Holger und Katja Schilling, Holzbrennstoffe Rathenow GmbH vs. Landkreis Havelland

Mangelnde Problemlösungsbereitschaft der Verwaltung gefährdet Betrieb

Holger und Katja Schilling  betreiben seit dem Jahr 2006 einen Betrieb zur Herstellung, Lagerung und Verkauf von Holzhackschnitzeln als Brennstoff. Der zunächst unter Auflagen geduldete Betrieb wuchs und konnte daher nicht länger geduldet werden. Vom jahrelangen Ringen um die Baugenehmigung mit dem Landkreis Havelland handelt dieser Fall.

Das Ehepaar Holger und Katja Schilling betreibt in Rathenow / OT Göttlin in Brandenburg auf einem ehemaligen Grundstück der Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft (LPG), das sie im Jahr 2006 erworben haben, einen Betrieb zur Herstellung, Lagerung und Verkauf von Holzhackschnitzeln als Brennstoff. Die ehemaligen LPG-Hallen, die noch auf dem Gelände vorhanden waren und in denen in den 80er Jahren bis zu 800 Bullen gehalten wurden, hat das Ehepaar Schilling für ihren Betrieb weiter genutzt. Bei der Produktion der Holzhackschnitzel werden aus im Wald gefällten Bäumen die Hackschnitzel gewonnen, die auf einer Siebanlage von anhaftender Erde getrennt, anschließend gelagert und sodann zum Verkauf abtransportiert werden. Bei den Hackschnitzeln handelt es sich somit um waldfrisches, naturbelassenes Holz, das keiner  chemischen Behandlung o.ä. ausgesetzt wird.

Am  21.07.2008 stellte das Ehepaar für die Nutzungsänderung der vormaligen LPG-Anlage beim zuständigen Bauordnungsamt beim Landkreis Havelland einen Bauantrag, der jedoch am 30.06.2009 abgelehnt wurde, da festgestellt wurde, dass zuvor durch Stadt Rathenow ein Bebauungsplan zu beschließen sei. Der Grund für dieses Erfordernis war, dass  es sich bei dem Betrieb der Schillings um ein nicht privilegiertes Vorhaben im Außenbereich handelte. Am 07.09.2009 erfolgte der Aufstellungsbeschluss des Bebauungsplans. Um den Schillings für die Dauer des Verfahrens und der sich daran anschließenden Bauantragsprüfung den weiteren Betrieb Ihres Unternehmens auf legale Weise zu ermöglichen, fand am 16.07.2009 auf dem Betriebsgelände ein Vororttermin mit den zuständigen Beteiligten des Bauordnungsamtes statt, dessen Protokoll die Grundlage für eine im Anschluss formulierte Duldungsverfügung unter bestimmten Auflagen wurde.
Nach einer Verfahrensdauer von über zwei Jahren beschloss die Stadtverordnetenversammlung Rathenow am 16.11.2011 den Bebauungsplan. Im Bebauungsplan wurde mit der Bezeichnung „Sondergebiet Holzverarbeitung“ festgehalten, dass das Grundstück der Schillings für die Betriebsart Holzproduktion vorgesehen sei.
In Erwartung des zeitnah zu beschließenden Bebauungsplanes hatten die Schillings bereits am 04.08.2011 erneut einen Bauantrag beim Bauordnungsamt eingereicht. 

Da der Betrieb jedoch aufgrund der hohen Nachfrage seit 2008 weiter gewachsen und damit verbunden auch das Verkehrsaufkommen der LKWs gestiegen war, waren beim Bauordnungsamt nun Beschwerden von vier Anwohnern eingegangen.

