„Werner-Bonhoff-Preis“ Gewinnerin 2016
Christa Weidner, IT-Beraterin, Aschheim, Bayern

Scheinselbständigkeit – Arbeitnehmer wider Willen?

Geschäftsaufgabe wegen Drohszenario Scheinselbständigkeit – Verheerende Folgen bestehender Rechtsunsicherheit

Die IT-Beraterin Christa Weidner kämpfte als Auftraggeberin über drei Jahre hinweg mit der Ungewissheit mehrerer laufender Statusfeststellungsverfahren für ihre Auftragnehmer.  Die Deutsche  Rentenversicherung Bund (kurz DRV) bescheinigte fünf ihrer Unterauftragnehmer das Vorliegen einer scheinselbständigen Tätigkeit. Da zog sie die Reißleine und stoppte die Annahme größerer Aufträge, denn die drohenden Folgen waren schwerwiegend. Im schlimmsten Falle hätte dies die Vernichtung der wirtschaftlichen Existenz von Frau Weidner bedeutet.

Was passiert im Falle eines DRV-Bescheides, der auf „Scheinselbständigkeit“ des Auftragnehmers lautet?

Sozialversicherungsrechtliche Konsequenzen

Der Auftraggeber (nun mehr Arbeitgeber) muss rückwirkend für das Auftragsverhältnis bis zu 4 Jahre Abgaben zur Sozialversicherung und an gesetzliche Krankenkassen abführen. Hat der Arbeitgeber die Beiträge vorsätzlich vorenthalten muss er sogar rückwirkend bis zu 30 Jahre die Abgaben nachzahlen.

Der nunmehr Arbeitgeber darf bis zu drei Monate lang einen Teil des Gehaltes des Arbeitnehmers einbehalten.

Steuerrechtliche Konsequenzen:

Arbeitgeber und Arbeitnehmer sind Gesamtschuldner der Lohnsteuer. Die alleinige Inanspruchnahme des Arbeitgebers ist dann ermessensfehlerfrei, wenn der Steuerabzug bewusst bzw. leichtfertig versäumt wurde. Die Verjährungsfrist beträgt ebenfalls 4 Jahre.

Die Vorsteuerabzugsberechtigung entfällt für Arbeitnehmer soweit auf Arbeitsverhältnis bzw. Scheinselbständigkeit erkannt wird.

Strafrechtliche Konsequenzen:

Die Beitragsvorenthaltung sozialversicherungsrechtlicher Abgaben seitens des Arbeitgebers ist nach  § 266 a I StGB strafbar. Sofern auch Steuern nicht in entsprechender Höhe entrichtet wurden und die Scheinselbständigkeit nachweislich vorsätzlich konstruiert wurde, kommt auch eine Strafbarkeit des Arbeitgebers wegen Steuerhinterziehung in Betracht. 

Arbeitsrechtliche Konsequenzen:

Der Scheinselbständige kann den Arbeitnehmerstatus einklagen. Stellt das Arbeitsgericht den Arbeitnehmerstatus fest, besteht für den Arbeitnehmer Kündigungsschutz, Urlaubsanspruch sowie Lohnfortzahlungsanspruch im Krankheitsfall.

Christa Weidners Geschäftsmodell

Christa Weidner ist seit 1989 als IT-Beraterin tätig und machte sich 2002 selbständig. Sie bot Schulungen für Softwareeinführungen in Unternehmen an. Aufgrund ihrer langjährigen Erfahrung und Expertise konnte sie ihre Kernkompetenz branchenübergreifend in verschiedenen Großunternehmen anbringen.

Nachdem Frau Weidner die Leistungen zunächst alleine durchführte, wurden die Kundenanfragen zunehmends größer und zahlreicher, so dass sie die Nachfrage nicht mehr alleine decken konnte. Daher suchte Frau Weidner weitere Selbständige zur Unterstützung. Dies war der Beginn eines wachsenden Geschäftsmodells. In ihrer bisherigen Laufbahn hat Frau Weidner bislang für mehr als 70.000 Teilnehmer IT-Trainings im Rahmen von diversen Projekten realisiert und Großprojekte mit einem Auftragsvolumen von bis zu 2,3 Mio. € im Einzelfall durchgeführt.

