Konstruktiver Protest hat sich gelohnt: Bürokratische Hürden für selbständige Lehrende und Bildungseinrichtungen abgewendet
Im Regierungsentwurf zum Jahressteuergesetz 2024, durch welches eine Vorschrift im Umsatzsteuergesetz geändert werden sollte, sah Herr Dr. Wenzel für selbständig Lehrende und Bildungseinrichtungen Gefahren einer erheblichen Bürokratisierung und großen Rechtsunsicherheit.Daher verfasste er ein konstruktives Positionspapier, tat sich mit Mitstreitern zusammen und kooperierte mit einer Petentin, die eine Petition auf den Weg gebracht hat, mit der eine Korrektur des Regierungsentwurfes gefordert wurde. Mit seinem Engagement drang er schließlich zum Bundestag durch. Der daraufhin von den Regierungsfraktionen verfasste Änderungsantrag, der Herrn Dr. Wenzels Forderungen umfassend umsetzte, wurde in den Finanzausschuss des Bundestages eingebracht und floss sodann in das am 18. Oktober 2024 vom Deutschen Bundestag verabschiedete Jahressteuergesetz 2024 ein.
Dr. phil., Diplom-Pädagoge Joachim Wenzel ist freiberuflich als systemischer Berater und Therapeut, Coach, Supervisor und Organisationsentwickler (DGSF) in Mainz tätig. Seit über 25 Jahren arbeitet er auch freiberuflich als Trainer und Dozent und führt Lehraufträge an verschiedenen Instituten und Hochschulen aus. Seit 2021 gehört er der Institutsleitung des Instituts für Systemische Familientherapie, Supervision und Organisationsentwicklung GmbH & Co. KG (kurz: ifs) in Essen an.
Anfang Juni 2024 verfasste das Bundesfinanzministerium einen Gesetzesentwurf, durch welchen die EU-Mehrwertsteuersystemrichtlinie in das deutsche Umsatzsteuerrecht umgesetzt werden sollte.
Bislang waren selbständig tätige Lehrende für ihre Leistungen von der Umsatzsteuerpflicht befreit. Der auf den Weg gebrachte Entwurf enthielt nun jedoch Neuerungen, die in den Augen von Herrn Dr. Wenzel zu erheblichen Problematiken in der Praxis führen würden.
Zum einen wurde im Gesetzesentwurf bei den Bildungsangeboten nun zwischen Aus- und Fortbildung differenziert. Letztere Leistungen sollten darüber hinaus nur noch umsatzsteuerbefreit sein, wenn die Bildungseinrichtung keine systematische Gewinnerzielungsabsicht verfolge.
Weiterhin sollte auch das bisherige Bescheinigungsverfahren durch Landesbehörden wegfallen, in welchem Bildungseinrichtungen bescheinigt wurde, dass die Angebote „auf einen Beruf oder eine vor einer juristischen Person des öffentlichen Rechts abzulegende Prüfung ordnungsgemäß vorbereiten“[1] und damit unter die Befreiung gem. § 4 UStG fallen. Die selbständig Lehrenden (Honorarkräfte) wurden aus dem Wortlaut des bisherigen Gesetzes gestrichen.
[1] § 4 Nr.21 UStG a.F.
Praxisfolgen der geplanten Änderungen
Bezüglich der geplanten Differenzierung zwischen Aus- und Fortbildungsangeboten kritisierte Herr Dr. Wenzel, dass in der Praxis regelmäßig nicht zu unterscheiden ist, ob es sich bei den Bildungsangeboten explizit um Fortbildung oder um Ausbildung handelt. Denn ob sich die teilnehmende Einzelperson für ihren aktuellen Beruf weiterbildet oder durch den Inhalt des Bildungsangebotes einen neuen Beruf anstrebt, bliebe ungewiss. Daher könne die jeweilige Zuordnung nicht für ein komplettes Seminar getroffen werden.
Durch den geplanten Wegfall des Bescheinigungsverfahrens würden die lehrenden Honorarkräfte darüber hinaus längere Zeit im Ungewissen bleiben, ob das Bildungsangebot unter die Umsatzsteuerbefreiung falle oder nicht. Das zusätzliche Kriterium der Gewinnerzielungsabsicht würde eine weitere Unwägbarkeit darstellen, die zu einer starken Rechtsunsicherheit, Bürokratisierung und absehbaren Klagewellen und damit Belastung der Betroffenen und der Gerichte führen würde.
