SVLFG

Im Dschungel der verselbstständigten Bürokratien

Ein Dankeschön vorweg: Wir danken den zahlreichen Menschen, die uns sachdienliche Hinweise gegeben und Fälle zur Auswertung zur Verfügung gestellt haben und all jenen, die uns in Zukunft noch an ihren Erfahrungen teilhaben lassen. Erst diese konkreten Beiträge ermöglichen diese kritische Zusammenstellung und das Wirken unseres Projektes.

Die Sozialversicherung für Landwirtschaft, Forsten und Gartenbau (kurz: SVLFG) hat sich aufgrund fundierter kritischer Berichte von Teilnehmern an unserem Projekt „bureaucratic transparency“ die Aufmerksamkeit der Werner Bonhoff Stiftung verdient.

Die Sozialversicherung für Landwirtschaft, Forsten und Gartenbau wurde mit dem Zweck errichtet, die landwirtschaftlichen Unfallversicherung, die Alterssicherung der Landwirte, die landwirtschaftliche Krankenversicherung und die landwirtschaftliche Pflegeversicherung zu regeln. Die bis zum 31.12.2012 bestandenen landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaften, Alterskassen, Krankenkassen und Pflegekassen sowie der Spitzenverband der landwirtschaftlichen Sozialversicherung wurden am 1. Januar 2013 in den neuen Träger mit der Kurzbezeichnung SVLFG eingegliedert.
Die SVLFG ist eine bundesunmittelbare Körperschaft des öffentlichen Rechts mit Selbstverwaltung mit Sitz in Kassel. Sie verfügt bundesweit über neun Geschäftsstellen und derzeit 16 Vorstände.

Kritikpunkte aus der Praxis

Die Werner Bonhoff Stiftung erreichte insbesondere Kritik von Personen, die ein Gartengrundstück besitzen, dieses ausschließlich zu privaten (Erholungs-)Zwecken nutzen, jedoch gezwungen werden, hierfür in die landwirtschaftliche Unfallversicherung einzuzahlen.

Die Anfragen durch die SVLFG bzw. ihrer Rechtsvorgänger, die sich zunächst auf die Größe des Gartengrundstückes und die Art und Intensität der Nutzung richteten, erreichten die Betroffenen in der Regel unerwartet und schienen zunächst „harmlos“. Umso unerfreulicher war in der Folge die Überraschung, als dem Fragebogen ein Beitragsbescheid mit Zahlungsaufforderung folgte.
Dass Tätigkeiten wie zum Beispiel das zweimal jährliche Rasenmähen, saisonales Rosenstrauchschneiden oder Abernten des eigenen Gemüsegartens und der Obstbäume eine Unfallversicherungspflicht auslösende Tätigkeit darstellen kann – stieß verständlicherweise auf großes Unverständnis bei den Betroffenen.

Rechtsgrundlage für das Auslösen einer gesetzlichen Unfallversicherungspflicht ist Band 7 des Sozialgesetzbuches (kurz: SGB VII). Den Regelungen ging bis zum 1.1.1997 die Reichsversicherungsordnung (RVO) voran. Zuständig für Entscheidung in Rechtsstreitigkeiten, die die gesetzliche Unfallversicherung betrafen war das Reichsversicherungsamt. Entscheidungen dieses Amtes werden noch heute vielfach von unseren Sozialgerichten zitiert.

Aufgrund uns von Betroffenen vorgelegten Beitragsbescheiden bzw. Widerspruchsbescheiden folgt die Argumentation der SVLFG gegenüber Garteneigentümern hinsichtlich einer bestehenden Beitragspflicht in der Regel einem doch recht übersichtlichem Schema:

    • Gemäß § 123 Abs.2 SGB VII sind zwar Haus- und Ziergärten, sowie Kleingärten (Größe bis 400qm) keine beitragspflichtigen landwirtschaftlichen Unternehmen. Ab einer die Grenze von 2500 qm überschreitenden Grundstücksgröße geht die SVLFG bzw. gingen ihre Rechtsvorgänger, die Gartenbau- Berufsgenossenschaften, jedoch automatisch von einer Beitragspflicht aus. Teilweise wird hier noch das Argument nachgeschoben, dass bei einer derartigen Größe eine „regelmäßige oder im erheblichen Umfang mit besonderen Arbeitskräften verbundenen Bewirtschaftung“ erforderlich sei und daher Beiträge gezahlt werden müssen. Eine Einzelfallbetrachtung wurde in den Fällen, die uns berichtet wurden, nicht vorgenommen.

