Sarah Schanz, Herne, NRW

Vermietbarkeit eines Dachgeschosses

Regelungen der Landesbauordnung NRW führen zu einer jahrelangen Auseinandersetzung über die Genehmigung einer Treppe.

Frau Sarah Schanz erwarb 2010 in einem Zwangsversteigerungsverfahren ein dreigeschossiges Wohnhaus in Recklinghausen. Der Vorbesitzer hatte den Spitzboden des Wohnhauses ausgebaut, hierfür jedoch keine baurechtliche Genehmigung beantragt. Von dem zweiten Obergeschoss führte eine 0,70 m breite Treppe zum Spitzboden hinauf. Da Frau Schanz beabsichtigte, das gesamte Haus und damit auch den ausgebauten Spitzboden zu vermieten, stellte sie im am 07. März 2011 bei der Stadt Recklinghausen einen Antrag auf die dafür erforderliche Nutzungsänderung. Dieser wurde jedoch vom Bauamt abgelehnt mit der Begründung, die zum Spitzboden führende Treppe erfülle nicht die baurechtlichen Anforderungen.

Baurechtliche Anforderungen an Treppen

Nach § 36 Abs. 5  Bauordnung Nordrhein-Westfalen (kurz: BauO NRW) erfordern „notwendige Treppen“ eine  Mindestbreite (die sog. „lichte Breite“, welche das Maß zwischen Geländer und Wand beschreibt) von 1 m bzw. 0,80 m.

§ 36 BauO NRW Treppen

(1) Jedes nicht zu ebener Erde liegende Geschoss und der benutzbare Dachraum eines Gebäudes müssen über mindestens eine Treppe zugänglich sein (notwendige Treppe);

(…)

(5) Die nutzbare Breite der Treppen und Treppenabsätze notwendiger Treppen muss mindestens 1 m betragen; in Wohngebäuden mit nicht mehr als zwei Wohnungen genügt eine Breite von 0,8 m.                                                                              

Anmerkung:

Während die BauO NRW eine Mindestbreite von 0,80 m bei notwendigen Treppen vorschreibt, findet sich keine solch konkrete Regelung in den Bauordnungen der anderen Bundesländer (mit Ausnahme der BauO von Rheinland-Pfalz) wieder. In den anderen Ländern wird vielmehr darauf abgestellt, dass die notwendigen Treppen für „den größten zu erwartenden Verkehr ausreichen müssen“. Die BauO Brandenburg legt sogar ausdrücklich fest, dass 0,60 m Treppenbreite ausreichend sein können:

§ 29 BbG BauO

(…)

(6) (…) Für Treppen mit geringer Benutzung genügt eine lichte Breite von 0,60 m. (…)

Bei der in Frage stehenden Treppe handelt es sich um eine Treppe innerhalb einer Wohneinheit. Frau Schanz nahm deshalb an, dass die gesetzlich vorgesehene Ausnahme zur erforderlichen Mindestbreite für Treppen innerhalb einer Wohneinheit in ihrem Fall greifen würde.

§ 36 BauO NRW

(…)

(11) Die Absätze 3 bis 7 gelten nicht für Treppen innerhalb von Wohnungen

Die Baubehörde Recklinghausen war anderer Meinung und lehnte den Bauantrag ab. Den  ablehnenden Bescheid vom 18. Oktober 2011 begründete sie mit den Anforderungen des § 36 Abs. 5 BauO NRW und befand die Ausnahme des § 36 Abs. 11 BauO NRW als nicht einschlägig, da diese nicht für notwendige Treppen gelte. Sie kündigte Frau Schanz darüber hinaus den Erlass einer Nutzungsuntersagung für die Treppe bzw. das darüber liegende Dachgeschoss an. Im Verlauf des Klageverfahrens wies das Bauamt zudem nachvollziehbar auf die Landesvorschriften über den Brandschutz hin, wonach jede Nutzungseinheit als ersten Rettungsweg eine notwendige Treppe vorweisen muss.

§ 17 BauO NRW Brandschutz

(…)

(3) Für jede Nutzungseinheit müssen in jedem Geschoss mit einem Aufenthaltsraum zwei Rettungswege vorhanden sein; die Rettungswege dürfen innerhalb eines Geschosses über einen gemeinsamen notwendigen Flur führen. Der erste Rettungsweg muss in Nutzungseinheiten, die nicht zu ebener Erde liegen, über mindestens eine notwendige Treppe führen; der zweite Rettungsweg kann eine mit Rettungsgeräten der Feuerwehr erreichbare Stelle oder eine weitere notwendige Treppe sein. (…)

Da Frau Schanz die Wohnung im 2. Obergeschoss samt Dachboden vermieten wollte, erschien dieses Ergebnis für sie nicht akzeptabel. Sie hielt eine Lösung ohne Baumaßen für möglich und reichte daher Klage gegen den ablehnenden Bescheid beim Verwaltungsgericht Gelsenkirchen ein, wobei sie sich auf die Ausnahmeregelung des § 36 Abs. 11 BauO NRW bezog.

