Ostseebad Rerik

Verbot von Ferienwohnungen im Landkreis Rostock – Hunderten von Eigentümern von Ferienwohnungen wird völlig unerwartet die Vermietung verboten

Nutzungsuntersagung für Eigentümer von Ferienwohnungen

Seit 2013 dürfen allein in der Gemeinde Ostseebad Rerik über 100 Eigentümer von Ferienwohnungen diese nicht mehr an Feriengäste vermieten. Nach zum Teil mehr als zehn Jahren unbeanstandetem Betrieb untersagte der Landkreis Rostock unter Androhung eines Zwangsgeldes und eines Bußgeldverfahrens die Nutzung als Ferienwohnung, weil es dort gar keine Ferienwohnungen geben durfte. Für die Betroffenen kam diese Entwicklung völlig überraschend, denn Rerik ist mit seinen ca. 2.400 Einwohnern und ca. 50.000 Feriengästen jährlich ein klassischer Urlaubsort. Auf ihrer Internetseite wirbt die Gemeinde mit dem großen Angebot an Übernachtungsmöglichkeiten. Dazu zählten in erster Linie Ferienhäuser und Ferienwohnungen. In den übergeordneten Raumplanungen ist Rerik als Tourismusschwerpunkt ausgewiesen.

Für betroffene Vermieter bedeutet das Vermietungsverbot an Feriengäste den Totalverlust ihrer Einnahmen. Einige sind in ihrer Existenz bedroht. Viele Eigentümer schlossen sich daher zu der Bürgerinitiative „Pro Ostseebad Rerik“ zusammen, die sich dafür einsetzt, dass die „traditionelle Vermietung von Ferienwohnungen und Ferienhäusern an Feriengäste im Ostseebad Rerik erhalten bleibt“.

Jahrelanges Wissen vieler Behörden

Die Betroffenen hatten ihre Immobilien in den Reriker Planungsgebieten „Schillerstraße“ und „Am Rugen Barg“ in den Jahren 1996-2011 von Anfang an zu dem Zweck der Vermietung an Feriengäste erworben und waren davon ausgegangen, dass eine Ferienvermietung in den Gebieten, welche im Bebauungsplan als allgemeine Wohngebiete ausgewiesen sind, rechtmäßig ist.

Verschiedene Hauseigentümer berichten, dass die Gemeinde und das Bauamt Neubukow-Salzhaff nicht nur von den Ferienvermietungen wussten, sondern auf Nachfrage hin auch die Zulässigkeit einer solchen Nutzung bestätigten.

Info: Das Amt Neubukow-Salzhaff ist ein Zusammenschluss von sieben Gemeinden, darunter die Gemeinde Rerik, zur Erledigung ihrer Verwaltungsgeschäfte. Die Gemeinde Rerik gehörte bis 2011 zum Landkreis Bad Doberan. Dieser wurde im Zuge der Kreisgebietsreform Mecklenburg-Vorpommern mit dem Landkreis Güstrow zum neuen Landkreis Rostock zusammengelegt.

Frau Frauke Windhorn-Bergmann, Eigentümerin einer Ferienwohnung im Planungsgebiet Schillerstraße,  teilt uns mit, dass sie, um sicherzugehen, vor Aufnahme der Ferienvermietung beim Bauamt Neubukow-Salzhaff anrief und fragte, ob eine Genehmigung für die Ferienvermietung erforderlich sei. Die Antwort habe „nein“ gelautet, sie vermiete ja privat und sei kein Gewerbebetrieb.

Die Kurverwaltung Rerik habe ihr noch vor Abschluss der Bauphase im Jahr 2000 sogar nahegelegt, die Wohnung über die Kurverwaltung an Feriengäste zu vermieten.

Dem Immobilienmakler der Eheleute Evelyn und Jörg-Uwe Haß, die 2011 eine Wohnung im  Planungsgebiet Schillerstraße erwarben, wurde seitens des Bauamtes sogar per E-Mail mitgeteilt, dass eine Ferienhausnutzung im Allgemeinen Wohngebiet zulässig ist.

Darüber hinaus betrieben die Eigentümer die Ferienvermietung durch Vermittlung der Kurverwaltung Rerik und zahlten Vermittlungsprovisionen sowie Fremdenverkehrsabgaben und Kurtaxe an die Gemeinde. All diese Zahlungen muss nur leisten, wer seine Wohnung oder sein Haus an Feriengäste vermietet.