Da nicht alle Betroffenen diese Argumentation akzeptierten, beschäftigt der Streit um die Beitragspflicht der Gartenbesitzer vielerorts die Sozialgerichte. Eine einheitliche Rechtsprechung ist hier jedoch nicht vorhanden, insbesondere auf der Ebene der Landessozialgerichte (Berufungsinstanz) gibt es vermehrt differenzierte Betrachtungsweisen, was erfreulich und begrüßenswert ist.

Urteil des Bundessozialgerichts vom 23. Januar 2018 (Az. B 2 U 4/16 R): betreffend Eigentümer von Haus- und Ziergärten
 
In der durchaus lesenswerten Entscheidung des Bundessozialgerichts vom 23. Januar 2018 (Az. B 2 U 4/16 R) wurde eindeutig klargestellt, dass die Grundstücksgröße allein nicht dazu geeignet ist, um eine Beitragspflicht bei der SVLFG herzuleiten. Das Bundessozialgericht führte in seiner Entscheidung u.a. aus, dass: „(…) nach § 123 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII Haus- und Ziergärten keine landwirtschaftlichen Unternehmen sind. Die Norm enthält keine Einschränkung oder Gegenausnahme derart, dass Haus- und Ziergärten ab einer bestimmten Größe (etwa 2.500 m²) wieder der Beitragspflicht unterliegen sollen. Eine Deckungsgleichheit mit der in § 5 SGB VII vorgesehen Größe von 0,25 ha (= 2.500 m²) hat der Gesetzgeber gerade nicht hergestellt. Eine Beitragspflicht besteht nach dem ausdrücklichen Wortlaut des § 123 Abs. 2 SGB VII nur dann, wenn die Haus- und Ziergärten regelmäßig oder in besonderem Umfang mit besonderen Arbeitskräften bewirtschaftet werden oder ihre Erzeugnisse nicht hauptsächlich dem eigenen Haushalt dienen (…).“
 

Urteil des Sozialgerichts Lüneburg vom 26. Mai 2015 (Az.: S 2 U 97/12) stoppt die bisherige Praxis der SVLFG und macht privaten Gartenbesitzern Hoffnung!