Gericht betrachtet den Einzelfall

Um eine sachgerechte Lösung zu finden, lud das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen am 01. Februar 2013 zu einem Ortstermin. Hierbei sollte die Treppe in Anwesenheit eines Mitarbeiters der Feuerwehr Recklinghausen konkret in Augenschein genommen werden. Dem Gericht war augenscheinlich an einer einzelfallorientierten Lösung des Falls gelegen.

Der Vertreter der Feuerwehr Recklinghausen stellte dabei fest, dass die Treppe für den Einsatz einer Kranktrage oder eines Krankenstuhls nicht geeignet sei. Eine Rettung wäre allenfalls mit einem Tragetuch oder durch eine sog. Crashrettung problemlos möglich. Eine Crashrettung bezeichnet eine möglichst schnelle Rettung einer Person aus einer Gefahrensituation, die entweder mit oder ohne Hilfsmittel, z.B. dem sog. Rauteckgriff oder vergleichbarem erfolgt. Auf Nachfrage hinsichtlich der allgemeinen Einsatzpraxis gab der Feuerwehrmitarbeiter jedoch zu, dass der Einsatz einer Trage auch bei Treppen mit einer Breite von 0,80 m erhebliche Schwierigkeiten bereite. Im Brandfall bliebe daher aufgrund des Zeitfaktors eigentlich nur die Crashrettung. Eine solche wäre aber aufgrund der vorliegenden Treppensituation seiner  Meinung nach auch problematisch. Das Gericht teilte diese Einschätzung. Man kam überein, einen Praxistest mit der Feuerwehr Recklinghausen durchzuführen.

Stellprobe durch die Feuerwehr

Bei dieser Stellprobe am 8.3.2013 wurde dann durch die besagte Feuerwehr eine Rettung mit einem 80 kg schweren Dummy aus dem Obergeschoss simuliert. Die Feuerwehr Recklinghausen kam bei dieser Stellprobe zu dem Schluss, dass eine Rettung über die Treppe nicht möglich sei.

Zuvor hatte Frau Schanz, die selbst bei der Feuerwehr Herne verbeamtet ist, ebenfalls eine Stellprobe mithilfe ihrer Kollegen durchgeführt.  Auf einem Videomitschnitt ist dabei professionell und anschaulich dargestellt, dass es durchaus möglich ist, eine Person sogar unter Verwendung einer sogenannten Vakuummatratze, dem sperrigsten aller Transportmittel, über besagte Treppe zu retten. Eine Crashrettung ohne Hilfsmittel erwies sich ebenfalls als problemlos möglich.

Die Tatsache, dass beide Stellproben zu unterschiedlichen Resultaten geführt  haben, erklärt sich für Frau Schanz dadurch, dass die Feuerwehr Recklinghausen eine ungünstige Methode der Crashrettung gewählt habe. Hierbei wurde der 80 kg schwere Dummy am Oberkörper und an den Füßen die Treppe heruntergetragen. Da er mit den Füßen voran heruntergetragen wurde, hatte die Rettungskraft, die den Oberkörper hielt, nahezu das gesamte Gewicht zu tragen. Ein denkbar kraftraubender Akt. Frau Schanz ist daher der Ansicht, dass die Schwierigkeiten bei der Rettung primär auf die Art der Rettung zurückzuführen sei, nicht aber auf die Breite der Treppe.  Letzten Endes schafften es die Feuerwehrleute auch den Dummy herunterzutragen.

Des Weiteren wandte die Feuerwehr Recklinghausen ein, dass die Treppe für Rettungszwecke zudem zu steil sei. De facto entspricht der Neigungswinkel der Treppe jedoch der DIN 18065 (auf welche die Baubehörde selbst verwiesen hat) und stand aus Sicht des Verwaltungsgerichts Gelsenkirchen auch nicht zur Debatte. Im letzten Beschluss des Verwaltungsgerichts Gelsenkirchen vom 21. Mai 2013 wird daher auch lediglich auf die Stufenbreite eingegangen wohingegen der Neigungswinkel nicht beanstandet wird: „Die Vertreter der Beklagten sagen zu, einen Alternativvorschlag seitens der Klägerin darauf zu prüfen, ob eine gewendelte Treppe mit einer Stufenbreite von 80 cm unter Beibehaltung der Podeste (…) vorzugswürdig ist.“

Klagerücknahme und Neubau der Treppe

Aufgrund der für sie ungünstigen Stellungnahme der Feuerwehr Recklinghausen, nahm Frau Schanz die Klage schließlich zurück und einigte sich mit dem Bauamt der Stadt Recklinghausen auf einen Kompromiss. Frau Schanz bot an, die Treppe zu einer gewendelten Treppe mit 0,80 m Breite umbauen zu lassen. Es wurde vereinbart, dass das Bauamt diesen Alternativvorschlag überprüfen würde.

Frau Schanz hat sich mittlerweile dazu entschieden, die Treppe komplett auszureißen und stattdessen eine zulässige Wendeltreppe neu einbauen zu lassen.

Stand: April 2014

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