Miriam Dér, Krabbelstube Ingeln-Oesselse, Laatzen, Niedersachsen

Foto: Daniel Junker

Behörde verlangt Trennung spielender Kinder und ordnet Zaun durch den Garten an

Miriam Dér ist ausgebildete Sozialassistentin, hat eine Weiterbildung zur Erzieherin absolviert und ist seit 2007 als selbständige Tagesmutter in Laatzen bei Hannover tätig. 2012 schließt sie sich mit drei weiteren Tagesmüttern zusammen und baut im Laatzener Ortsteil Ingeln-Oesselse ein Haus mit 250 qm Garten inklusive Sandkasten und Spielgeräten, um dort eine Kindertagespflege zu betreiben. Die Planung und Errichtung des Hauses erfolgte in Abstimmung mit der Stadt Laatzen.

In der Großtagespflege Krabbelstube Ingeln-Oesselse werden seit Eröffnung im August 2013 insgesamt bis zu 16 Kinder in zwei Gruppen zu je acht Kinder von jeweils zwei Tagesmüttern betreut. Eine Gruppe befindet sich im Erdgeschoss, die andere Gruppe im 1. Stock. Der Garten wurde bisher von den Tagesmüttern mit „ihren“ Kindern gemeinsam genutzt.

Info: Kindertagespflege

Kindertagespflege ist die Betreuung und Förderung von Kindern durch geeignete Tagespflegepersonen im Haushalt der Tagespflegeperson (Tagesmutter) oder in anderen geeigneten Räumen. Tagespflegepersonen brauchen eine Erlaubnis des Jugendamtes. Sie müssen zwar keine pädagogische Ausbildung wohl aber eine gewisse Grundqualifizierung vorweisen. Zwei Tagesmütter können bis zu acht Kinder in einer Gruppe betreuen. Jedes Kind ist einer Bezugsperson (Tagespflegeperson) zugeordnet. Die Tagespflegperson schließt für jedes Kind einen Betreuungsvertrag mit den Eltern (vgl. § 23 Abs. 3 und § 43  des Sozialgesetzbuch (SGB) – Achtes Buch (VIII) – Kinder- und Jugendhilfe in Verbindung mit Landesrecht.)

Eltern von 1-3jährigen Kindern haben einen Rechtsanspruch auf Förderung in einer Kindertageseinrichtung (Kita) oder durch Tagespflege (vgl. § 24  SGB VII).

Gemeinsames Spielen im Garten wird verboten

Zwei Jahre nach Eröffnung führte das zuständige Jugendamt Laatzen Ende Juli 2015 einen Hausbesuch bei Frau Dér durch. Dabei wurde festgestellt, dass die beiden Kindergruppen im Garten gemeinsam spielten, ein Umstand, der dem Jugendamt missfiel. Die Zuordnung des jeweiligen Kindes zur vertraglich zuständigen Tagespflegeperson sei durch das gemeinsame Spielen im Garten – trotz Anwesenheit aller  zuständigen Tagesmütter – nicht gewährleistet.

Das Jugendamt erteilte Frau Dér und ihren Kolleginnen daher die Auflage, den Garten mit den beiden Kindergruppen entweder zeitlich versetzt zu nutzten oder die zwei Gruppen im Garten zu trennen. Eine Durchmischung der Gruppen müsse vermieden werden.

Das Jugendamt nennt § 43 SGB VIII in Verbindung mit § 15 des Niedersächsischen Gesetzes zur Ausführung des Achten Buchs des Sozialgesetzbuchs (Nds. AG SGB VIII) als Rechtsgrundlage. Dort heißt es in Abs. 2:

„Ist im Fall der gemeinsamen Nutzung von Räumen durch mehrere Tagespflegepersonen zum Zwecke der Betreuung die vertragliche und persönliche Zuordnung des einzelnen Kindes zu einer bestimmten Tagespflegeperson nicht gewährleistet, so handelt es sich um eine Tageseinrichtung.“

Info: Tageseinrichtung

In Abgrenzung zur Kindertagespflege werden in Tageseinrichtungen (Hort, Kindergarten, Kindertagesstätten und Krippen) die Kinder durch pädagogisch qualifizierte Fachkräfte (z.B. Erzieher, Sozialpädagogen, Kinderpfleger) gruppenpädagogisch gefördert.