Ein Teilnehmer an unserem Projekt aus Niedersachsen ist Eigentümer eines gut 6.000 qm großen Grundstücks, auf dem sich sein Wohnhaus befindet. Am Haus stehen einige Obstbäume, ansonsten besteht das ausschließlich privat genutzte Grundstück aus naturbelassener Wiese mit einzelnen Bäumen. Der Rasen rund um das Haus wird ab und an gemäht. Eine Bewirtschaftung des Grundstücks findet nicht statt.
Im Mai 2011 teilte die Rechtsvorgängerin der SVLFG mit, dass sie der zuständige Unfallversicherungs-träger für die private Park und Gartenpflege sei, sofern das Grundstück die Größe von 2.500 qm übersteigen würde. Da dies hier der Fall sei, stellte sie die Beitragspflicht des Grundstücks-eigentümers ab dem 01.01.2011 fest. Einwendungen des Betroffenen, dass er den Garten rein privat nutzen würde und kein landwirtschaftliches Unternehmen vorliegt, hielt sie entgegen, dass Haus- und Ziergärten nur bis zu eine Größe von 2.500 qm keine landwirtschaftlichen Unternehmen wären und ihre Zuständigkeit bereits aufgrund der vorliegenden Größe des Grundstücks gegeben sei.
Im April 2012 erhielt der Teilnehmer  einen Beitragsbescheid für das Jahr 2011. Der eingelegte Widerspruch verlief erfolglos, sodass er im Juli 2012 Klage am Sozialgericht Lüneburg erhob. Im April 2013 – eine Entscheidung war vom SG noch nicht ergangen – forderte die SVLFG nun auch für das Jahr 2012 Beiträge zur Unfallversicherung, sowie einen Beitragsvorschuss für das Jahr 2013. Auch gegen diesen Bescheid legte der Grundstückseigentümer Widerspruch ein, der abgewiesen wurde. Er erhob auch gegen diesen Bescheid Klage am Sozialgericht Lüneburg. Die beiden Verfahren wurden vom Gericht zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden.
Am 26.05.2015 erfolgte die Entscheidung des Sozialgerichts Lüneburg. Das Gericht erachtete die Klage als begründet und hob die angefochtenen Beitragsbescheide als rechtswidrig auf. Die Urteilsbegründung der Kammer ist überzeugend  und lesenswert.  Die  bisher von der SVLFG vertretene (und durchaus fragwürdige) Rechtsauffassung wird als unzutreffend und nicht vom Gesetz getragen bezeichnet. So führt das Gericht unter anderem aus, dass § 5 SGB VII nicht rechtfertige, dass alle (Garten-)Grundstücke, welche eine Größe von 2.500 qm überschreiten, landwirtschaftliche Unternehmen seien.
„(…) Vielmehr sei § 5 SGB VII erst dann anwendbar, wenn feststeht dass ein landwirtschaftliches Unternehmen im Sinne des § 123 Abs.1 Nr.1 SGB VII mit der genannten Größe auch tatsächlich betrieben werde. Eine Übertragung der in § 5 SGB VII geregelten Situation auf Haus- und Ziergärten ist demgegenüber vom Gesetzgeber nicht gewollt, da er diese gerade wegen ihres der privaten Lebenssphäre zuzurechnenden Charakters ausdrücklich nicht als landwirtschaftliche Unternehmen angesehen hat. Nach dem eindeutigen Wortlaut des § 123 Abs. 2 SGB VII ist ein Haus- oder Ziergarten vielmehr ausnahmsweise nur dann als landwirtschaftliches Unternehmen anzusehen, wenn er regelmäßig mit besonderen Arbeitskräften bewirtschaftet wird oder dessen Erzeugnisse nicht hauptsächlich dem eigenen Haushalt dienen. Auf die Größe des Grundstücks wird daher im Gesetz gerade nicht abgestellt. Die Ansicht der Beklagten, nach der es auf die konkrete Nutzung nicht ankommen soll, steht daher auch aus diesem Grund im offensichtlichen Widerspruch zum Gesetz.(…)“

Das Urteil ist bisher nicht rechtskräftig, die SVLFG hat Berufung zum Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen eingelegt. Wir werden über den Fortgang des Verfahrens weiter informieren, weil es  grundsätzliche Bedeutung hat. Update 11/2019: das Urteil ist rechtskräftig! SVLFG nimmt Berufung zurück! Zur ausführlichen Falldarstellung inkl. Update geht es: hier.

Ein Urteil des Bundessozialgerichts vom 18.01.2011 (Az.: B 2 U 16/10 R) zeigt anschaulich, dass bedauernswerter Weise die konkrete Nutzung des Gartengrundstückes und das damit verbundene Schutzbedürfnis des Eigentümers wohl eher eine untergeordnete Rolle spielen.
 
Vielmehr scheinen Fakten wie die Grundstücksgröße und Definitionen eines „Unternehmens“ im Sinne des Sozialgesetzbuches Band VII den Ausschlag zu geben, eine Schutzbedürftigkeit und damit verbundene zwangsweise Beitragszahlung zu konstruieren.
Dem Urteil zugrunde liegt der Fall, dass der Eigentümer eines 4165 qm großen Wiesengrundstückes dieses zweimal im Jahr mähen lässt, um dadurch den Unkrautsamenflug für Dritte und eine beeinträchtigte Einsehbarkeit einer angrenzenden Straße entgegenzuwirken. Das Schnittgut sei für den Eigentümer ungewünschter Abfall, für das er keine Verwendung habe. Die Berufsgenossenschaft war der Auffassung, dass er Beiträge zur gesetzlichen Unfallversicherung zahlen müsse, der Eigentümer erhob gegen die gesandten Beitragsbescheide Klage.
 
Sowohl das Gericht erster, als auch das der zweiten Instanz sahen die Klage des Eigentümers gegen seine Zwangsmitgliedschaft als unbegründet an. Und auch das Bundessozialgericht wies seine Revision als unbegründet zurück und berief sich dabei im Wesentlichen auf folgende Argumente: Das Wiesengrundstück ist aufgrund der Größe kein der Verschönerung dienender Ziergarten und da die Nutzung nicht auf den häuslichen Bedarf ausgerichtet ist, handelt es sich auch nicht um einen Hausgarten.
 
