Katrin und Maik Biedermann, AVD CNC Blechverarbeitung GmbH, Gräfenhainichen

Schlaglöcher und Stromschwankungen – Stockender Umgang der Verwaltung mit infrastrukturellen Problemen

Maik und Katrin Biedermann sind geschäftsführende Gesellschafter der 1996 gegründeten Firma AVD CNC Blechverarbeitung GmbH. Seit 2005 befindet sich die Firma auf dem Betriebsgrundstück in Gräfenhainichen OT Schköna in Sachsen-Anhalt. Die Firma beschäftigt derzeit 35 Mitarbeiter und bietet in den Bereichen Maschinenbau, Fahrzeugbau, Medizin-, Förder- und Telekommunikationstechnik die Fertigung von Einzelteilen unter Verwendung verschiedenster Produktionstechniken wie zum Beispiel Lasern, Stanzen, Plasmaschneiden, Schweißen und Montieren.

Gemeindestraße verfällt zusehends

Die Mühlstraße ist die Zufahrtstraße zum Betriebsgelände und wird sowohl von den Mitarbeitern mit ihren Fahrzeugen als auch von Lieferanten und Kunden genutzt. Die Straße ist insgesamt 800m lang und größtenteils nicht befestigt. Sie befindet sich in einem maroden Zustand, viele Schlaglöcher sind vorhanden und in den Herbst- und Wintermonaten strömt das Regen- und Tauwasser ungehindert auf das Betriebsgelände der AVD CNC Blechverarbeitung GmbH. Um das Eindringen des Wassers in die Werkshallen zu verhindern und damit Schäden an den teuren Maschinen vorzubeugen, sind Herr Biedermann und seine Mitarbeiter seit mittlerweile sechs Jahren gezwungen, die mit Schlamm verstopften Kanal- und Abwasseranlagen zu reinigen, um den Wasserabfluss zu gewährleisten. Da die Mühlstraße im Winter auch nicht regelmäßig gestreut oder von Schnee und Eis geräumt wird, haben sich bereits einige Unfälle ereignet, bei denen Sachschäden an Kraftfahrzeugen entstanden sind.

Bei der Mühlstraße handelt es sich jedoch nicht um eine Privatstraße, sondern um eine öffentliche Gemeindestraße. Gemäß § 42 Abs.1 Satz 3 Straßengesetz für das Land Sachsen-Anhalt sind die Gemeinden Träger der Baulast für ihre Straßen. Damit obliegt ihnen die Aufgabe, Straßen und Wege zu bauen und auch zu unterhalten. Mit dieser Aufgabe trägt die Gemeinde auch die Verkehrssicherungspflicht zur Abwehr von Gefahrenquellen, deren Unterlassen zu Schadensersatzansprüchen führen kann.

Herr Biedermann ist seit dem Jahr 2006 bemüht, mit dem hier verantwortlichen Träger der Straßenbaulast – der Gemeinde Schköna – eine Lösung zu finden und die Instandsetzung der Straße zu veranlassen.

Sanierung auf Firmenkosten lehnt die Gemeinde ab

Da jedoch die Gemeinde spätestens seit einem von Herrn Biedermann an die Problematik  erinnernden Schreibens vom 14.06.2007 Kenntnis von dem Zustand der Straße hatte und keine Maßnahmen zur Behebung in die Wege leitete, bot schließlich Herr Biedermann im August 2008 an, die Mühlstraße – zumindest im Bereich seines Betriebsgrundstücks – auf eigene Kosten zu sanieren. Dieses Angebot wurde im zuständigen Bauamt besprochen, letztlich jedoch aufgrund rechtlicher Bedenken abgelehnt. Im Einzelnen teilte der Leiter des Bauamtes mit, handelte es sich hier um Haftungsfragen bei einer Leistung von Privaten auf öffentlicher Fläche, eine mögliche Umgehung der Ausschreibungspflicht von Kommunen bei Bauleistungen und mögliche Komplikationen bei der Berechnung von Straßenausbaubeiträgen. Weiterhin wurde das von Herrn Biedermann als Straßenbelag vorgesehene Material Bitumen als ungeeignet erachtet, da ein unkontrolliertes Abfließen von Oberflächenwasser befürchtet wurde. Ein alternativer Lösungsvorschlag wurde jedoch nicht unterbreitet, sondern der Zustand der Mühlstraße und die davon ausgehenden Gefahren weiterhin von der Gemeinde ignoriert. Das Bemühen von Herrn Biedermann, Fördergelder vom Ministerium für Wirtschaft des Landes Sachsen-Anhalt zu erhalten werde nach Auskunft der Betroffenen behindert, da die Gemeinde für die Prüfung des Förderantrages erforderliche Unterlagen nicht eingereicht habe.

