Baris Özel & Max Krämer, Bugfoundation GmbH, Osnabrück, Niedersachsen

Interpretation und Auslegung einer EU-Verordnung sorgt für Schwierigkeiten beim Vertrieb von insektenhaltigem Lebensmittel in Deutschland

Das Vorhaben des Osnabrücker Start-Ups, ihre gemeinsam mit dem Deutschen Institut für Lebensmitteltechnik entwickelten Insektenburger, die bereits in den Niederlanden und Belgien erfolgreich vertrieben werden, auch auf den deutschen Markt zu bringen, verlangte den Jungunternehmern Baris Özel und Max Krämer viel unternehmerisches Engagement und Durchhaltevermögen ab. Grund für den späten Verkaufsstart hierzulande war die bis Ende 2017 geltende Europäische Novel Food Verordnung a.F., die Insekten als Lebensmittel nicht explizit erwähnte und somit für eine unterschiedliche Interpretation in den Mitgliedstaaten sorgte. Der Fall zeigt erneut das Problem der Anwendung und Auslegung bestehender Normen auf Unternehmen mit innovativen Ideen und die hieraus resultierenden Folgen für die betroffenen Unternehmer.

Der studierte Betriebswirt Baris Özel und der studierte Geograph Max Krämer sind geschäftsführende Gesellschafter der Bugfoundation GmbH. Das 2014 in Osnabrück gegründete Start-up beschäftigt sich mit der Entwicklung und Herstellung insektenhaltiger Produkte. 2015 ging das Unternehmen mit ihrem „Bux Burger“, einem Burgerpatty, der zu 43 Prozent aus gemahlenen Buffalowürmern besteht (Larven des Glänzendschwarzen Getreideschimmelkäfers) an den – zunächst nur belgischen und niederländischen – Markt. Seit April 2018 ist der Insektenburger auch in Deutschland – in über 1000 REWE Filialen – erhältlich. (Quelle: www.bve-online.de).

Die Idee für das Produkt entstand bei einer gemeinsamen Reise der Unternehmensgründer durch Asien im Jahr 2010, bei der sie nicht nur das Potenzial hinter insektenhaltiger Kost, sondern auch den guten Geschmack derselbigen erkannten. Während Insekten für 30 Prozent der Weltbevölkerung (verbreitet in Teilen Afrikas, Asiens, Nord-, Mittel- und Südamerikas) zur Ernährung gehört, sind Insekten als Alternative zu konventionellen Tierprodukten in Europa wenig verbreitet. Die Idee, Insekten als Nahrungsalternative nach Europa zu bringen, ließ die Unternehmer schließlich nicht mehr los.

Zurück in Deutschland verglich Herr Krämer im Rahmen seiner Bachelorarbeit die Ressourcenbilanz der Insektenproduktion mit der herkömmlichen Fleischproduktion. Die Ergebnisse überzeugten ihn auch in Sachen Nachhaltigkeit: Für Zucht und Produktion werden zwölfmal weniger Futter benötigt als für die Herstellung einer äquivalenten Menge Fleisch. Gleichzeitig wird der Wasser- und Flächenverbrauch deutlich gesenkt, was die Reduzierung der Treibhausgase um den Faktor 100 mit sich bringt. (Quelle: Max Krämer, „Insekten – Nahrungsmittel der Zukunft? Insekten – Nahrungsmittel der Zukunft?“ Bachelorarbeit, 2013).

Zwei Jahre Entwicklungszeit mit Unterstützung von EU-Fördergeldern

Neben ihrem Studium versuchten sich die Unternehmer zunächst am heimischen Herd an den ersten Prototypen. Fast zwei Jahre Entwicklungszeit steckten sie insgesamt in die Realisierung Ihrer innovativen Idee. Was zunächst am heimischen Herd begann, konnte mit Hilfe von Fördergeldern des europäischen Food Future-Programms 2020 vorangetrieben werden, in dem es u.a. in die Produktentwicklung und Qualitätssicherung in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Institut für Lebensmitteltechnik (DIL) floss. Im Oktober 2015 war das Produkt marktreif.

Hohe Genehmigungshürden und unterschiedliche Rechtsauffassung in den Mitliedstaaten- Verkaufsverbot für Deutschland

Doch der Markteintritt gestaltete sich für das junge Unternehmen noch schwerer als erwartet. Das Unternehmen stieß auf einen schwer zu durchdringenden europäischen Markt mit hohen gesetzlichen Anforderungen, weil bis Anfang 2018 die Rechtslage für Insekten als Lebensmittel nicht eindeutig geregelt war.