Durch das Mähen des Wiesengrundstücks wurde ein „Unternehmen“ im Sinne der gesetzlichen Unfallversicherung begründet. Das zweimal jährliche Mähen einer 4163 qm großen Fläche ist eine bodenbewirtschaftende Tätigkeit, der ein nicht unwesentliches Unfallrisiko eigen ist und kann auch vom Arbeitsaufwand her nicht mehr als geringfügig bezeichnet werden.
 

Ein beachtenswertes Urteil hat das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen am 30.11.2011 (Az.: L U 138/10) gesprochen. Wie uns die Pressestelle des Bundessozialgerichts mitteilte, wurde die von der beklagten Berufsgenossenschaft eingelegte Revision inzwischen zurückgenommen, sodass das o.g. Urteil rechtskräftig geworden ist. Beachtenswert an diesem Urteil ist die im Gegensatz zum o.g. Urteil des Bundessozialgerichts erfolgte tatsächliche Betrachtung und Würdigung der Umstände des Einzelfalls. Grundlage für die Betrachtung des Gerichts ist, dass die ursprünglich vom Reichsversicherungsamt festgelegte Obergrenze für (gemäß § 123 Abs.2 Nr.1 SGB VII nicht beitragspflichtige) Haus- und Ziergärten von 2500 qm kein starres Kriterium ist, sondern dass im Einzelfall die Grenze bei besonders intensiver Nutzung unter- bzw. bei extrem geringer Bewirtschaftung auch überschritten werden kann. Somit stellt das Gericht auf den tatsächlich anfallenden Arbeitsaufwand bei dem genutzten Grundstück ab. In dem dem Urteil zugrunde liegenden Fall wird eine 1200 qm große Rasenfläche gelegentlich gemäht und auf einer 1365 qm große Fläche (Buschwerk & Bäume) sowie eine 50 qm große Ziergartenfläche gelegentlich die Rosensträucher beschnitten.

Das Landessozialgericht kommt in seinem Urteil hier zum Ergebnis, dass „ungeachtet der knapp über 2500 qm liegenden Fläche damit nur Tätigkeiten im geringen Umfang verrichtet werden, wie sie für Haus- und Ziergärten typisch sind. Damit liegt keine Tätigkeiten vor, die eine Unterstellung unter den Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung rechtfertigen.“

Ein ebenfalls interessantes und den Einzelfall würdigendes Urteil, dem auch ein Fall in unserer Fallsammlung zugrunde liegt (Fall Siegfried Schwarz), ist das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 22.09.2011 (Az.: L 10 U 5968/07). Hier geht es um die Frage, ob das Mähen eines 18 ha großen Grundstückes eine Versicherungspflicht bei der landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaft auslöse. Im Gegensatz zum Bundessozialgericht, das im oben zitierten Urteil diese Frage bejahte, verneinte das Landessozialgericht dies in dieser Entscheidung. Begründet wurde dies damit, dass der Kläger, der Ehemann der Grundstückseigentümerin, das Grundstück zweimal im Jahr mäht und sonst lediglich zu Freizeitzwecken nutzt. Damit würde er kein erkennbares Unternehmerrisiko tragen und auch keine Anhaltspunkte dafür erkennbar sein, dass er mit der erfolgten Bewirtschaftung (Mähen) eigene Vermögensinteressen verfolge.

Es bleibt abzuwarten, ob die Rechtskraft des Urteils des LSG Niedersachsen-Bremen und seiner Argumentation eine Wende in der Rechtsprechungspraxis der Bundessozialgerichte einleitet.

Die Errichtung der SVLFG ist durch das am 18.04.2012 im Bundesgesetzblatt (BGBl. Teil I Nr.16 Seite 579) veröffentlichte „Gesetz zur Neuordnung der landwirtschaftlichen Sozialversicherung (LSV-NOG)“ geregelt.