Unerwarteter Wandel in den Statusfeststellungen durch die DRV

2007 gründete Frau Weidner schließlich die PW AG mit drei Festangestellten im Büro. Erstmals beantragte Frau Weidner damals auch eine Statusfeststellung für einige der von ihr beauftragten Berater. Die DRV erkannte in allen Fällen die Selbständigkeit der Tätigkeit an. Als sie im Jahre 2009 erneut Statusfeststellungen für fünf ihrer Auftragnehmer beantragte, ging sie davon aus, dass dies wieder der Fall sein würde. Diesmal stellte sich die DRV jedoch mit einer Ausnahme in allen Fällen auf den Standpunkt, dass kein selbständiges Vertragsverhältnis vorlag und behauptete, die Unterauftragnehmer von Frau Weidner seien scheinselbständig. Die Widersprüche von Frau Weidner und den Auftragnehmern wurden allesamt abgelehnt und die Unterauftragnehmer erhoben hiergegen Klage. Die PW AG war Beigeladene in den Verfahren, die sich bis 2012 hin zogen.

Sozialgericht bestätigt Status der Selbständigkeit – DRV lenkt ein

In einem der Fälle hielt das zuständige Sozialgericht im Sitzungstermin fest, dass eine Gesamtwürdigung für eine selbständige Tätigkeit spricht:

„Der Kläger ist für mehrere Auftraggeber tätig geworden und erhielt nur einen Bruchteil seines Einkommens durch eine Tätigkeit für die Beigeladene (Frau Weidner war die Beigeladene, Anm. d. Verf.). Der Kläger verfügt über ein eigenes Logo, er hat eine eigene Homepage, mit der er Werbung betreibt. Der Kläger trägt ein unternehmerisches Risiko. Bei einer schlechten Leistung oder einer Stornierung durch Kunden der Beigeladenen entfällt der Vergütungsanspruch. Der Kläger muss dafür sorgen, dass seine beruflichen Angebote hinsichtlich Coaching und Trainingsmaßnahmen überhaupt in Anspruch genommen werden. Für den Fall der Krankheit muss er sich eigenständig absichern. Auch hat er keinen Anspruch auf Urlaubsvergütung. (…)Der Kläger ist berechtigt Arbeitszeit, Arbeitsort und Art und Weise des Arbeitsablaufs selbst festzulegen (…). Auch darf er das Angebot der Beigeladenen, in einem bestimmten Projekt eingesetzt zu werden, ohne Angaben von Gründen ablehnen. Die Gesamtwürdigung spricht daher für eine selbständige Tätigkeit.“

Schlussendlich entschied sich die DRV, die Selbständigkeit der Unterauftragnehmer doch in allen Fällen anzuerkennen. Die jeweiligen Gerichte stellten hiernach eine Erledigung der Rechtsstreite fest.

Geschäftsaufgabe aufgrund unklarer Rechtslage

Zwar bekam Frau Weidner also am Ende Recht, mittlerweile waren jedoch bereits drei Jahre ins Land gegangen in denen sie ihre geschäftlichen Aktivitäten eingeschränkt hatte, da der Ausgang der Gerichtsverfahren ungewiss war und eine Entscheidung im Sinne der DRV den finanziellen Ruin für sie bedeutet hätte.

Frau Weidner hatte sich daher entschlossen keine weiteren finanziellen Risiken einzugehen und keine Solo-Selbständigen mehr zu beauftragen. Ihre drei Angestellten hatte sie entlassen.

Solange der Ausgang der fünf Verfahren unklar war, musste Frau Weidner in der AG Rückstellungen bilden. Die Rückstellungen für die sozialen Versicherungsbeiträge allein für die fünf Verfahren betrugen rund 13.000 € und für die Anwaltskosten weitere 10.000 €.

Nach Beendigung der Gerichtsverfahren betrugen die Anwaltskosten schließlich rund 30.000 €, die im sozialrechtlichen Verfahren von jeder Partei selbst getragen werden müssen, ohne Rücksicht auf den Ausgang des Verfahrens.

Frau Weidner hatte über einen langen Zeitraum hinweg mit großem psychischem und finanziellem Druck zu kämpfen und konnte ihrer Arbeit nicht mehr in gewohnter Weise nachgehen. Auch nach den für sie positiven Urteilen entschied sie sich, ihr altes Geschäftsmodell nicht wieder aufzunehmen. Zu groß war ihr das Risiko, dass sich solche Prozesse wiederholen würden. Das Drohpotential erschöpfte sich schließlich nicht in den fünf Fällen, sondern war angesichts von Projekten mit bis zu 70 Unterauftragnehmern weitaus größer.