Die entworfene Fassung der Regelung gefährde aufgrund ihrer Unbestimmtheit und geschaffenen Abhängigkeit von nicht von vornherein beeinflussbaren bzw. steuerbaren Faktoren das Bildungsangebot, da sich die Kosten der Teilnehmenden stark erhöhen würden.
Grundsätzliche Anforderungen an Bestimmtheit der Norm und Schutzzweck der Umsatzsteuerbefreiung
Es ist nach Art. 20 GG eine der höchsten Verfassungspflichten des Gesetzgebers, für eine klare Rechtslage zu sorgen. Entsprechend dem Gebot der Rechtssicherheit muss der Gesetzgeber eine Norm stets so verfassen, dass sie bestimmt ist, sich somit für sämtliche AnwenderInnen des Gesetzes ein eindeutiger Anwendungsbefehl ergibt.
In der alten Fassung des § 4 Nr.21 UStG war die notwendige Bestimmtheit gegeben, da selbständig Lehrende von der Steuerbefreiung erfasst waren und diese Regelung nicht von unbeeinflussbaren Faktoren abhängig war. Durch die beabsichtigte Änderung wurde jedoch das Gebot, dass sich ein eindeutiger Anwendungsbefehl ergibt, nicht mehr erfüllt. Es hätte somit, um die Norm anwenden zu können, einer Stellungnahme des Gesetzgebers zur Herstellung einer bestimmten Rechtslage bedurft.
Die Umsatzsteuerbefreiung leistet dem Umstand, dass Unternehmer und Unternehmerinnen nicht erkennen können, ob die AbnehmerInnen bzw. EmpfängerInnen ihrer Leistung selbst umsatzsteuerpflichtig oder EndverbraucherInnen sind, Abhilfe. Eine Nichtbefreiung der selbstständig Lehrenden, die ja genau diesem Problem ebenfalls ausgesetzt sind, erschafft also eine unbestimmte Rechtslage. Selbstständig Lehrende in diesem Fall anders zu behandeln als andere Unternehmerinnen und Unternehmer kann nicht schlüssig begründet werden, zumal die selbstständigen Lehrenden vor der Gesetzesänderung ja im Befreiungskatalog des § 4 UStG genannt waren.
Praxisferne Differenzierung der Bildungsangebote plus Zusatzkriterium verkompliziert Abläufe
Bildungsangebote nach Ausbildungs- und Fortbildungsangeboten zu kategorisieren und zusätzlich das Kriterium einer nachzuweisenden fehlenden Gewinnerzielungsabsicht der Bildungseinrichtung im Auge zu behalten, dürfte den Bildungsauftrag einer Einrichtung und die Ausführung seitens der Lehrenden in der Praxis enorm verkomplizieren.
Eine Abrechnungsvorgabe im Steuerrecht als Ursache hierfür erscheint im Bereich eines hohen gesellschaftlichen Gutes wie Bildung weiterhin unverhältnismäßig. Gleichzeitig zeigt sich hieran deutlich, dass bürokratische Aufgaben aufgebläht würden und Bildungsarbeit sowie Wahrnehmung von Bildungsangeboten erschwert werden würden. Allein für den Fiskus entstünde folglich ein Vorteil, wobei auch das in Frage zu stellen ist, sofern man den Staat als Ganzes betrachten und die neuen Beschwerlichkeiten im Bildungswesen gegenrechnen würde.
