„Werner-Bonhoff-Preis“ Gewinner 2006
Hans-Wolff Graf, München, Bayern

Unkonventionelles Selbständigenmodell spart Kosten und Arbeit

Die 1985 gegründete efv-AG ist eine Finanz- und Vermögensberatung, die Anlegern und Ratsuchenden im Finanzmarkt eine unabhängige Beratung gegen Honorar anbietet. Hans-Wolff Graf, Gründer und Vorstand der efv-AG, hat sich mit seinem Modell bewährt, wonach sein Unternehmen ausschließlich mit selbständigen Partnern arbeitet. Die Aktiengesellschaft hat keinen einzigen Festangestellten. Alle Partner der AG – Beratung, Sekretariat, Rechnungswesen etc. – sind Selbständige mit einem eigenen, angemeldeten Gewerbe. Weiterhin sind alle Partner über vinkulierte Namensvorzugsaktien an dem Erfolg der Firma beteiligt. Die Partner kümmern sich selbst um ihre Altersversorgung und über Gruppenverträge steht allen eine kostengünstige Invaliditätsabsicherung zur Verfügung.

Zusammen mit der Möglichkeit, auf eine Lohnbuchhaltung zu verzichten, bedeutet dieses Modell für das Unternehmen eine erhebliche Ersparnis. Es hat Vorteile für alle Beteiligten, auch was die Vermeidung von Verwaltungsaufwand anbelangt. Die Rechtsbeziehungen zwischen Arbeitgeber und [verselbständigten Bürokratien], wie die Deutsche Rentenversicherung, Bundesagentur für Arbeit, Berufsgenossenschaften und gesetzliche Krankenversicherungen, halten sich gering. Dadurch bleibt deutlich weniger Raum für bürokratische Hürden. So gelten zum Beispiel auch Vorschriften über die Ausstattung der Büroräume nicht.

Mehr unternehmerische Freiheit, Flexibilität und Motivation

Entscheidend für Herrn Graf, dieses Modell einzusetzen, war insbesondere die höhere Motivation der Mitarbeiter. Es motiviert ihn, dass seine freien Mitarbeiter außerordentlich motiviert sind, was zur Folge hat, dass die Produktivität weit über dem Branchendurchschnitt liegt. So obliegt es nicht Herrn Graf als Vorgesetzten, für eine hohe Auslastung und Begeisterung seiner Mitarbeiter zu sorgen. Es liegt vielmehr im Eigeninteresse der selbständigen Partner, sich um eine befriedigende Beschäftigung selbst zu kümmern.  Schließlich werden die Partner am Markt tätig und nach Leistung bezahlt, nicht nach Anwesenheit, wie es im klassischen Angestelltenverhältnis geschieht.

Besonders für junge Unternehmen ist dieses Modell interessant. Gerade am Anfang wissen Gründer häufig noch nicht genau, wie sich ihr Geschäft entwickeln wird. Mit selbständigen Partnern zu arbeiten, verspricht hohe Motivation und Flexibilität auf der einen Seite, geringe Nebenkosten, Vertragsbindungen und Fürsorgepflichten auf der anderen Seite. Hierbei wird bewusst auch auf den Fürsorgeansatz des Arbeitsrechts verzichtet, wie Kündigungsschutz bei Krankheit und gesetzlicher Urlaub. Die freien Mitarbeiter sind hier aber auch nicht abhängig. Für ein kleines Unternehmen kann es häufig problematisch werden, Arbeitnehmer zu 100% bezahlen, die aufgrund von Krankheit nicht anwesend sind. Auch wenn das Aufwandsausgleichsgesetz (AAG) ermöglicht, dass die Lohnkosten im Krankheitsfall auf Antrag zu 80 Prozent erstattet werden können. Leistung wird bei Abwesenheit nicht erbracht. Deshalb verspricht das Graf’sche Modell mehr Flexibilität, da je nach Auslastung mehr oder weniger gearbeitet und gezahlt wird – zur Zufriedenheit beider Seiten. Dies gilt auch unabhängig von Krankheit oder Urlaub: der Selbständige kann je nach Auslastung gleichzeitig für mehrere Auftraggeber tätig sein.

Es geht Herrn Graf nicht darum, die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, den Mutterschutz und andere grundlegende Regelungen des deutschen Arbeitsrechts abzuschaffen. Der Fall macht aber deutlich, wie ungleich dichter das Netz von Vorschriften ist, wenn Arbeitnehmer beschäftigt werden, als wenn mit Selbständigen gearbeitet wird.

Gleichzeitig werden damit die Anwendbarkeit von Vorschriften wie die Benennung eines Gesundheitsbeauftragten, Einrichtung getrennter Toiletten für Damen und Herren mit einer Mindestfläche von 6 m², Berücksichtigung von Belüftungsvorschriften, Beachtung der Mindestanzahl von Lux bei der Beleuchtung der Räume und Vorschriften über die Farbgestaltung der Wände vermieden. Diese für größere Betriebe selbstverständlichen Vorschriften können für den unternehmerischen Nachwuchs häufig zum Fallstrick werden, da sie viel Geld für deren Organisation und Infrastruktur einfordern, welches häufig noch nicht zur Verfügung steht. Deshalb möchte der Gründer am Anfang seines Geschäftsbetriebs diese kostspieligen Regelungen gern vermeiden.  

Modell kann unternehmerische Menschen inspirieren

Die von Herrn Graf vorgenommene Entscheidung könnte sich zur Nachahmung vor allem für kleine und junge Unternehmen eignen, die finanziell (noch) nicht gut aufgestellt sind und rasch auf marktwirtschaftliche Veränderungen reagieren müssen. Vor der Einführung des Graf’schen Modells sollte der junge Unternehmer sicherheitshalber ein Statusverfahren einleiten, um rechtlich verbindlich zu klären, ob die jeweiligen Mitarbeiter als Angestellte oder Selbständige von den Sozialversicherungsträgern behandelt werden. Wenn die Branche und Umstände es zulassen, wie zum Anfang einer Selbständigkeit, in der die Auftragsentwicklung noch unklar ist, bietet sich das Graf’sche Modell an. Wenn das Geschäft des Gründers floriert, kann er sich immer noch entscheiden, langfristig feste Mitarbeiter im sozialversicherungspflichtigen Angestelltenverhältnis zu beschäftigen.

Für Herrn Graf und seine Mitarbeiter ist dieses Modell geeignet. Es ist sicher nicht auf alle Unternehmen übertragbar. Das Modell ist als Individuallösung zu verstehen, welches die Bedürfnisse im Unternehmen ins Zentrum stellt und kreative Impulse für unternehmerisches Gestalten von der Basis der Praxis aussendet.

Diese Auffassung teilte auch die Jury der Werner-Bonhoff-Stiftung, die ihn deshalb mit dem „Werner-Bonhoff-Preis-wider-den-§§-Dschungel“ 2006 ausgezeichnet hat.

Stand der Falldarstellung: 05/2006

 

Weitere Informationen zum Thema:

Interview in brandeins Ausgabe 01/2007: Der Unbeugsame

Interview des VGSD e.V. mit Herrn Graf vom 13.07.2015: Eine AG ohne Angestellte, nur mit Selbstständigen?

 

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