Folgen der Rechtsunsicherheit

Frau Weidner beobachtet eine allgemein sinkende Bereitschaft bei Firmen, Aufträge an Selbständige zu vergeben. Hiervon sei wiederum ein großer Teil der Branche betroffen.

„Rund 20 % in der IT-Branche sind Externe“ (Christa Weidner)

Da viele Firmen befürchten, bei der Beschäftigung von selbständigen Spezialisten möglicherweise Nachzahlungen leisten zu müssen und sich vielleicht sogar strafbar zu machen, verzichten sie konsequenterweise auf die selbständigen Dienstleister. An ihre Stelle sind nun vermehrt Agenturen getreten.

Vermittlung über Agenturen als Alternative zur eigenen Kundenakquise

Seit 2012 ist Frau Weidner wieder als selbständige IT-Beraterin tätig und wird über verschiedene Agenturen eingesetzt.

Die Agenturen werden in der Regel von Auftraggebern angefragt und vermitteln dann IT-Berater wie Frau Weidner an die Firmen weiter.

In dieser zunehmenden Verlagerung der Auftragsvergabe über Agenturen sieht Frau Weidner jedoch nur eine Verlagerung der Scheinselbständigkeits-Problematik. Viele Agenturen würden das Problem der Scheinselbständigkeit ignorieren oder nicht erkennen. De facto seien aber auch Agenturen vor der Scheinselbständigkeits-Thematik nicht geschützt, da es diesbezüglich keine Rechtssicherheit gibt.

Engagement für mehr Rechtssicherheit

Frau Weidner macht derzeit zusammen mit dem VGSD (Verband der Gründer und Selbständigen e.V.) eine Roadshow durch sechs Städte, um Selbständige auf die Problematik aufmerksam zu machen.

Der VGSD setzt sich für Rechtssicherheit für Selbständige und Auftraggeber ein. Im Rahmen dieses Engagements führt Frau Weidner durch eine Vortrags-Roadshow mit dem Titel „Das Ende der Selbständigkeit?“. Die Veranstaltung fand bereits in München, Hamburg, Köln und Stuttgart statt und war nach Mitteilung des VGSD stets sehr gut besucht. Darüber hinaus hat sie auch ein Buch mit dem Titel  „Freelance IT“ verfasst. In ihrem ist ein Kapitel dem Thema Scheinselbstständigkeit gewidmet („Das Ende der Selbständigkeit?“), das sie kostenlos auf ihrer Webseite zum Download anbietet.

 

„Irgendeinen Sinn muss das doch

alles haben, was ich selbst zu diesem Thema durchleben musste.“

Scheinselbständigkeit – ein altes Problem?

Die Debatte um das Thema Scheinselbständigkeit ist nicht neu. Im Jahr 2003 wurde im Rahmen der Hartz II Reform die Ich-AG eingeführt. Zuvor durfte der Sozialversicherungsträger nach § 7 Absatz 4 Sozialgesetzbuch (SGB) IV das Vorliegen einer Scheinselbständigkeit vermuten, sofern beide Parteien des zu beurteilenden Beschäftigungsverhältnisses nicht zur Klärung des Sachverhaltes beitrugen und mindestens drei von fünf der damaligen gesetzlichen Kriterien vorlagen.

Info: Gesetzliche Merkmale für das Vorliegen einer Scheinselbstständigkeit bis 2002:

1. Die Person beschäftigt im Zusammenhang mit ihrer Tätigkeit regelmäßig keinen versicherungspflichtigen Arbeitnehmer, dessen Arbeitsentgelt aus diesem Beschäftigungsverhältnis regelmäßig im Monat 630 Deutsche Mark übersteigt;

2. sie ist auf Dauer und im Wesentlichen nur für einen Auftraggeber tätig;

3. ihr Auftraggeber oder ein vergleichbarer Auftraggeber lässt entsprechende Tätigkeiten regelmäßig durch von ihm beschäftigte Arbeitnehmer verrichten

4. ihre Tätigkeit lässt typische Merkmale unternehmerischen Handelns nicht erkennen;

5. ihre Tätigkeit entspricht dem äußeren Erscheinungsbild nach der Tätigkeit, die sie für denselben Auftraggeber zuvor auf Grund eines Beschäftigungsverhältnisses ausgeübt hatte.

(Quelle: BGBl. 2000 I S. 2.)