Am 05.12.2011 erging eine Empfehlung der Ausschüsse im Bundesrat zum Gesetzesentwurf zur Neuordnung der Organisation der landwirtschaftlichen Sozialversicherung (Bundesrat Drucksache 698/1/11). Die Empfehlung erging vom federführenden Ausschuss für Arbeit und Sozialpolitik, dem Ausschuss für Agrarpolitik und Verbraucherschutz, dem Finanzausschuss und dem Gesundheitsausschuss. Zur Regelung des § 5 SGB VII empfahlen die Ausschüsse, die dort vorgesehene Grenze von 2500 qm auf 10.000 qm hinaufzusetzen. Als Begründung führten sie unter anderem an:

„Aktuell führt die gesetzliche Grenze bei Kleinstunternehmen und Hobby-, Land- und Forstwirten zu unbilligen Härtefällen. Der Beitrag übersteigt den Nutzen unverhältnismäßig. Durch die Beitragsbelastungen kommt es verschiedentlich zur Aufgabe der Tätigkeit bzw. der Haltung der Tiere. Diese Problematik soll durch eine erweiterte Möglichkeit der Befreiung von der Versicherungspflicht beseitigt werden. Das Schutzziel des Gesetzgebers wird durch die bestehende Regelung zum Teil überdehnt. In diesem Zusammenhang ist anzumerken, dass die genannten Probleme u. a. entstehen, weil die Überschreitung dieser Fläche als alleiniges Indiz für das Vorliegen einer Bodenbewirtschaftung genutzt wird. Die Tatbestandsmerkmale „planmäßige wirtschaftliche Tätigkeit von nicht ganz kurzer Dauer und einigem Umfang“ und „aktives Handeln“ werden nicht ausreichend geprüft bzw. zu großzügig bejaht. (…) Den Bewirtschaftern von Kleinstflächen, die diese in nicht nennenswertem Umfang nutzen oder bewirtschaften, wird mit der Anhebung der Versicherungsbefreiungsgrenze so die Möglichkeit eröffnet, selbst über eine Schutzbedürftigkeit in der gesetzlichen Unfallversicherung zu entscheiden.“

Die Gegenäußerung der Bundesregierung vom 25.01.2012 (Bundestag Drucksache 17/8495) ging auf die von den Fachausschüssen geäußerten Bedenken nicht ein und stellte allein darauf ab, dass für eine weitreichende Änderung eine gründliche Prüfung erforderlich wäre und diese gravierende, finanzielle Auswirkungen hätte. Der Empfehlung der Ausschüsse wurde nicht gefolgt. Die Grenze verblieb bei 2.500 qm und kann demzufolge für alle Besitzer von Gärten ab 2.501 qm (diese Größe ist gerade in ländlichen Regionen keinesfalls unüblich) eine Beitragspflicht zur Berufsgenossenschaft auslösen.

In einer Pressemitteilung vom 16.04.2013 zu aktuellen, den Bericht 2012 ergänzenden Prüfungsergebnissen teilt der Bundesrechnungshof Folgendes mit: „Der seit Januar 2013 geschaffene Bundesträger der landwirtschaftlichen Sozialversicherung hat in seinen neun Geschäftsstellen sogenannte Regionalbeschäftigte, ohne dass diese eigene Aufgaben wahrnehmen.

Sie sind ehemalige Mitglieder der Geschäftsführungen der einst 36 selbständigen Träger. Für alle ihnen zugewiesenen Aufgaben sind andere Organe zuständig. Der Bundesrechnungshof fordert, umgehend einen sachgerechten Einsatz der neun Regionalbeauftragten zu prüfen. Sie dürfen nur weiter beschäftigt werden, wenn ihnen eigene Aufgaben übertragen werden können.“

Bereits am 11.01.2012 wurde vom Deutschen Bundestag eine schriftliche Stellungnahme des Bundesrechnungshofes veröffentlicht, in der der Rechnungshof die enormen Verwaltungskosten kritisierte.

Im Gespräch mit einem unserer Projektteilnehmer wurde die Frage aufgeworfen, aus welchem Grund es (am Beispiel von der Region Baden-Württemberg) zahlenmäßig viel mehr Mitgliedsunternehmen in der landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaft gibt, als vom Landesamt für Statistik Baden-Württemberg erfasste landwirtschaftliche Unternehmen.

Im Rahmen der Landwirtschaftszählung 2010 des Statistischen Landesamtes Baden-Württemberg wurde ermittelt, dass in Baden-Württemberg insgesamt 44.512 landwirtschaftliche Betriebe existieren. Dem gegenüber verfügte die landwirtschaftliche Berufsgenossenschaft Baden-Württemberg im Geschäftsjahr 2010 über 352.000 beitragspflichtige Unternehmen.

