Uwe Härtwig vs. Landkreis Havelland

Wohnnutzung im Außenbereich oder wann ist man ein Landwirt?

Uwe Härtwig ist seit Anfang der 1990er Jahre Landwirt in der Gemeinde Milower Land, Landkreis Havelland. Bis 2002 führte er auf rund 200ha Land, die er von der Bodenverwertungs- und -verwaltungs GmbH (BVVG) gepachtet hatte, einen landwirtschaftlichen Betrieb in Form einer Rinderhaltung als Haupterwerb. Zu dem Betrieb gehört ein ca. 2 Hektar großes Hofgrundstück, auf dem sich ein Gebäude (Melkhaus) befindet. Einen kleinen Teil davon nutzt Herr Härtwig seit 1997 als Wohnung.

Insolvenzverfahren nach Hochwasser                                                 

Nachdem ein großes Hochwasser im Sommer 2002 seine Ernte und große Teile des Weidelandes zerstört hatte, geriet Herr Härtwig in finanzielle Schwierigkeiten und konnte die Pacht nicht mehr zahlen. Die BVVG kündigte ihm schließlich den Pachtvertrag und Herr Härtwig musste Insolvenz anmelden. Während des Insolvenzverfahrens drohte das Bauordnungsamt ihm ordnungsbehördliche Maßnahmen an, sollte er weiter auf dem Grundstück wohnen. Da er den Betrieb aufgegeben habe, sei er kein Landwirt mehr und das Wohnen im Außenbereich daher unzulässig. Am 25. April 2004 meldete Herr Härtwig daher seinen Hauptwohnsitz bei seinen Eltern und auf dem Grundstück seinen Nebenwohnsitz an.

Zum Hintergrund

Das Grundstück befindet sich in einem Naturschutzgebiet im bauplanungsrechtlichen Außenbereich gemäß § 35 Baugesetzbuch (BauGB). Baurechtlich fallen in den Außenbereich alle Grundstücke, die weder im Geltungsbereich eines qualifizierten Bebauungsplans liegen, noch zu einem im Zusammenhang bebauten Ortsteil gehören.

Bauvorhaben im Außenbereich sind nur unter strengen Voraussetzungen zulässig, da der Außenbereich grundsätzlich von Bebauung freigehalten werden soll. So sind grundsätzlich nur nach § 35 Abs. 1 Nr. 1-6 BauGB privilegierte Vorhaben (z.B. Vorhaben, die einem land- oder forstwirtschaftlichen Betrieb dienen) sowie sonstige Vorhaben, die öffentliche Belange nicht beeinträchtigen (§ 35 Abs. 2 BauGB), überhaupt genehmigungsfähig.

Vater erwirbt Grundstück / Neuanfang

Am 4. April 2007 erwarb Uwe Härtwigs Vater das 2 ha große Hausgrundstück im Wege der Zwangsversteigerung. Dabei investierte Herbert Härtwig, seine gesamten Ersparnisse und nahm noch einen Kredit auf, um, wie er sagt, das Grundstück in Familienbesitz zu behalten und seinem Sohn seine Existenzgrundlage in der Landwirtschaft zu sichern. Am 2. März 2008 meldete Uwe Härtwig beim Finanzamt wieder einen landwirtschaftlichen Betrieb als Nebenerwerb an. Zu dieser Zeit befand er sich noch im Insolvenzverfahren. Mit der Unterstützung des Jobcenters und seiner Eltern wollte Herr Härtwig langfristig wieder Landwirt im Vollerwerb werden. Dazu pflanzte er etwa 300 Obstbäume als Streuobstwiese und investierte in die Zucht einer Zwergzebu-Rinderherde, die er in der Folgezeit erfolgreich aufbaute. Heute umfasst die Herde ca. 40 Tiere. Zwei seiner Kühe wurden auf der Grünen Woche 2014 in Berlin ausgezeichnet. Darüber hinaus erhielt er vom Landwirtschaftsminister Brandenburg den „Ehrenpreis für besondere Leistungen in der Tierzucht des Landes Brandenburg“.

Bauordnungsbehörde beurteilt das Wohnen nun als illegal

Das Bauordnungsamt bereitete ihm jedoch diverse bürokratische Hürden. Am 11. März 2008 führte das Bauordnungsamt eine Kontrolle auf dem Grundstück durch. Dabei wurde festgestellt, dass Herr Härtwig „ohne die erforderliche Genehmigung“ dort wohne und leitete ein Verwaltungsverfahren ein. Dem Eigentümer des Grundstücks, Herrn Härtwigs Vater, wurde mit Schreiben vom 19. März 2008 mitgeteilt, dass man den Erlass einer Ordnungsverfügung zur Nutzungsuntersagung beabsichtige, es sei denn, er reiche einen Bauantrag ein, um in einem Baugenehmigungsverfahren die Zulässigkeit seines Wohnens dort zu prüfen. Herr Härtwig dürfe nicht in dem Haus wohnen, da er die Wohnnutzung zwischenzeitlich aufgegeben habe und kein Landwirt mehr sei.

Führt die zwischenzeitliche „Betriebsaufgabe“ zum Verlust des Wohnrechts?