Ab 2003 fielen diese konkreten Merkmale weg. Die Vermutungsregelung wurde aufgehoben. Gründer der sog. Ich-AG wurden nun für die Dauer ihrer Förderung widerlegbar als Selbständige beurteilt. Sie galten quasi fiktiv als Selbständige. Der § 7 Abs. 4 SGB IV besagte nur noch, dass für Personen, die einen Existenzgründungszuschuss  (Ich-AG) beantragt hatten für die maximal dreijährige Dauer ihrer Förderung widerlegbar deren Selbständigkeit vermutet wurde.

Für die Gründer bedeutete dies eine Erleichterung, da die Problematik der Scheinselbständigkeit mit dieser Vorschrift entschärft wurde.

Seit 2009 nennt der Gesetzgeber jedoch nur noch zwei Anhaltspunkte für das Vorliegen einer nichtselbständigen Tätigkeit.

Gesetzliche Merkmale seit 2009

§ 7 Sozialgesetzbuch IV
Beschäftigung

1. Beschäftigung ist die nichtselbständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis. Anhaltspunkte für eine Beschäftigung sind eine Tätigkeit nach Weisungen und eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers.

(Quelle: BGBl. 2007 I S. 3024)

Diese gesetzliche Änderung hat erkennbar nicht zu mehr Rechtssicherheit geführt.

Neue Ausmaße

Der Gesetzgeber hat rückblickend also schon mehrfach versucht das Problem der Scheinselbständigkeit zu entschärfen. Die Problematik ist insofern zwar nicht neu, gestiegen ist hingegen das Ausmaß der Prüfungen und der anschließenden Feststellungen der Scheinselbständigkeit durch die DRV.

Die Anzahl der durchgeführten Statusfeststellungsverfahren ist in den letzten acht Jahren kontinuierlich gestiegen. Waren es 2007 noch 16.666 durchgeführte Feststellungsverfahren (nach §7a Absatz 1 Satz 1 SGB IV), waren es 2014 bereits 20.584. Ebenso ist auch die Anzahl der Feststellungen einer versicherungspflichtigen Beschäftigung gestiegen. Im Jahre 2007 waren es 3.533 Feststellungen, in 2014 bereits 9.676. (Quelle: BT Drucksache 18/5446)

Die Anzahl der Widersprüche und Klagen gegen diese Feststellungen ist in den letzten Jahren ebenfalls leicht angestiegen. Im Jahre 2012 gab es insgesamt 5.127 Widersprüche, in 2014 stieg die Zahl auf 5.721. Die Anzahl der Klagen stieg von 1.301 in 2012 auf 1.921 im Jahr 2014. (Quelle: BT Drucksache 18/6304)

Hierbei legt die DRV keine Gründe für diese Entwicklung offen. Belastend ist dies gerade für Selbständige und Auftraggeber, die sich bewusst und ohne Not für diesen Berufsweg entschieden haben.

Schlechtere Marktchancen für Selbständige als Konsequenz der Rechtsunsicherheit

Die gesetzliche Entlastung der Gründer zu Zeiten der Ich-AG bezüglich der Scheinselbständigkeits-Problematik sollte dazu beitragen, den Einstieg in die Selbständigkeit zu erleichtern. Das Bild, das sich heute bietet ist jedoch ein gänzlich anderes: Selbständigen wird die Selbständigkeit oft erschwert. Die bestehende Rechtsunsicherheit hinsichtlich des Selbständigenstatus´ bedeutet sowohl für Auftragnehmer als auch für Auftraggeber ein wirtschaftliches und für den Auftraggeber auch strafrechtliches Risiko, sobald ein Selbständiger beschäftigt wird.

Dieses unabwägbare Risiko führt zu einem vermehrten Einsatz von zwischengeschalteten Agenturen wodurch sich wiederum die Marktchancen der Selbständigen, die ihre Dienstleistungen nicht über Agenturen anbieten, verschlechtern. Auch verdienen vermittelte Unterauftragnehmer aufgrund der Vermittlungsgebühren der Agenturen oft weniger.

Die anhaltende Rechtsunsicherheit schafft einen Zustand, der die selbständige Tätigkeit auch für diejenigen erschwert, die bewusst selbständig sein wollen. Nicht alle Selbständigen können und wollen Arbeitnehmer sein. Für viele ist die Art und Weise der Arbeit eine autonome Lebensentscheidung.

Weitere Informationen zu dem Thema:

Pressemitteilung des VGSD zur Vortrags-Roadshow: http://www.vgsd.de/pressemitteilung-vortrags-roadshow-des-vgsd-das-ende-der-selbststaendigkeit/

http://www.computerwoche.de/a/das-ende-der-scheinselbstaendigkeit,3213310

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