Ein aufwändiger Prozess für einen Beitrag zur Stromversorgung Türkheims mit Hilfe erneuerbarer Energien
In seiner Bewerbung beschreibt Herr Ruf die Entstehungsgeschichte des Wasserkraftwerks in Türkheim, welches die Stromversorgung der 5000 Einwohner zählenden Gemeinde mit Hilfe von erneuerbaren Energien sicherstellt.
Die Idee der Errichtung einer Wasserkraftanlage an einem bestehenden Wasserfall im Markt Türkheim hatte bereits 1960 der Vater von Herrn Ruf. Der erwähnte Wasserfall entstand um das Jahr 1930 im Zuge der dem Hochwasserschutz dienenden Flussbegradigung der Wertach. Damals kaufte Herr Ruf Senior die Anliegergründstücke auf und erstellte eine erste Planung, die er bei der zuständigen Behörde, dem Bayerischen Wirtschaftsministerium, als Voranfrage einreichte.
Die Unterstützung des Altbürgermeisters war Herrn Ruf zu diesem Zeitpunkt sicher, weil dieser in der Vergangenheit selbst überlegt hatte, an gleicher Stelle ein Kraftwerk zu errichten. Eine fehlende Stimme im Marktrat machte die Pläne jedoch zunichte. Das Bayerische Wirtschaftsministerium forderte von Herrn Ruf eine „energierechtliche Freigabe“, die belegen sollte, dass sich das Kraftwerk wirtschaftlich rechnete. In der Folge musste ein Stromabnahmevertrag mit dem Monopolisten Lechwerke (LEW) geschlossen werden. Nach langen und zähen Verhandlungen einigte man sich im Jahre 1972 auf einen unverhältnismäßig niedrigen Preis von ca. 1,5 Pfennig pro Kilowattstunde (KWh). In der Folge wurde die energierechtliche Freigabe wegen der geringen Vergütung nicht gewährt.
Nach dem Tod von Herrn Ruf Senior im Jahre 1974 führte der Sohn das Verfahren fort. Die Situation der Wasserkraftstromanbieter verbesserte sich nach der 1. Energiekrise, die sowohl die Wertschätzung für regenerative Energien als auch die Preise für Strom erhöhte. Zum neuen Antrag mussten jedoch neue kostspielige Gutachten angefertigt werden. Das Landratsamt drohte Herrn Ruf 1976 schließlich mit einer endgültigen Ablehnung, von der die Konkurrenz möglicherweise profitiert hätte. Daher entschied sich Herr Ruf, seinen Antrag zurückzunehmen. In der Begründung des Marktrates Türkheim wurde die Gefahr durch Ungezieferbefall im stehenden Wasser sowie Hochwasser genannt. Das Landratsamt selbst wollte nicht gegen den Marktrat Türkheims entscheiden. Die nach Meinung von Herrn Ruf nicht stichhaltigen Einwände wurden stattdessen durch weitere, wie selten auftretende Orchideenarten und Eisvögel, ergänzt.
Als sich 1986 der Unfall in Tschernobyl ereignete, fand ein Umdenkprozess im Hinblick auf die Energiegewinnung statt, der zur stärkeren Beachtung erneuerbarer Energien, wie sie seitdem genannt werden, führte. In den folgenden zwei Jahren wurde die Rolle erneuerbarer Energien immer mehr hervorgehoben und eine Broschüre der Obersten Bayerischen Baubehörde in Umlauf gebracht, die erklärte, wie man alte Mühlen oder Triebwerksanlagen reaktivieren könne. Daraufhin wandte sich Herr Ruf an den Verfasser der Broschüre, Herrn Dr. Strobl, und erzählte ihm von seinem Vorhaben, das geeignet war, eine Stromversorgung von acht Millionen KWh pro Jahr zu generieren. Auf diese Weise sicherte sich Herr Ruf politische Unterstützung. Des Weiteren setzte sich der Landrat für das Projekt ein. Dennoch war die Marktgemeinde Türkheim von dem Vorhaben nicht zu überzeugen. Ängste vor Ungezieferbefall, Hochwasser und einer Verschlechterung der Lebensqualität wurden geäußert.
Der Landrat war jedoch um eine Kompromisslösung bemüht und empfahl Herrn Ruf, die Stauhöhe derart zu verändern, dass nur 6 Millionen KWh Stromleistung anstelle der zuvor geplanten 8 erzeugt werden konnten. Dank dieser Senkung konnte der Landrat die Genehmigung trotz der vehement dagegen kämpfenden Kommune erteilen. Durch die geplante Änderung ergaben sich zusätzliche Kosten für aufwändige Gutachten. Zwei Personalwechsel in der juristischen Abteilung des Landratsamtes führten zu weiteren Verfahrensverzögerungen. Der Planfeststellungsbeschluss wurde schließlich im Jahre 1991 gefasst. Seit der ersten Projektidee bis zu diesem Moment waren insgesamt 31 Jahre verstrichen. In den Jahren 1993 bis 1995 erfolgten der Bau der Wasserkraftanlage und deren Anschluss an das öffentliche Versorgungsnetz. Das Projekt wurde ausschließlich über Fremdkapital finanziert.
Inzwischen gehört die Wasserkraftanlage zum Ortsbild Türkheims. Die umgebaute Wehranlage erhöht die Abflussmöglichkeit im Hochwasserfall um ein Drittel, was sich besonders auszahlte, als im Jahre 1999 das „500jährige Hochwasser“ Türkheim heimsuchte. Außerdem verhinderte bis zum Bau des Wasserkraftwerks das alte, sechs Meter hoch stauende Betonwehr die Fischwanderung. Nach dem Bau des neuen Kraftwerkes entstand somit der erste naturnahe Fischpass als Umgehungsgewässer, welcher als Vorbild für weitere Maßnahmen diente.
Im Nachhinein betrachtet Herr Ruf die „energierechtliche Freigabe“ nach dem Bayerischen Verwaltungsverfahrensgesetz (BayVwVfG) als größtes zu bezwingendes Hemmnis. Außerdem vertritt er die Meinung, dass das Gesetz den Gemeinden zu viel Mitspracherecht gewährt und auch sonst Spielräume für Verfahrensverzögerungen eröffnet. Unbegründete Zweifel der Anwohner sowie deren überzogene Forderungen konnten lange Zeit nicht ausgeräumt werden, obwohl sich die Situation der Bürger im Bereich des Hochwasserschutzes durch den Bau des Wasserkraftwerkes stark verbesserte. Die vielen zu erfüllenden Naturschutzauflagen stellen eine weitere Hürde dar. Als erfreulich sieht es Herr Ruf an, dass es mittlerweile das Energieeinspeisungsgesetz sogar auf europäischer Ebene gibt. Er ist fest davon überzeugt, dass das generationenlange Projekt nur Dank persönlichen Kontakten, umfangreicher Überzeugungsarbeit und unermüdlichem Durchhaltevermögen zum erfolgreichen Abschluss gebracht werden konnte.
Herr Ruf ist inzwischen ebenfalls Mitinhaber einer Wasserkraftanlage in Füssen am Lech, die erst kürzlich in Betrieb genommen wurde. Dieses Mal dauerte der Kampf um die Genehmigung 5 Jahre. Das neue Wasserkraftwerk soll mit 20 Millionen KWh die doppelte Versorgungsleistung seines Vorgängers generieren und ermöglicht durch seine Bauweise, dass der Lechfall immer im Fluss bleibt.
Stand der Falldarstellung: 2007