit, „…aufgrund neuer Erkenntnisse haben wir den Sachverhalt erneut geprüft und sind zu der Entscheidung gekommen, dass der Gastronomiebetrieb High Fidelity in Stuttgart als Spezialitätenrestaurant bewertet werden kann.“
(Quelle: ZDF Länderspiegel vom 22.10.2022, https://www.youtube.com/watch?v=pzj0_Trl8mo)
Unmittelbar im Anschluss wurde die deutsche Botschaft in Lima benachrichtigt und nur drei Tage später erhielt der peruanische Koch das Visum.
„Es war überhaupt nicht mein Hintergedanke, dass wir eine Sonderbehandlung bekommen“, teilt Herr Kreis im Nachgang mit. Denn wie ihm würde es vermutlich tausenden Unternehmern gehen. Deshalb hofft er auch, dass sein Fall noch mehr Wege für ausländische Fachkräfte nach Deutschland ebnet.
Wie der Fall im Nachgang zeigt, hatte die Behörde von vornherein durchaus einen weitaus größeren Ermessensspielraum, als sie zunächst ausgeschöpft hatte. Und er verdeutlicht auch beispielhaft, dass eine Verwaltungspraxis, bei der Mitarbeiter sich vor einzelfallorientierten Entscheidungen u.U. fürchten und lieber den Weg über Schablonen gehen, zu unnötigen bürokratischen Hürden und Reibungsverlusten führt.

Anpassung Fachkräfteeinwanderungsgesetz
Der Gesetzgeber hat erkannt, dass es Handlungsbedarf gibt und dass die Eingliederung von Fachkräften aus dem Ausland in den deutschen Arbeitsmarkt noch nicht so reibungslos funktioniert, weil Verfahren oft zu lange dauern und zu bürokratisch sind. Der Stiftung sind zu diesem Themenkomplex zahlreiche weitere Erfahrungsberichte betroffener UnternehmerInnen unterschiedlicher Branchen bekannt geworden.
Im Juli 2023 wurde in Ergänzung zum Fachkräfteeinwanderungsgesetz das „Gesetz zur Weiterentwicklung der Fachkräfteeinwanderung“ verabschiedet. Dieses soll die gezielte und gesteuerte Einwanderung von Fachkräften aus Drittstaaten ausbauen und die jährliche Zuwanderung um etwa 60.000 Personen steigern. https://www.bmi.bund.de/SharedDocs/gesetzgebungsverfahren/DE/Downloads/kabinettsfassung/entwurf-gesetz-weiterentwicklung-fachkraefteeinwanderung.pdf?__blob=publicationFile&v=7
Zu hoffe bleibt, dass neben der Verabschiedung der gesetzlichen Grundlage auch die umsetzende Verwaltung ermutigt und angehalten wird, praxis- und problemlösungsorientiert zu agieren und hierbei die Umstände der Einzelfälle im Blick behält.

Wie Herr Kreis im Oktober 2024 berichtet, hat sich sein Konzept nach dem durchaus beschwerlichen Start Ende 2022 erfolgreich fortsetzen können. Mittlereile hat er zwei weitere qualifizierte peruanische Köche sowie weitere MitarbeiterInnen aus Deutschland einstellen können.

 

 

Stand der Falldarstellung: 11.11.2024

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