Frau Brigitte Windels und die Eheleute Dagmar und Lutz Kurras berichten uns, dass das Amt Neubukow-Salzhaff von ihr Zweitwohnsitzsteuer eingefordert hat. Sie hätten daraufhin klargestellt, dass sie die Wohnung ausschließlich als Ferienimmobilie vermieten und daher auch keine Zweitwohnsitzsteuer anfalle. Dementsprechend wurde auch keine Zweitwohnsitzsteuer erhoben.

Die Eheleute Marx teilten uns mit, sie hätten vor Erwerb ihres Grundstücks im Jahre 1998 den Bürgermeister der Gemeinde Rerik sowie das Bauamt Neubukow-Salzhaff zur Bebauung mit vier Ferienwohnungen befragt und ihre Pläne vorgetragen. Ihnen sei versichert worden, dass ihre Planung umsetzbar und im Wege der Genehmigungsfreistellung nach § 62 Landesbauordnung Mecklenburg- Vorpommern (§ 64 a.F.) durchzuführen sei.

Info: Nach § 62 LBauO M-V bedarf u.a. die Errichtung von Wohngebäuden im Geltungsbereich eines Bebauungsplans keiner Genehmigung, u.a. wenn es den Festsetzungen des Bebauungsplanes nicht widerspricht. Der Bauherr muss lediglich bestimmte Unterlagen, z.B. einen Lageplan, die Bauzeichnungen sowie  die Baubeschreibung bei der Gemeinde bzw. unteren Bauaufsichtsbehörde einreichen.
 

In dem Lageplan, den das Ehepaar Marx daraufhin bei der Bauaufsichtsbehörde des Landkreises Bad Doberan einreichte, wurde die beabsichtigte Nutzung als Ferienhaus angezeigt. Auch die Eheleute Haß zeigten dem Landkreis Bad Doberan an, dass sie den Bau eines Ferienhauses planten.

Die Gemeinde wusste also wo und von wem Ferienhäuser vermietet wurden.

Aufsichts- und Handlungspflicht der Behörden?

Die Eigentümer kritisieren, dass seitens der Bauaufsichtsbehörde, also zunächst aus dem Landkreis Bad Doberan und später dem Landkreis Rostock, nicht von vorneherein auf die Unzulässigkeit der Ferienhausvermietung im Allgemeinen Wohngebiet hingewiesen wurde. Der Landkreis Rostock begegnet diesem Einwand später mit der Antwort: im Genehmigungsfreistellungsverfahren erfolge durch die Bauaufsichtsbehörde keine „präventive“ Befassung mit dem angezeigten Bauvorhaben, im Gegenteil läge eine gesteigerte Verantwortung beim Bauherrn.

Das Landratsamt als zuständige Aufsichtsbehörde der Gemeinde Rerik hätte die Gemeinde nicht nur während der Bauplanung, sondern in jeder Phase beaufsichtigen und somit Fehler vermeiden bzw. das Ausmaß der eingetretenen Probleme verringern können.

Info: Für kreisangehörige Kommunen ist in der Regel der Landkreis bzw. das Landratsamt zuständige Aufsichtsbehörde.

§ 78 Kommunalverfassung Mecklenburg-Vorpommern:

„(1) Die Aufsicht hat die Selbstverwaltung der Gemeinden zu fördern, die Rechte der Gemeinden zu schützen und die Erfüllung ihrer Pflichten zu sichern. Die Aufsicht soll die Gemeinden vor allem beraten, unterstützen und die Entschlusskraft und Verantwortungsbereitschaft der Gemeindeorgane fördern.“

Die Gemeinde Rerik bzw. das Amt Neubukow-Salzhaff wusste über die Kurverwaltung, wer Ferienwohnungen vermietet und in welchen Planungsgebieten diese liegen. Auch die Verwaltung der Zweitwohnungssteuer kannte die Ferienwohnvermietung in vielen Fällen offenbar. Dennoch erfolgte keine Reaktion der öffentlichen Verwaltung. Mutmaßlich, weil die örtliche öffentliche Verwaltung es schlicht auch nicht besser wusste.

An diesem Punkt tritt die Verantwortung der Bauaufsichtsbehörde, des Landratsamtes, in den Fokus. Das Landratsamt ist auch die zuständige Aufsichtsbehörde für die Gemeinde und darf nicht einfach zuwarten, bis Probleme dieses Ausmaßes auflaufen.

Wie kann das über viele Jahre entstandene Problem nun gelöst werden?