Lebensmittel können zwar grundsätzlich im Rahmen der lebensmittelrechtlichen Bestimmungen ohne vorherige Zulassung in den Verkehr gebracht werden, eine Ausnahme bilden die neuartigen Lebensmittel (sog. Novel Foods). Jedes Unternehmen, das mit einem solch neuartigen Lebensmittel auf den Markt wollte, musste zunächst es einen Zulassungsantrag bei der zuständigen nationalen Behörde (in Deutschland beim Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) stellen und gleichzeitig belegen, dass das Lebensmittel sicher für die Verbraucher war.

Info: Novel Food (englisch neuartige Lebensmittel) sind nach gesetzlicher Definition Lebensmittel, die vor dem Inkrafttreten der Novel-Food-Verordnung innerhalb der EU nicht in nennenswertem Umfang zum Verzehr in den Handel gebracht wurden.

Die bis Ende 2017 geltende Novel Food-Verordnung (EG) Nr. 258/97) regelte zwar den Umgang mit neuartigen Lebensmitteln, in der Verordnung selbst wurden jedoch nur „Lebensmittelzutaten, die aus Tieren isoliert wurden“ genannt. Ganze Tiere wurden nicht explizit erwähnt (vgl. Art 1 Buchstabe e) Verordnung (EG) Nr. 258/97). Unklar war deshalb, ob auch ganze Insekten als „Novel Food“ gelten würden.

Artikel 1

(2) Diese Verordnung findet Anwendung auf das Inverkehrbringen von Lebensmitteln und Lebensmittelzutaten in der Gemeinschaft, die in dieser bisher noch nicht in nennenswertem Umfang für den menschlichen Verzehr verwendet wurden und die unter nachstehende Gruppen von Erzeugnissen fallen:

        1. e) Lebensmittel und Lebensmittelzutaten, die aus Pflanzen bestehen oder aus Pflanzen isoliert worden sind, und aus Tieren isolierte Lebensmittelzutaten, außer Lebensmittel oder Lebensmittelzutaten, die mit herkömmlichen Vermehrungs- oder Zuchtmethoden gewonnen wurden und die erfahrungsgemäß als unbedenkliche Lebensmittel gelten können;

Das Problem der Gründer steckte somit wortwörtlich im Detail.

Insbesondere hinsichtlich der Interpretation der Verordnung durch die einzelnen Mitgliedsstaaten  musste das Unternehmen deutliche Unterschiede feststellen. Während EU-Staaten wie Belgien oder die Niederlande die Verordnung derart interpretierten, dass eine Zulassung solcher Lebensmittel unproblematisch sei, wenn diese in der Verordnung nicht erwähnt sind, legten die zuständigen Behörden in Deutschland die EU-Verordnung restriktiver aus. Die Begründung lautete: wenn ganze Insekten in der Verordnung nicht erwähnt würden, könnten diese auch nicht als Lebensmittel zugelassen werden.

Dies bedeutete für das Unternehmen nicht nur einen Vertriebsstopp für den deutschen Markt, sondern stellte es vor eine existenzielle Herausforderung.

Gefahr der Wettbewerbsverzerrung durch unterschiedliche Auslegung der EU-Mitgliedstaaten

Kritik formulierte Max Krämer u.a. in einem Interview in wired.de vom 27.11.2017, indem er mehr Chancengleichheit auf dem Markt forderte: „Aktuell herrscht eine ziemliche Wettbewerbsverzerrung. Das finden wir kritikwürdig, weil das Lebensmittelrecht ja eigentlich europaweit gilt.
Schade ist, wenn das in der Praxis dann nicht so durchgesetzt wird.“ (Quelle: www.wired.de).

Die Unternehmer beanstanden nicht den gebotenen und nachvollziehbaren Gesundheitsschutz des Verbrauchers, machen jedoch deutlich, dass die unterschiedliche Anwendung der Verordnung zu einer, vom europäischen Gesetzgeber nicht gewollten, Wettbewerbsverzerrung führt. Denn über das „ob“ des Vertreibens entscheidet somit nicht mehr die Verordnung selbst, sondern lediglich die jeweilige Auslegung des Mitgliedstaates.

Was war die Intention des Gesetzgebers?

Eine Kritik, die berechtigt klingt. Denn liest man den Gesetzestext der alten Novel-Food-Verordnung (kurz: NFV) genau, dürfte eigentlich keine Zulassungspflicht für ganze Insekten bestehen, da sie nicht in den Anwendungsbereich der NFV fallen. Denn die Novel-Food-Verordnung 1997 machte ihre Anwendbarkeit in Art. 1 Abs. 2 grundsätzlich von zwei Voraussetzungen abhängig, die beide erfüllt sein mussten: 1. Lebensmitteln und Lebensmittelzutaten, die in dieser bisher noch nicht in nennenswertem Umfang für den menschlichen Verzehr verwendet wurden und 2. die unter nachstehende Gruppen von Erzeugnissen fallen.