Der Betrieb geriet auch in den Konflikt mit Anwohnern der Mühlstraße. Aufgrund der vielen vorhandenen Schlaglöcher waren Lieferfahrzeuge des Betriebes gezwungen, diesen auszuweichen und kamen durch diese Fahrmanöver den angrenzenden Wohnhäusern zu nah. Auch über dieses Problem informierte Herr Biedermann die Gemeinde, um dem Erfordernis der Straßeninstandsetzung Nachdruck zu verleihen. Leider konnte die Gemeinde auch nach dieser Mitteilung keinen Lösungsvorschlag unterbreiten.

In ihrer Not wandten sich Herr und Frau Biedermann an den Landrat des Landkreises Wittenberg als Rechtsaufsicht und an den Wirtschaftsminister des Landes Sachsen-Anhalt, in der Hoffnung auf konstruktive Hilfe. Auch wenn diese im Herbst 2008 schriftlich ihre Bereitschaft zur Unterstützung im Problemlösungsprozess zusagten, erfolgte auch in der Folgezeit keine Instandsetzung der Mühlstraße.

Im März 2010 teilte der Bauamtsleiter Herrn Biedermann mit, dass auch im Jahr 2010 für die Sanierungsarbeiten keine Mittel im Haushalt der Gemeinde Schköna zur Verfügung stünden. Jedoch wurde Herrn Biedermann mitgeteilt, dass von Seiten des Gemeinderates keine Einwände gegen eine provisorische Befestigung der Straße auf Kosten der Firma bestehen würden. Mit der provisorischen Befestigung war das gemeint, was die Gemeinde in den Jahren hin und wieder veranlasste: Das Zuschütten der Schlaglöcher mit Bauschutt. Von einer langfristigen Problemlösung kann hier keine Rede sein. Bemerkenswert ist an dieser Stelle die Inkonsequenz im Handeln der Gemeinde: Das Angebot von Herrn Biedermann, die Straße auf Firmenkosten zu sanieren wurde aufgrund rechtlicher Bedenken abgelehnt – diese Bedenken bestehen bei provisorischen Ausbesserungsarbeiten von Privaten auf einer öffentlichen Straße scheinbar nicht.

Fördermittel wurden nur für Umgehungsstraße geprüft

Im April 2010 fand eine Besichtigung des Zustandes der Straße durch den Grundstücksbesitzer, den Leiter des Bauamtes Gräfenhainichen und einen technischen Berater der Handwerkskammer Halle (Saale) statt. Als Ergebnis dieser Begutachtung teilte der Mitarbeiter der Handwerkskammer Ende Juni 2010 mit, dass eine Förderung aus der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur (GRW)“ möglich sei. Der Eigenanteil der Gemeinde läge hier bei 40% der Kosten. Dieser Vorschlag wurde Anfang Juli 2010 von dem Bürgermeister von Schköna in der Gemeinderatssitzung vorgestellt – und im Ergebnis aufgrund der Höhe des Eigenanteils mangels hierfür vorhandener Haushaltsmittel abgelehnt. Interessant ist jedoch, dass von Gesamtkosten von 300.000,- € ausgegangen wurde und diese Veranschlagung wohl für den Bau einer Umgehungsstraße und nicht für eine Sanierung der Mühlstraße erfolgte. Dass der Bürgermeister von Schköna den Bau einer Umgehungsstraße als Problemlösung favorisierte, teilte er den Biedermanns bereits im Jahr 2008 mit. Dass die Bereitstellung dieser viel höheren finanziellen Mittel noch schwieriger wäre, als die für eine kostengünstigere und im Ergebnis effektive Sanierung der Straße, wurde ganz offenbar im Problemlösungsprozess außer Acht gelassen.

Gemeinde behindert Produktion der Firma durch Ablehnung der Errichtung einer werksbezogenen Trafostation

Im Frühjahr 2011 gipfelte der Konflikt mit der Gemeinde Schköna in nur noch schwer nachvollziehbarem Verwaltungshandeln:

In der Firma werden Präzisionsmaschinen verwendet, die die Schwankungen im Gräfenhainicher Stromnetz von bis zu 40 Volt nicht vertragen. Allein die Ausfälle der Laser sorgten zeitweise für Produktionsausfälle von bis zu 30 Prozent. Um die Ausfälle der Maschinen zu vermeiden, wurde daher im Februar 2011 durch den von Herrn Biedermann beauftragten Stromanbieter Mitteldeutsche Netzgesellschaft Strom mbH (zum damaligen Zeitpunkt noch Envia Verteilnetz GmbH) bei der Gemeinde ein Bauantrag für eine werksbezogene Trafostation gestellt. Trotz der offensichtlichen Notwendigkeit der Einrichtung eines Trafos, um den ungehinderten Produktionsablauf der Firma  weiterhin zu gewährleisten, lehnte die Gemeinde den Antrag ab. Wie Herr Biedermann informiert wurde, war die Ablehnung des Bauantrags damit begründet, dass die Trafostation, die außerhalb des Betriebsgeländes auf der Mühlstraße aufgestellt werden sollte, eine zukünftige Sanierung dieser Straße behindern würde. Nach einer entsprechenden Rückfrage zum Sanierungsvorhaben der Gemeinde teilte diese jedoch mit, dass eine Sanierung der Straße auch in absehbarer Zeit nicht angedacht sei, da hierfür weiterhin keine finanziellen Mittel zur Verfügung stünden.