Der Landkreis hat gegenüber den Ferienhaus-Vermietern eine dauerhafte Nutzungsuntersagung verfügt. Die Ferienwohnungen sind somit stillgelegt. Die fehlenden Mieteinnahmen bedeuten für viele der Vermieter eine existentielle Bedrohung. Der Gemeinde sowie der lokalen Wirtschaft entgehen dadurch erhebliche Tourismuseinnahmen. Es liegt daher im Interesse der Vermieter und der Behörden, eine alternative Lösung zur Nutzungsuntersagung zu finden.

Was können die Hauseigentümer tun?

    • Reine Selbstnutzung der Ferienhäuser macht insbesondere für diejenigen Eigentümer keinen Sinn, die auf Einnahmen zur Finanzierung angewiesen sind. Eben so wenig für jene, die mehrere Häuser oder Wohnungen erworben haben.
    • Dauerhafte Vermietung zu Wohnzwecken wäre zwar zulässig, bietet sich aber ebenfalls nicht als Lösung an, denn im Touristenort Rerik besteht kein Bedarf für „Dauerwohner“. Die Wohnungen stehen also leer.

Was können die Behörden tun bzw. haben sie bereits getan?

Auch das Wirtschaftsministerium Mecklenburg Vorpommern hat sich mit dem Thema Ferienwohnungen beschäftigt. Im Juli 2014 hat es einen „Handlungsleitfaden zur bauplanungs- und bauordnungsrechtlichen Zulässigkeit von Ferienwohnungen“ herausgegeben, nachdem der massenhafte Nutzungskonflikt landesweit Wellen schlug. Der Leitfaden soll den Gemeinden Lösungswege aufzeigen und den Baubehörden „Leitlinien zum Verwaltungshandeln an die Hand geben.“

Nach der Handlungsempfehlung des Landes soll eine Abwägung der widerstreitenden Interessen vorgenommen werden, soweit konkrete Anhaltspunkte für die Angemessenheit der ausnahmsweise in Kauf zu nehmenden Duldung eines rechts- oder ordnungswidrigen Zustands bestehen

Weiterhin soll eine Aussetzung der Vollziehung der Nutzungsuntersagung im Einzelfall in Betracht kommen können, wenn sich eine Planänderung anbahnt, welche die Ferienwohnungen legalisiert.

Baurechtlich ist eine Lösung nur durch eine Planänderung möglich. Dies liegt in den Händen der Gemeinde:

Sachstand

Änderung des Bebauungsplans

      • Die Stadtvertretung Rerik strebt eine Änderung des Bebauungsplans „Schillerstraße“ sowie eine Ausweisung des Planungsgebiets als Sondergebiet „Ferienhausgebiet“ an. Ein entsprechender Beschluss des Bauausschusses wurde bereits am 06.03.2015 gefasst, zu einem abschließenden Beschluss der Gemeinde wird es wohl erst im Herbst 2015 kommen.
      • Mittlerweile sind bereits 1 ½ Jahre seit der Erteilung der Nutzungsuntersagungen vergangen. Aus der Sicht des Landratsamtes ist der Fall erstmal abgeschlossen. Wenn und soweit der Bebauungsplan geändert und ein „Sondergebiet“ ausgewiesen wird, in welchem das Nebeneinander von Wohnnutzung und Ferienwohnnutzung zulässig wäre, würden viele Ferienwohnungen legalisiert. Spätestens dann wäre den Nutzungsuntersagungen des Landratsamtes die Grundlage entzogen.

Gesprächsstadium

      • Für das Planungsgebiet „Am Rugen Barg“ führen die Gemeindeverwaltung und Stadtvertretung noch Gespräche.

Aussetzung der sofortigen Vollziehung der Nutzungsuntersagung

      • Der Landkreis hat die sofortige Vollziehung der Nutzungsuntersagung verfügt. Dies bedeutet, dass Rechtsmittel gegen die Nutzungsuntersagung keine aufschiebende Wirkung entfalten, d.h. es darf auch bis zur abschließenden Klärung keine weitere Vermietung der Ferienwohnungen erfolgen.
      • Sofern ein öffentlichen Interesse oder ein überwiegendes Interesse eines Beteiligten besteht, liegt eine solche Anordnung im Ermessen der Bauaufsichtsbehörde  (s. § 80 Abs. 2 Nr. 2 VwGO).
      • Unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit bei Einzelfallentscheidungen hat die Behörde das Interesse des Betroffenen gegen das öffentliche Interesse bzw.  das Interesse anderer Beteiligter abzuwägen.
      • Das OVG Greifswald hat in einem Beschluss vom 14.04.2015 (3 M 86/14) die aufschiebende Wirkung der Klage eines Ferienwohnhauseigentümers in Rerik gegen die Nutzungsuntersagung wiederhergestellt. Begründet wurde dies damit, dass die Gemeinde in einem bereits fortgeschrittenen Stadium ein Planänderungsverfahren durchführe und keine konkreten Nutzungskonflikte bestünden.

