Helmut Fritsche, Klosterbrauerei Neuzelle GmbH

Beispielhafte Intervention bei der Verwaltung

Helmut Fritsche ist Eigentümer und Geschäftsführer der Klosterbrauerei Neuzelle in Brandenburg nahe der polnischen Grenze. Die Brauerei ist bekannt durch ihr historisches Schwarzbier „Schwarzer Abt“ und ihren schließlich siegreichen Kampf gegen die Behörden, den Schwarzen Abt „Bier“ nennen zu dürfen.

Im Zuge der wachsenden Vertriebsabteilung des Brauereiunternehmens bot Herr Fritsche einer bereits seit längerer Zeit arbeitslosen Schneiderin eine Ausbildung als Bürokauffrau mit dem Schwerpunkt e-commerce an. Die Klosterbrauerei ist eines der wenigen regionalen Unternehmen, das überhaupt eine Ausbildung mit diesem Schwerpunkt anbietet und in Anbetracht der wachsenden Bedeutung des Internetvertriebes dadurch gut qualifizierte Arbeitskräfte ausbildet. Nach Abschluss der Ausbildung hätte die junge Frau als qualifizierte Fachkraft gute Chancen auf dem Arbeitsmarkt – eine Übernahme als Angestellte im Ausbildungsbetrieb wurde von Herrn Fritsche auch nicht ausgeschlossen.
Als Ausbildungsvergütung bot Herr Fritsche dasselbe Gehalt an, welches er allen seinen Auszubildenden zahlt und welches der Höhe nach den Richtlinien der IHK entspricht.

Bisher wurde die arbeitslose Schneiderin durch die Agentur für Arbeit unterstützt, bezog Arbeitslosengeld 1 und konnte ihren Lebensunterhalt hiermit bestreiten. Mit der angebotenen Ausbildungsvergütung hätte sie das Wegfallen des Arbeitslosengeldes nicht ausgleichen und die zusätzlich anfallenden Kosten für die Tagesbetreuung ihres Kindes und für Lehrmittel nicht bezahlen können. Die Aufnahme des Ausbildungsverhältnisses und das Ende ihrer Arbeitslosigkeit hätte somit eine finanzielle Verschlechterung mit existenziellen Ausmaßen für die junge Frau bedeutet. Aus diesem Grund fragte sie bei der Agentur für Arbeit nach, ob man dort ihren Einstieg in eine langfristige, berufliche Zukunft finanziell unterstützen könne.

Info:

Klares und von der Bundesagentur für Arbeit verkündetes geschäftspolitisches Ziel ist die nachhaltige Zukunftssicherung und langfristige Vermeidung von Arbeitslosigkeit.

Die Entscheidung der Agentur für Arbeit oder des Jobcenters (= kommunaler Träger der Grundsicherung) über Zahlungen während einer beruflichen Weiterbildung (hierzu zählen auch die Kosten bei einer Umschulung) ist eine Ermessensentscheidung gemäß § 81 Abs.1 SGB III. Das bedeutet, dass sie bzw. er das Recht hat auf eine individuelle, ermessensfehlerfrei getroffene Entscheidung. Neben der Tatsache, dass die Weiterbildung für die betreffende Person zur Eingliederung in den Arbeitsmarkt bzw. zur Beendigung der Arbeitslosigkeit notwendig sein muss, müssen von der Behörde auch weitere Kriterien beachtet und in der Ermessensentscheidung berücksichtigt werden. Hierzu zählt z.B. der Grundsatz der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit, die Aufnahmefähigkeit des Arbeitsmarktes im Zielberuf (§ 7 Abs.1 SGB III) und auch die Vereinbarkeit von Familie und Beruf (§ 8 SGB III) insbesondere bei Berufsrückkehrer/innen.

Gemäß § 5 SGB III sind die Leistungen der Behörden, so auch Zahlungen während einer beruflichen Weiterbildung, gezielt einzusetzen, um Arbeitslosigkeit nicht nur vorübergehend zu vermeiden und dem Entstehen von Langzeitarbeitslosigkeit (§ 18 Abs.1 SGB III, Dauer von einem Jahr und länger) vorzubeugen.

Solange die Behörde eine ablehnende Entscheidung nicht als Bescheid schriftlich formuliert (dies kann die/der Betroffene aufgrund seines berechtigten Interesses gemäß § 37 Abs.2 S.2 VwVfG verlangen), sind die in der Entscheidung berücksichtigten Erwägungen schwer nachvollziehbar und auch nur sehr eingeschränkt überprüfbar.