Die unter Punkt C im dargestellten Gesetzgebungsverfahren angesprochene Überdehnung des Schutzzieles des Gesetzgebers durch Erfassung von Unternehmen, die ihr Grundstück ausschließlich zu privaten Zwecken nutzen und daher überhaupt nicht schutzbedürftig sind, könnte zumindest für einen großen Teil der hohen zahlenmäßige Differenz verantwortlich sein.

Folgende Aspekte liefern ergänzende Erklärungsansätze für die hohe Zahl an beitragspflichtigen Unternehmen in der landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaft bzw. der SVLFG:

1) Keine Mindestgröße der landwirtschaftlichen Fläche bei beitragspflichtigen Unternehmen:

Bei den landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaften existiert keine Grundstücksmindestgrenze, um das Unternehmen als beitragspflichtig einzustufen. Auch wenn nach § 5 SGB VII für den landwirtschaftlichen Unternehmer die Möglichkeit besteht, sich bei einer Grundstücksgrenze von bis maximal 2500 qm auf Antrag von der Beitragspflicht befreien zu lassen, reicht der Berufsgenossenschaft grundsätzlich allein die Vermutung der Bodenbewirtschaftung als Indiz für eine Beitragspflicht.
Das statistische Landesamt Baden-Württemberg erfasste in seinem o.g. Bericht jedoch nur landwirtschaftliche Betriebe in Baden-Württemberg mit einer Mindestgröße von 50.000 qm.
Daher ist zu beachten, dass bei der o.g. Anzahl der Mitgliedsunternehmen der Berufsgenossenschaft auch alle landwirtschaftlichen Betriebe erfasst sind, die eine geringere Fläche als 50.000 qm aufweisen (z.B. bewirtschaftete Wald-, Wiesen-, Streuobstflächen, Weinbau).

2) Keine Gewinnerzielungsabsicht bei Unternehmen erforderlich:

Eine Besonderheit bei der Berufsgenossenschaft ist, dass der Unternehmensbegriff nicht streng nach Definition gefasst werden darf. So ist laut Rechtsprechung keine Gewinnerzielungsabsicht notwendig, um unter die Zuständigkeit der landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaften zu fallen. Wer eine hobbymäßig angedachte Schafzucht oder Pferdehaltung betreibt, fällt damit auch unter deren Zuständigkeit und Beitragspflicht.
Eine wichtige Vorschrift ist jedoch, wie der Prozessverlauf im Fall von Herrn Siegfried Schwarz zeigte, die des § 136 Abs.3 Nr.1 SGB VII, nach der ein Unternehmer derjenige ist, „dem das Ergebnis des Unternehmens unmittelbar zum Vor- oder Nachteil gereicht“.

Weiterhin kommen zu den Mitgliedsunternehmen der Berufsgenossenschaft die zusätzlich, d.h. separat erfassten Hilfs- und Nebenunternehmen der landwirtschaftlichen Hauptunternehmen nach § 131 SGB VII hinzu. Damit sind eigene, neben dem landwirtschaftlich betriebenen Hauptunternehmen betriebene Unternehmen gemeint (zum Beispiel „Ferien auf dem Bauernhof“, Selbstvermarktungsunternehmen, etc.).

3) zusätzliche Erfassung von Hilfs- und Nebenunternehmen:

Insbesondere nachdem sich weitere Betroffene aus unterschiedlichen Regionen im Bundesgebiet gemeldet haben, die alle Eigentümer von durch sie ausschließlich zu privaten Zwecken genutzten Grundstücken sind, nährt sich der Verdacht, dass die SVLFG den Schutzzweck des Gesetzes – zugunsten einer Steigerung der Einnahmen – wohl etwas aus den Augen verloren haben könnten, wenn sie die Pflicht zur Mitgliedschaft nicht auf jene beschränkt, die wegen wenigstens teilgewerblicher Nutzung des Unfallversicherungsschutzes bedürfen.

Wir freuen uns über jede Meldung!
Schreiben Sie uns eine E-Mail

Welche Erfahrungen mit Kammern, Gesetzlichen Krankenkassen, Bundesagenturen etc. haben Sie gemacht?