Die Gemeinde unterbreitete Herrn Biedermann den Vorschlag, die Trafostation doch auf seinem Betriebsgelände zu errichten – dies hätte für den Betrieb jedoch einen Kostenmehraufwand von ca. 20.000,-€ (neue, längere Kabel hätten verlegt werden müssen) bedeutet.

Im Ergebnis nahm die Gemeinde somit die eigene Haftung für die sanierungsbedürftige Straße (wegen Verletzung von ihnen obliegenden Verkehrssicherungspflichten) in Kauf, verhinderte den Bau des Trafohäuschens und begünstigt damit die weiteren Produktionsausfälle der Firma. Nicht genug, dass die Gemeinde durch ihre bis dato fünf Jahre andauernde Weigerung, ihrer Aufgabe der Straßenbaulast ordnungsgemäß nachzukommen die Betriebsabläufe des Unternehmens behinderte – durch die Ablehnung des Vorhabens Trafobau begünstigte sie nun auch weitere Produktionsausfälle der Firma. Herr Biedermann erklärte, dass er aufgrund der durch die Produktionsausfälle bedingt sinkenden Umsätze Mitarbeiter entlassen müsse. 

Druck hilft

Nachdem aufgrund des nicht mehr tragbaren Zustandes und der Gefährdung seines Betriebes Herr Biedermann die Presse über das Handeln der Gräfenhainicher Verwaltung informierte, kam jedoch schnell Bewegung in den Vorgang. Ende November, wenige Tage nach Erscheinen eines Artikels in einer auflagenstarken Tageszeitung und nachdem mehrere Journalisten wiederholt Stellungnahmen von der Gemeinde forderten, wurde der Bau des Trafohäuschens am ursprünglich vorgesehenen Standort, auf der sanierungsbedürftigen Mühlstraße, genehmigt.

Lösung für Schlaglochpiste auch nach über fünf Jahren nicht absehbar

Bezüglich der weiter bestehenden Sanierungsbedürftigkeit der Mühlstraße und der weiter andauernden Beeinträchtigung der Betriebsabläufe der Firma von Herrn Biedermann teilte das Bauamt Herrn Biedermann Ende November 2011 mit, dass von der Gemeinde nun angedacht wäre, erneut einen Förderantrag über Mittel der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur (GRW)“ bei der Investitionsbank Sachsen-Anhalt zu stellen. Auf die wohl weiter bestehende Problematik des Aufbringens des notwendigen Eigenanteils wurde nicht weiter eingegangen. Jedoch wies der Bauamtsleiter darauf hin, dass mit einer Lösung nicht vor dem Jahr 2013 zu rechnen sei und man daher sich vorerst weiterhin mit der bisherigen Verfahrensweise (provisorische Ausbesserung der Straßenschäden) behelfen müsse.

Aufgrund des geltenden Grundsatzes der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung (Art. 20 Abs.3 Grundgesetz) ist die Gemeinde an das Gesetz gebunden. Ihre Aufgabe, dafür Sorge zu tragen, dass ihre Straßen verkehrssicher sind, ist gesetzlich klar geregelt. Da ihr das bestehende Problem bereits seit mehreren (Haushalts-)Jahren bekannt ist, erscheint der Grund, aus welchem die Beseitigung der vorhandenen, vom maroden Zustand der Straße ausgehenden Gefahren bisher noch nicht vorgenommen wurde, nicht mehr nachvollziehbar.

Mittlerweile hat Herr Biedermann im 40 km entfernten Elster zwei Grundstücke erworben und wird seinen Betrieb möglicherweise dorthin verlegen, sofern die Gemeinde Schköna das vorhandene Problem weiterhin nicht zu lösen gewillt ist. Der Bürgermeister ist über diese Planung informiert, insbesondere über den Umstand, dass durch den Umzug des Betriebes in der ohnehin schon konjunkturschwachen Region wertvolle Arbeitsplätze und Gewerbesteuereinnahmen verloren gehen werden.

Insbesondere in Fällen, in denen sich ein unbefriedigendes Verwaltungshandeln bereits als Normalität verfestigt hat, ist es wichtig, dass Bürger die Initiative ergreifen und dies nicht still hinnehmen.

Herr und Frau Biedermann wurden mit dem hier dargestellten Fall für den „Werner-Bonhoff-Preis-wider-den-§§-Dschungel“ 2013 nominiert.

Stand der Falldarstellung: 02/2013

 

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