Nach eigener Aussage hat Herr Härtwig nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens zumindest zeitweise auf dem Hof weiterhin gewohnt. Dies habe der Insolvenzverwalter aus Gründen der Grundstücksverwaltung und dem Schutz vor Vandalismus gewusst und gebilligt. Das Bauamt steht jedoch auf dem Standpunkt, Herr Härtwig habe die Wohnnutzung zwischenzeitlich aufgegeben und sei „nicht mehr privilegiert, da die Betriebsaufgabe erfolgte.“ Bestandsschutz bestünde nicht, da zwischen der jetzigen und der damaligen Wohnnutzung das Gebäude längere Zeit leer stand. Hier stellt sich dennoch die Frage, ob dies für seine Privilegierung als Landwirt überhaupt eine Rolle spielt. Führt die Unterbrechung der Wohnnutzung automatisch dazu, dass die Privilegierung, also die Zulässigkeit des Wohnens im Außenbereich nach § 35 Abs. 1 Nr. 1 BauGB erlischt? 

Als Herr Härtwig bis 2002 noch Landwirt im Vollerwerb war, war das Wohnen bei seinem landwirtschaftlichen Betrieb nach § 35 Abs. 1 Nr. 1 BauGB unstreitig privilegiert und erlaubt. Es erscheint daher schwer nachvollziehbar, einem Landwirt vorzuhalten, er sein kein Landwirt mehr und dürfe deshalb auf dem Grundstück, auf dem er seit fast 12 Jahren lebt und Landwirtschaft betreibt, nicht mehr wohnen, weil er aufgrund äußerer Umstände in die Insolvenz geriet und seinen Betrieb zwischenzeitlich ruhen lassen musste.

Vater und Sohn waren über diesen Vorgang verwundert und konnten nicht nachvollziehen, warum ein neuer Bauantrag gestellt werden sollte. Bei der Zwangsversteigerung sowie in einem das Grundstück betreffenden Verkehrsgutachten wurde das Grundstück als „Melkhaus mit Wohnteil“ bzw. „Mischnutzung mit Wohnen“ beschrieben. Das Finanzamt stufte das Gebäude als Einfamilienhaus ein. Den Härtwigs war es aus diesem Grund gar nicht in den Sinn gekommen, dass eine erneute Genehmigung des Wohnens erforderlich sein könnte.

Dennoch kamen sie der Aufforderung nach und ließen am 01. Juli 2008 einen „Antrag auf Nutzungsänderung des ehemaligen Melkhauses in eine Mischnutzung mit Wohnteil“ durch ein Bauplanungsbüro stellen.

Kein landwirtschaftlicher Betrieb, sondern „Hobbytierhaltung“

Mit diesem Antrag war das Bauordnungsamt nicht zufrieden und forderte mehrfach Unterlagen nach. Herr Härtwig möge nachweisen, dass das Wohnen einem landwirtschaftlichen Betrieb diene. Ansonsten sei die Wohnnutzung auf dem Grundstück seines Vaters nicht zulässig. Für die Entscheidung über den Antrag setzte es eine Vorschusszahlung und Sicherheitsleistung in Höhe von 540 Euro fest. Für einen Landwirt, der sich noch im Insolvenzverfahren befand und gerade erst wieder dabei war, sich neben dem Bezug von ALG II seine Existenz aufzubauen, keine kleine Summe.

Trotz der durch das Bauplanungsbüro nachgereichten Betriebsbeschreibung kam das Bauordnungsamt zu der Entscheidung, die Genehmigung zu versagen. Im Wesentlichen begründete das Bauamt seine Entscheidung damit, Herr Härtwig habe nicht nachweisen können, dass er einen landwirtschaftlichen Betrieb führt, weshalb die Wohnnutzung unzulässig sei.

Landwirtschaftlicher Betrieb

Das Merkmal „Landwirtschaft“ wird in § 201 BauGB legaldefiniert: „insbesondere der Ackerbau, die Wiesen- und Weidewirtschaft einschließlich Tierhaltung, soweit das Futter überwiegend auf den zum landwirtschaftlichen Betrieb gehörenden, landwirtschaftlich genutzten Flächen erzeugt werden kann.“ Das Merkmal „Betrieb“ wird wie folgt definiert: auf Dauer angelegt und lebensfähig, das heißt wirtschaftlich tragfähig und mit Gewinnerzielungsabsicht. Die Betätigung muss also nachhaltig sein. Dabei kann das ernsthafte Führen eines landwirtschaftlichen Betriebs nicht nur in Gestalt eines Haupterwerbs sondern auch in Form eines Nebenerwerbs erfolgen. Hier erfolgt die Abgrenzung zu reinen Hobbybetrieben, die nicht durch § 35 Abs. 1 Nr. BauGB privilegiert sind.

Sinn und Zweck der Abgrenzung eines landwirtschaftlichen Betriebs zur Hobbytierhaltung ist die Verhinderung von Missbrauch. Ansonsten wäre unter dem Anschein eines landwirtschaftlichen Betriebs u.U. das Wohnen im Außenbereich möglich, was bei Massenauftreten zweifelsfrei zu einer Zersiedlung der Landschaft führen würde. Dies würde dem  Schutz des „Außenbereichs“ zuwider laufen.