Fälle aus der Praxis, die uns offenbart wurden

Ein Ehepaar besitzt ein ausschließlich privat genutztes Gartengrundstück mit einer recht großen Gesamtfläche von deutlich mehr als 2.500 qm. Die Gartenbau-Berufsgenossenschaft (= seit 2013 Bestandteil der SVLFG) teilte dem Ehemann mit, dass aufgrund der Überschreitung der Grenze von 2.500 qm gemäß § 123 Abs. 1 Nr.4 SGB VII eine Versicherungspflicht in der landwirtschaftlichen Unfallversicherung bestünde. Auf den Einwand des Ehepaares hin, dass der Garten nur rein privat genutzt und überhaupt kein Schutzbedürfnis bestehen würde, teilte die Berufsgenossenschaft mit, dass es auf die Frage der konkreten Nutzung nicht ankomme, da die Grenze von 2500 qm überschritten sei. Hierbei berief sich die Genossenschaft im Januar 2012 auf einen Beschluss des Landessozialgerichtes Niedersachsen aus dem Jahr 1996, Az.: L 6 192/96 und wehrte alle Einwände des Ehepaares ab. Seit dem 30.11.2011 existierte jedoch ein Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen ( Az.: L U 138/10), das genau konträr argumentierte – nämlich dass es gerade bei Hausgärten sehr wohl auf den Umfang und die Art der konkreten Nutzung ankäme. Das Ehepaar erhob nach erfolglosem Widerspruchsverfahren Klage zum Sozialgericht. Der Ausgang des Verfahrens ist noch offen. Wir werden über den Fortgang des Falls hier berichten.

Ein Ehepaar in Mecklenburg-Vorpommern besitzt ein insgesamt 1,5 ha (15.000 qm) großes Grundstück. Im Dezember 2011 wurden sie von der Gartenbau-Berufsgenossenschaft aufgefordert, anhand eines übersandten Meldebogens Angaben zu tätigen, um zu prüfen, ob sie der Beitragspflicht zur landwirtschaftlichen Unfallversicherungen unterliegen würden. Das Ehepaar gab gegenüber der Berufsgenossenschaft wahrheitsgemäß an, dass nach Abzug der Flächen für ihr Wohnhaus, einen Doppelcarport, einer Garage, einer ca. 1ha großen Gnadenbrotwiese (Weideland), Stallgebäude, Schuppen, befestigter Hoffläche lediglich eine Fläche von 2000 qm übrig bleiben würde, die als privater Garten genutzt wird. Da damit die Grenze von 2500 qm unterschritten werde, würde nach Ansicht des Ehepaares keine Versicherungspflicht bestehen. Diese Ausführungen wurden von der Berufsgenossenschaft scheinbar akzeptiert, denn das Ehepaar hörte seither nie wieder etwas von ihr.

Eine Rechtsanwaltsfachangestellte aus Sachsen hat für die hobbymäßige Haltung von zwei Pferden drei Wiesengrundstücke mit einer Gesamtfläche von knapp 1,6 ha gepachtet. Auch sie wurde seit dem Jahr 2005 von der landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaft (zum 01.01.2013 in die SVLFG eingegliedert) als „Unternehmerin im Sinne des SGB VII“ verpflichtet, Beiträge zur Unfallversicherung zu zahlen. Dabei basierte ihr Beitragsbetrag zum einen auf dem Arbeitsbedarf bei einer bodenbewirtschaftenden Landwirtschaft und zum anderen auf dem Arbeitsbedarf und dem damit statistisch verbundenen Unfallrisiko bei ihrem von der Berufsgenossenschaft (konstruierten) Nebenunternehmen durch die Pferdehaltung. Seit dem Umlagejahr 2010 steigt ihr Beitrag stetig an, ein darauf gerichteter Widerspruch im Jahr 2011 sowie ihr Widerspruch gegen das Bestehen einer Versicherungspflicht wegen rein hobbymäßiger, privater Pferdehaltung blieb im Ergebnis erfolglos. Mittlerweile zahlt sie im Jahr 282,- € dafür, dass sie zwei Pferde auf drei Weiden (für die sie ordnungsgemäß Pacht zahlt) hält und die Tiere in ihrer Freizeit bewegt, die Ställe ausmistet, füttert und pflegt.