(Stand 10/12)

Die Integrationschancen der seit mehreren Monaten arbeitslosen Schneiderin in ihrem erlernten Beruf waren ganz offensichtlich gering. Durch das Angebot der Ausbildung wurde ihr hingegen eine neue Perspektive eröffnet, ihre Arbeitslosigkeit zu beenden und durch ihre verbesserte Qualifikation auch langfristig günstige Aussicht auf eine anschließende Beschäftigung zu erhalten.

Das Ergebnis der Ermessensentscheidung im hier geschilderten Fall war eine Ablehnung von Seiten der Agentur für Arbeit. Als Begründung sei der arbeitslosen Frau neben dem Hinweis darauf, dass sie mit 34 Jahren für eine zweite Ausbildung zu alt sei, erläutert worden, dass ihr Anspruch auf Arbeitslosengeld ja bald enden und dann das Jobcenter zuständig werden würde. Jedoch sei sie auch hier gleich darauf verwiesen worden, dass auch nach dem Zuständigkeitswechsel im Bereich der Grundsicherung keine Zweitausbildung als Umschulung finanziert werden würde.

Die Perspektive der jungen Frau war somit nach der Entscheidung der Agentur für Arbeit eine weiter andauernde Arbeitslosigkeit mit dem zeitnahen Übergang auf Hartz 4.

Unternehmer setzt sich ein und fordert gerechte Entscheidung

Als Herr Fritsche von der jungen Frau die Informationen über die ablehnende Entscheidung erhielt, wand er sich umgehend telefonisch an den Leiter der zuständigen Agentur für Arbeit, da er die Entscheidung so weder nachvollziehen, noch akzeptieren konnte. Bei seiner Nachfrage wurde ihm jedoch bestätigend mitgeteilt, dass eine Umschulung nicht unterstützt werden könne, jedoch könne man der arbeitslosen Frau eine finanzielle Unterstützung (sog. „Aufstockung“) anbieten, wenn Herr Fritsche sie als ungelernte Arbeitskraft einstellen und ihr nicht als Auszubildende sondern als Angestellte ein Gehalt in derselben Höhe wie das Lehrlingsgehalt zahlen würde.  Herr Fritsche war über diesen Vorschlag verwundert, da das Einstellen von ungelernten Arbeitskräften weder für ihn als Unternehmer eine attraktive Lösung darstellt, noch eine nachhaltige Zukunftssicherung für die junge Mutter beinhaltet.

 „Für mich ist das ein eklatanter Verstoß gegen das Gleichbehandlungsgebot und damit gegen die Verfassung“, so Herr Fritsche, da seiner Meinung nach die Entscheidung, dass gering bezahlte Arbeitnehmer Unterstützung erhalten, Auszubildende mit einer besseren Perspektive diese Hilfe nicht erfahren dürfen, zu einem ungerechten Ergebnis führe. Mit seiner Forderung nach Gerechtigkeit und gesetzlicher Überprüfung wand sich Herr Fritsche nun an die Presse. (Siehe hier die in der Märkischen Oderzeitung erschienen Artikel vom 13.09.2012 und 03.10.2012)

Engagement führt zum Erfolg

 Aufgrund der durch Herrn Fritsches Intervention bei der Behörde erzeugten Problembewußtseins überprüfte diese ihre Entscheidung und revidierte sie letztendlich. So konnte die junge Mutter am 1.10.2012 eine von der Agentur für Arbeit finanziell unterstützte und auf zwei Jahre verkürzte Umschulung beginnen. Herr Fritsche zahlt ihr wie geplant die Ausbildungsvergütung, die junge Mutter erhält zusätzlich von der Agentur für Arbeit Unterstützung, sodass die Kosten für die Kinderbetreuung und Lehrmittel gedeckt sind.
Da Herrn Fritsche die gut fundierte Ausbildung seiner Lehrlinge und zukünftigen Angestellten für sein erfolgreiches Unternehmen wichtig ist, hat er sich zudem bereit erklärt, auch in einem dritten Lehrjahr die Vergütung weiterzuzahlen, falls seine neue Auszubildende den Abschluss nicht schon nach – wie von der Agentur für Arbeit geforderten – zwei, sondern erst nach drei Jahren schaffen sollte.
Rückblickend sagt Herr Fritsche über den Vorgang „dass Unternehmer und Betroffene nicht einfach alles hinnehmen sollen, was sie an Behördenentscheidungen mitgeteilt bekommen, sondern sich trauen zu hinterfragen und dran zu bleiben.“

Dieser Fall zeigt beispielhaft, dass eine Intervention bei der Verwaltung  notwendig sein kann, um eine auf den Einzelfall passende und auch nachhaltig sinnvolle Entscheidung herbeizuführen.

(Stand der Falldarstellung: 11/2012)

 

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