Quelle: Gesetz über Tageseinrichtungen für Kinder Niedersachsen, SGB VIII, Nds. AG SGB VIII

Das Jugendamt ist der Ansicht, aus dieser Vorschrift ergebe sich eindeutig die Notwendigkeit der räumlichen Trennung der Gruppen beim Spielen im Garten. Denn, wenn die Gruppe der Kinder zu groß werde, sei die persönliche Zuordnung des einzelnen Kindes zu seiner Tagesmutter nicht gewährleistet. Die Kinder würden trotz Anwesenheit ihrer Tagesmutter nicht mehr wissen, welche Tagesmutter ihre Bezugsperson sei. Das Kindeswohl sei dadurch gefährdet.

Gemeinsames Spielen auf dem Spielplatz ja, im Garten nein?

Frau Dér und ihre Kolleginnen können diese Sichtweise nicht nachvollziehen Die Kinder seien in einem Alter, in dem sie sehr genau wissen, in welche Gruppe und zu welchen Bezugsperson sie gehörten. Die persönliche Zuordnung des Kindes werde nicht dadurch aufgehoben, dass die Tagesmutter das jeweilige Kind zusammen mit einer anderen Tagesmutter in einem Garten betreut, argumentiert der zwischenzeitlich von Frau Dér beauftragte Anwalt. Dieser gibt darüber hinaus zu bedenken, dass außerdem beide Gruppen problemlos gleichzeitig auf einen benachbarten öffentlichen Spielplatz spielen dürften. Hier würde ja auch keine Trennung erfolgen.

In der Tat stellt das Gesetzeswortlaut darauf ab, ob die Kinder ihrer Tagespflegeperson zugeordnet werden können. Von der Notwendigkeit der „räumlichen“ Trennung ab einer bestimmten Gruppengröße ist nicht die Rede. Auch spricht die vom Jugendamt genannte Vorschrift des § 15 Nds. AG SGB VIII von gemeinsamer Nutzung von „Räumen“ und nicht von Außenflächen, wie dem gemeinsamen Garten oder einem Spielplatz. Bei dem Garten der Kindertagespflege handelt es sich begrifflich nicht  um „Räume“ im Sinne der Vorschrift. Das Jugendamt meint hingegen, der Garten müsse als regelmäßig genutzte Fläche wie die Räume innerhalb des Hauses behandelt werden und könne nicht wie ein Spielplatz angesehen werden.

Zaun mitten durch den Garten

Um ihre Pflegeerlaubnis nicht zu verlieren, befolgten die Tagesmütter die Auflage vorerst. Da sie eine zeitversetzte Nutzung des Gartens gerade in den Sommermonaten für nicht realisierbar hielten,  teilten sie den Garten durch einen provisorischen Zaun. Die Trennung des Gartens führte nachmittags, wenn genrell nur noch wenige Kinder da sind, zu absurden Situationen: Selbst wenn aus der einen Gruppe nur noch ein Kind da war, durfte es nicht mit den Kindern der anderen Gruppe spielen, sondern musste allein auf seiner Seite bleiben.

 

„Es ist kaum möglich, einem Kind zu erklären, dass es nicht mit den anderen Kindern spielen darf, weil es zu einer anderen Gruppe gehört.“ (Zitat Miriam Dér)

 

Eltern beschweren sich über die Auflage – Jugendamt bietet Kompromiss an

Viele Eltern beschwerten sich daraufhin beim Jugendamt über die aus ihrer Sicht „unverständliche und unsinnige Maßnahme“.  Das Amt antwortete, man habe nun mal zur Aufgabe „die Einhaltung der gesetzlichen Standards zu achten“. Es sei sicherlich nicht leicht für die Kinder, die Trennung zu leben, aber es sei notwendig. Die Eltern gingen schließlich an die Presse. Das Jugendamt bot schließlich ein Kompromiss an und modifizierte die Auflage im Oktober 2015 folgendermaßen:

 „Im Garten dürfen höchstens 10 Kinder zeitgleich betreut werden. Dabei muss gewährleistet sein, dass die dem jeweiligen Kind vertraglich zugeordnete Tagespflegeperson anwesend ist. Sollte eine zeitgleiche Betreuung von mehr als 10 Kindern stattfinden, müssen die Spielbereiche getrennt werden.“

Frau Dér hält diese Modifizierung zwar für eine Verbesserung, die Situation mit dem Zaun jedoch weiterhin für unbefriedigend. Der Zaun trennt den Garten der Kindertagespflege mitsamt allen Spielgeräten, auf der einen Seite die Rutsche, auf der anderen dem Sandkasten. Die getrennte Nutzung des Gartens schränke die Kinder daher grade in den Sommermonaten sehr ein. Sie hat gegen die Auflage inzwischen Klage erhoben. Der jetzige Zustand kann ihrer Meinung nach nicht der Sinn und Zweck und die gewollte Konsequenz der gesetzlichen Vorschriften zu Kindertagespflege sein.

 Stand der Falldarstellung: 04/2016

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