Die Ehefrau eines Rechtsanwalts in Baden-Württemberg besitzt ein 18 ha großes Grundstück. Der Ehemann selbst mäht zweimal im Jahr den Rasen des Grundstückes und nutzt es sonst zu Freizeitzwecken. Das Rasenmähen soll nun für die landwirtschaftliche Berufsgenossenschaft eine Beitragspflicht auslösen, gegen die sich der Rechtsanwalt jedoch berechtigt und im Ergebnis erfolgreich zur Wehr setzte. Lesen Sie mehr zu diesem Fall in unserer Fallsammlung unter http://www.werner-bonhoff-stiftung.de/meldung-von-siegfried-m.-schwarz-kislegg

Eine Dame im östlichen Ruhrgebiet in Nordrhein-Westfalen besitzt ein knapp 3400 qm großes Grundstück auf dem auch ihr Wohnhaus steht. Sie nutzt jedoch nur 1000 qm (Wohnhaus plus Garten), der Rest des Grundstückes ist brach liegendes Ackerland und wird nicht genutzt. Der Nutzung des gesamten Grundstückes stehen auch tatsächliche Gegebenheiten entgegen, da mangels genügend Zufahrtswege eine vollständige Nutzung des gesamten Grundstückes als Ackerland nicht möglich ist. Wie uns die Betroffene mitteilte, interessiere die SVLFG nicht, dass der Großteil des Grundstückes ungenutzt sei und möchte daher von ihr Beiträge auf Grundlage der gesamten Grundstücksfläche.
Wir werden hier über neue Informationen zum Fall fortlaufend berichten.

Ein Jagdbezirksinhaber aus dem Landkreis Vorpommern-Rügen in Mecklenburg-Vorpommern, der ein 590 ha großes Grundstück von einer Jagdgenossenschaft gepachtet hat, um dort in seiner Freizeit die Jagd auszuüben, beklagt eine seit 2009 stetig steigende Beitragshöhe bei der SVLFG. Aufgrund der Regelung des § 123 Abs. 1 Nr. 5 SGB VII ist der Zuständigkeitsbereich der SVLFG für Jagen im Allgemeinen eröffnet und somit besteht gesetzlich eine Versicherungspflicht. Auf eine andere Unfallversicherung können die Jagdbezirksinhaber nicht ausweichen.

Seine Jahresbeiträge stiegen von 106,10 € im Jahr 2009 auf 185,22 € im Jahr 2010, im Jahr 2012 auf 385,52 €. Für viele Jägerinnen und Jäger ist die freiwillig übernommene und ehrenamtlich ausgeübte Aufgabenstellung ökonomisch kaum noch tragbar. Der deutsche Jagdschutz Verband informiert im Februar 2013 darüber, dass die Rechtsvorgänger der SVLFG, die Landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaften, die Beiträge seit 2011 um gut 300 % erhöht haben und im Jahr 2014 eine weitere Erhöhung angedacht ist, um einen bundeseinheitlichen Beitrag einzuführen.

Verschiedene Landesjagdverbände raten dazu, gegen die Beitragserhöhung 2012 per Widerspruch vorzugehen, da der Beitragssteigerung keine Leistungssteigerung von Seiten der Versicherung gegenüberstehe. Auch der uns bekannte Jagdbezirksinhaber hat Widerspruch eingelegt. Bisher ist uns noch kein Ergebnis bekannt, wir werden darüber berichten.

Sehen Sie zwischen Ihrem und einem hier geschilderten Fall Parallelen und interessieren sich für mehr Informationen durch andere Betroffene?

Dann nutzen Sie die kostenlose Bonhoff-Börse:

  • Profitieren Sie von den Erfahrungen anderer Betroffener
  • Zeigen Sie gemeinsam mit uns und anderen Betroffenen, dass viele ähnlich gelagerte Einzelfälle auf strukturelle Probleme hinweisen
  • stimmen Sie sich mit Mitstreitern ab, wenn Sie in einer Sache gemeinsam aktiv werden wollen
  •  

Kontaktieren Sie uns!

Welche Erfahrungen haben Sie mit der SVLFG oder ihren Rechtsvorgängern gemacht?

Wir freuen uns über jede Meldung!

Neueste Fälle

Beantworten Sie bitte drei Fragen zu Ihrem Bürokratie-Erlebnis und bewerben Sie sich damit automatisch für den Werner Bonhoff Preis