In der alten Verordnung waren nur „aus Tieren isolierte Zutaten“ erfasst, so dass bereits der Begriff „isoliert“ sehr unscharf formuliert ist. In einem Rechtsgutachten, das die Bugfoundation GmbH im November 2017 hinsichtlich des Vertriebs der Insekten anfertigen ließ, wird auch die entsprechende Kommentarliteratur herangezogen, die zeigt, dass mit „Isolation“ u.a. die Isolation von Farbstoff aus tierischem Gewebe nennt. Auch die Gesetzeshistorie der NFV 1997 sprach gegen eine solche Zulassungspflicht. Denn die Verordnung sollte in erster Linie dazu beitragen, das Vertrauen der Verbraucher in gentechnisch oder anderweitig technologisch veränderte Lebensmittel zu stärken (Vgl. Streinz/Leible, EFLR 1992, S.99f.).

Ganze Insekten, die zur Herstellung von Nahrungsmitteln nach traditionellen Verfahren, beispielsweise durch Zerkleinern und Frittieren weiterverarbeitet wurden, fallen somit eigentlich in keine der definierten Fallgruppen der NVF 1997.

Um diese Unklarheiten zu beseitigen, war schließlich der europäische Gesetzgeber gehalten, eine genauere Kategorisierung einzuführen.

Doch Bugfoundation konnte diese Neuregelung aus unternehmerischer Sicht nicht abwarten, weil durch das Verkaufsverbot in Deutschland keine Umsätze eingefahren werden konnten. Stattdessen nutzten Sie die Möglichkeiten, die die Verordnung ihnen in den unterschiedlichen Mitgliedstaaten bot.

Start in Belgien und Niederlanden

Um am Markt bestehen zu können entschied sich die Bugfoundation – gezwungenermaßen- den Burger zunächst in Belgien zu vermarkten. Trotz erster Anlaufschwierigkeiten im Nachbarland, konnten die Gründer mit ihrem Produkt in einigen Restaurants und Supermarktketten überzeugen und ihr Produkt vertreiben. Zwei Jahre darauf erfolgte der Verkauf auch auf dem niederländischen Markt- flächendeckend in zehn weiteren Städten.

Zeitgleich bemühten sich die Unternehmer weiterhin um die Zulassung auf dem deutschen Markt.

Novellierung der alten Verordnung – löst die alte Verordnung zum Januar 2018 ab

Im November 2015 fand aufgrund diverser bestehender Gesetzeslücken eine Novellierung der NVF statt. Ziel der neuen Verordnung sollte es sein die Kategorien der Lebensmittel, die als neuartige Lebensmittel eingestuft werden, zu überprüfen, klarer zu beschreiben und zu aktualisieren. Nahrungsmittel aus Insekten, ganz egal, ob sie aus ganzen Insekten, Insektenteilen oder ‐extrakten hergestellt werden, sollen nunmehr in den Anwendungsbereich der „neuen” NFV fallen und somit grundsätzlich zulassungs‐ und genehmigungspflichtig werden. Weiteres Ziel der neuen Verordnung ist es, das reibungslose Funktionieren des Binnenmarkts sicherzustellen und gleichzeitig ein hohes Niveau beim Schutz der menschlichen Gesundheit und der Verbraucherinteressen herbeizuführen

Seit dem 01. Januar 2018 ist die neue NVF in Kraft.

Ein Novel Food muss seither gesundheitlich bewertet und zugelassen werden, damit es auf den Markt kommen darf. Übernommen wird diese Aufgabe von der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit Efsa. Für den Buffalowurm (Alphitobius diaperinus) wurde bereits ein entsprechender Antrag gestellt, allerdings -aus Kostengründen – nicht von dem Start-up selbst, sondern von deren niederländischen Züchter. Dieser reichte das entsprechende Dossier bei der EU ein, um die Unbedenklichkeit von Insekten nachzuweisen.

Obwohl das Antragsverfahren noch läuft, darf die Bugfoundation bis Anfang 2019 Ihren Burger weiter vermarkten. Möglich macht dieses eine sog. „Transition Period“, weil die Pattys bereits vor dem 1. Januar 2018 in anderen EU-Ländern (hier Belgien und Niederlanden) verkauft wurden.

Durchhaltevermögen und Flexibilität zahlte sich am Ende aus

Den Unternehmern ist es nicht nur gelungen einen schwer zu durchdringenden Markt in Europa zu öffnen und erste vielversprechende Produkte aus Insekten zu realisieren, sondern Sie leisten gleichzeitig einen Beitrag zur nachhaltigen Landwirtschaft der Zukunft.

(Stand 01/2019)

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