Von einem Missbrauch zum Zwecke der Wohnnutzung kann im Falle von Herrn Härtwig jedoch nicht die Rede sein. Es betreibt nicht die Rinderzucht als Vorwand, um auf dem Grundstück wohnen zu können, sondern wohnt dort, um die Rinderzucht überhaupt betreiben zu können. Das Bauordnungsamt ist jedoch der Auffassung, bei der Zwergzebu-Zucht handele es sich um eine Hobbytierhaltung und nicht um einen landwirtschaftlichen Betrieb. Herr Härtwig habe kein nachhaltiges wirtschaftliches Konzept vorgelegt. Eine Gewinnerzielung liege, wenn überhaupt, nur im geringen Maße vor. Zudem sei das Land nur gepachtet und Herr Härtwig befände sich noch im Insolvenzverfahren. Außerdem sei es „für diese Form der Tierhaltung“ nicht  zwingend erforderlich, am Standort zu wohnen. „Zumindest momentan überwiegt daher der Charakter einer Hobbytierhaltung.“ Die Widerspruchsbehörde vertrat dieselbe Auffassung, weshalb Herr Härtwig schließlich Klage erhob.

Verwaltungsgericht vermittelt

Das Verwaltungsgericht Potsdam sah die Sache nicht so eindeutig. Es führte am 11. Mai 2011 eine Ortsbesichtigung durch, bei der es offenbar nicht zu dem Schluss kam, dass kein landwirtschaftlicher Betrieb vorliegt.  Auch der Bürgermeister der Gemeinde, den Herr Härtwig um Unterstützung bat, war der Ansicht, dass „es sich sehr wohl um einen landwirtschaftlichen Betrieb“ handele, „von dem Herr Härtwig auf Dauer leben will“. Der Bürgermeister wandte sich persönlich in einem Schreiben an den Landkreis und bat darum, Herrn Härtwig in seiner Initiative, die Selbstständigkeit zu erreichen und ohne ALG II auszukommen, zu unterstützen. Er jedenfalls, sei „von der Perspektive des Landwirts überzeugt“.

Das Gericht stelle gleichwohl fest, „dass eine bauaufsichtliche Genehmigung hier in jedem Fall erforderlich sei“. Die Parteien einigten sich darauf, dass Herr Härtwig das Bauantragsverfahren weiterführen dürfe und Herr Härtwig nahm die Klage zurück.

Erneuter Bauantrag

Doch auch der erneute Antrag stellte das Bauordnungsamt nicht zufrieden und es forderte wieder Unterlagen nach. Als Herr Härtwig dieser Aufforderung nicht nachkam, stellte es die Bearbeitung des Bauantragsverfahrens am 13. September 2011 ein. In einem erneuten Gerichtstermin am 12.01.2012 unter Vorsitz desselben Richters kamen die Parteien schließlich überein, „eine Legalisierung des vorhandenen landwirtschaftlichen Betriebs in die Wege leiten zu wollen“.

Herr Härtwig wohnt mittlerweile seit mehr als 17 Jahren auf dem Grundstück und betreibt dort – wenn auch mit insolvenzbedingter Unterbrechung – Landwirtschaft. Folgt man der Argumentation des Bauamtes, so ist Herr Härtwig kein Landwirt mehr, weil sein Betrieb zu klein ist und zu wenig Gewinn abwirft. Bei der Beurteilung der Frage – Landwirt oder nicht – sollte jedoch nicht allein der gegenwärtige Zustand betrachtet werden. Als Herr Härtwigs Betrieb noch 200ha umfasste, war er zweifellos Landwirt. Dann kamen ihm das Hochwasser und die Insolvenz dazwischen. Es scheint schwer nachvollziehbar, warum das Bauamt hier streng formalistisch vorgeht und von Herrn Härtwig vehement einen Umnutzungsantrag und den Nachweis eines landwirtschaftlichen Betriebs verlangt, um ihm dann seine Eigenschaft als Landwirt wegen zu geringer Gewinnspanne abzusprechen. Eine solch statische Betrachtung des Sachverhalts lässt außer Acht, dass Herr Härtwig gerade erst dabei ist, sich seine Existenz wieder aufzubauen. Einem Landwirt, der sich durch die Insolvenz gekämpft hat und nun wieder versucht, auf die Beine zu kommen, vorzuhalten, sein Betrieb werfe zu wenig Gewinn ab, um als landwirtschaftlicher Betrieb zu gelten, erscheint nicht lösungsorientiert. Die Einstufung der Tätigkeit als landwirtschaftlichen Betrieb wäre rechtlich vertretbar und würde die Wohnnutzung mit ermöglichen. Die Aufgabe der Wohnnutzung und somit die Betriebsaufgabe würde für Herrn Härtwig das Ende seiner gerade erst wieder entstehenden wirtschaftlichen Existenz bedeuten und er wäre langfristig von ALG II abhängig, weil er nichts anderes gelernt hat.

Stand der Falldarstellung: 10/2014

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