Positionspapiere und Petition bringen Änderungsdruck in Gang
Im Juli 2024 verfasste Herr Dr. Wenzel ein 12-seitiges Positionspapier, um darzulegen, dass der auf den Weg gebrachte Entwurf zu einem Schaden für den Bildungsstandort Deutschland, durch neue Bürokratisierung und Verteuerung von Bildung, mit sich bringen würde und regte konstruktiv zur Nachbesserung an. Er veröffentlichte das Papier auf der Homepage der Deutschen Gesellschaft für Systemische Therapie, Beratung und Familientherapie (DGSF). Darüber hinaus lieferte er zusammen mit Hans-Jürgen Werner sogar einen eigenen Formulierungsvorschlag für den neu zu fassenden § 4 Nr.21 UStG. In zwei weiteren Positionspapieren wurde Herr Dr. Wenzel vom Verband der Gründer und Selbständigen (VGSD) sowie von der Bundesarbeitsgemeinschaft Selbstständigenverbände (BAGSV) unterstützt. Weiterhin wurde von Saskia Saegeler eine Petition auf den Weg gebracht, die über 100.000 Mitzeichner fand und damit das erforderliche Quorum erreichte. Er wirkte bei der Übergabe der Petition vor dem Bundestag mit (Foto: Fünfter von links).
Foto: Petitionsübergabe an Bundestagsabgeordnete der Regierungsfraktionen am 9. Oktober in Berlin
(Quelle: Finn Löw)
Der konstruktive Protest in kooperativer Zusammenarbeit kam bei den politischen Entscheidungsträgern an – und wurde in der Bundestagssitzung sogar namentlich gewürdigt. Bundestagsabgeordneter und Mitglied des Finanzausschusses Tim Klüssendorf (SPD) sagte in seinem Redebeitrag in der Plenarsitzung:
„Besonders bedanken möchte ich mich in dem Zusammenhang auch für das Engagement, das hinter dieser Petition steckt. Und auch hinter den vielen Eingaben, die wir in den letzten Wochen und Monaten bekommen haben. Ganz besonders in aller vorderster Linie waren das Frau Saegeler, Herr Werner, Herr Wenzel, die mit uns gemeinsam über viele Stunden und Tage diskutiert haben, die uns auch gute Vorschläge unterbreitet haben, wie man vielleicht auch zukünftig das Gesetz noch besser machen kann.“
Vorschläge werden in Änderungsantrag aufgenommen
In der Folge haben die Regierungsfraktionen einen Änderungsantrag in den Finanzausschuss des Bundestages eingebracht. In diesem wurden die von Herrn Dr. Wenzel geforderten Änderungen umgesetzt. Für ihn, seine Unterstützer und zahlreiche weitere Betroffenen hat sich das Engagement mehr als ausgezahlt. Folgende Erfolge konnte die Initiative zusammenfassend erreichen:
Verhindert werden konnte gegenüber dem Regierungsentwurf von Juni 2024:
Darüber hinaus konnte durch konstruktive Vorschläge erreicht werden: Der Text der Bescheinigung nach § 4 Nr. 21 UStG: a) bb) wird inhaltlich ausgeweitet. Bisher hieß es: „wenn die zuständige Landesbehörde bescheinigt, dass sie auf einen Beruf oder eine vor einer juristischen Person des öffentlichen Rechts abzulegende Prüfung ordnungsgemäß vorbereiten“. Zum 01.01.2025 heißt es nun, „wenn die zuständige Landesbehörde bescheinigt, dass sie Schulunterricht, Hochschulunterricht, Ausbildung, Fortbildung oder berufliche Umschulung erbringen“.
PrivatlehrerInnen werden erstmals auch als befreit genannt (Forderung der EU-Kommission), worauf sich auch SupervisorInnen unter bestimmten Voraussetzungen berufen können. |
Der Fall von Herrn Dr. Wenzel zeigt beispielhaft, dass es immer wieder dringend erforderlich ist, der Verwaltung und Politik die konkreten Folgen der – leider mitunter ohne geschärften Blick auf die Praxis – auf den Weg gebrachten Regelungen und Normen vor Augen zu halten.
Denn aus fehlkonturierten Gesetzen können in der Praxis rasch enorme bürokratische Hürden entstehen, wie uns zahlreiche Teilnehmerinnen und Teilnehmer in unserem Stiftungsprojekt durch ihre Praxisfälle eindrücklich schilderten.
Bei dem hier notwendigen Sichtbarmachen von Verbesserungsbedarf ist konstruktive Kritik, wie die von Herrn Dr. Wenzel, ein ideales Mittel.
(Stand der Fallbearbeitung: 23.04.2025)