Der Landkreis Rostock begründet in seinen Bescheiden das öffentliche Interesse der Anordnung der sofortigen Vollziehung damit, dass ein Schaden nicht durch die Fortsetzung der ungenehmigten Ferienwohnungsvermietung vergrößert werden darf. Die Wohnungseigentümer sehen dies kritisch. Die fehlenden Einnahmen stellen definitiv einen großen Schaden für sie da, es ist jedoch für sie nicht ersichtlich, wem die Vermietung der Ferienhäuser schadet und worin dieser Schaden besteht.

Für viele der Betroffenen stellt das Vermietungsverbot eine existenzielle Bedrohung dar. Kerstin Böttcher teilt uns mit, dass sie als alleinerziehende Vermessungsingenieurin in Teilzeit finanziell auf die Einnahmen aus der Ferienvermietung angewiesen sei. Frau Böttcher, die selbst seit 24 Jahren in Rerik lebt, hatte 2009 eine Wohnung in einem Haus mit insgesamt vier Wohneinheiten in einem der betroffenen Plangebiete allein zum Zwecke der Ferienvermietung erworben, um sich ein zweites Standbein aufzubauen und ihre Altersvorsorge zu sichern. Frau Böttcher hatte sich als Gästebetreuerin auch um andere Ferienwohnungen gekümmert. Auch diese Einnahme fällt nun weg. Auch für Susann und Maik Never aus Rerik ist der Ausfall der Einnahmen durch die Vermietung existenzgefährdend. Sie haben ihr ganzes Geld in die Finanzierung gesteckt und müssen die Kredite noch lange abbezahlen. Sie sind daher vehement gegen die Nutzungsuntersagung und wehren sich, bislang ohne Erfolg.

Die von den Betroffenen vorgetragenen Argumente liefern daher durchaus konkrete Anhaltspunkte dafür, dass eine ausnahmsweise Duldung des rechtswidrigen Zustands durch das Landratsamt angemessen sein könnte bis gegebenenfalls eine Lösung umgesetzt ist.

Was können Verwaltungen hieraus lernen?

Für den normalen Bürger ist oft nicht ersichtlich, welche Behörde letztlich das Sagen hat. Wenn das Bauamt über einen so langen Zeitraum den Eindruck vermittelt, es handele sich bei den Vermietungen von Ferienwohnungen um einen zulässigen Vorgang, wird der Laie nicht damit rechnen, dass erst zehn Jahre später eine dem Bauamt übergeordnete Behörde plötzlich die Vermietungen untersagt.

Im Falle von Rerik wurden erst nach über 10 Jahren die ersten Nutzungsverbote ausgesprochen.  Die Rechtsprechung hat das Vorliegen eines Vertrauenstatbestandes jedoch verneint.

„()… Insoweit ist aber zu beachten, dass ein bloßes Nichteinschreiten der Bauaufsichtsbehörde (sog. passive Duldung) von vornherein keinen Vertrauenstatbestand begründet, und eine Erklärung der Behörde, gegen einen baurechtswidrigen Zustand nicht einzuschreiten (sog. aktive Duldung), die im Übrigen auch keine Legalisierungswirkung bzw. keinen Bestandsschutz vermitteln würde, sondern bei der Ermessensausübung lediglich zu berücksichtigen sein wäre, nicht vorliegen dürfte.“

(Aus dem Beschluss des OVG Mecklenburg Vorpommern vom 14. April 2015, 3 M 86/14)

Verwaltungen können jedoch frühzeitig dafür sorgen, dass solche Zustände wie in Rerik gar nicht erst entstehen. Sie können die tatsächlichen Entwicklungen in den Gemeinden immer nah im Auge behalten und hierfür auf zahlreiche Quellen zurückgreifen. Denn wenn Verwaltungen über so einen langen Zeitraum hinweg, wie in Rerik geschehen, trotz Kenntnis nicht eingreifen, vertrauen die Bürger auf die Zulässigkeit ihres Handelns, unabhängig davon wie Gerichte das 10 Jahre später beurteilen mögen. Und hieraus erwächst eine gesteigerte Verantwortung für die Fach- und Rechtsaufsichten der Verwaltung.

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