Um den Anwohnerbeschwerden zu begegnen, empfahl das vom Landkreis beteiligte Landesamt für Umwelt, Gesundheit und Verbraucherschutz (kurz: LUGV) im Januar 2012 die Einhausung von zwei Lagerplätzen zur Minimierung der Lärm-, Staub- und Geruchsemissionen. Da die Einhausung der bestehenden Lagerplätze nach dem Bebauungsplan nicht möglich war, entschlossen sich die Schillings auf dem im Bebauungsplan als geeignet ausgewiesenen Baufeld eine Halle zu bauen, in der auch zur zukünftig weiteren Reduktion der Lärmemissionen die Siebanlage betrieben werden sollte. Bei der geplanten Halle handelte es sich um ein 5000qm großes Objekt, deren Bau ca. 1,5 Mio. € kosten würde. Schillings waren zu dieser Investition bereit und arbeiteten den entsprechenden Antrag zeitnah in ihren bereits gestellten Bauantrag ein. 

Landkreis will Betriebseinstellung wegen fehlender Genehmigung während laufendem Bauantragsverfahren erzwingen

Am 03.04.2012 erließ der Landkreis Havelland gegenüber den Schillings eine Ankündigung der Versiegelung des Betriebsgeländes für den 05.04.2012 wegen gewerblicher Nutzung ohne die mit einer Baugenehmigung verbundenen Betriebsgenehmigung. Die am 05.04.2012 im Beisein von Mitarbeitern des Landkreises durchgeführte Lärmmessung an den Wohnhäusern der sich beschwerenden Anwohner bei laufendem Lkw-Bewegungen, Siebarbeiten und Radladerbeschickung auf dem Betriebsgelände führte zu keinem aussagekräftigen Ergebnis, da die Vögel, die im Garten des Anwohners sangen „zu laut“ waren. Trotz des fehlenden Nachweises, dass Schillings Grenzwerte des Lärmschutzes angeblich überschreiten würden, räumten sie freiwillig den ursprünglichen Lagerplatz und gliederten Verlade- und Siebarbeiten vom Betriebsgelände auf einen 200m entfernten externen Lagerplatz aus.
Ende Mai 2012 folgte die zweite Ankündigung der Versiegelung zur Erzwingung der Betriebseinstellung für den 07.06.2012.

Die Schillings setzten sich gegen die Versiegelungsandrohung mit der Beantragung von einstweiligem Rechtsschutz beim Verwaltungsgericht Potsdam zur Wehr. Dieses Rechtsmittel hatte jedoch im Ergebnis keinen Erfolg, da unter anderem durch Überschreitung der in der Duldungsverfügung festgelegten Betriebszeiten bestimmter Produktionsmaschinen ein Verstoß gegen die Auflagen vorlag und der Betrieb daher mangels noch nicht erteilter Baugenehmigung formal rechtswidrig war.

Im weiterhin laufenden Bauantragsverfahren erachtete das Bauordnungsamt im Juni 2012 zur Klärung immissionsschutzrechtlicher Belange die Beteiligung des Gesundheitsamtes für notwendig. Da das Gesundheitsamt mitteilte, dass es das Vorhaben als aus gesundheitlicher Sicht für zustimmungsfähig erachten würde, sofern das Landesamt für Umwelt, Gesundheit und Verbraucherschutz (LUGV) Vorsorgemaßnahmen festschreiben würde, mit denen erhebliche Gefahren und Nachteile für die Nachbarschaft sicher ausgeschlossen werden könnten, wurde das LUGV aufgefordert, ein entsprechendes Gutachten anzufertigen.

Die vom Landkreis geforderte Stellungnahme des LUGV wurde am 12.09.2012 erteilt.
Die 14-seitige Stellungnahme geht detailliert auf die mit dem Bauantrag möglicherweise verbundenen Problemkreise des Lärmschutzes (Anlage und Verkehr), Luftschadstoffe (Stäube, Gerüche, Dieselabgase), Schutz vor Licht (durch Beleuchtungsanlage des Betriebes) ein. In seiner Stellungnahme kommt das LUGV zu dem Ergebnis, dass bei der derzeitigen Betriebsart kein Verstoß gegen den Bebauungsplan vorliegt und dass dem Vorhaben der Schillings unter der Voraussetzung der Umsetzung der formulierte Nebenbestimmungen aus immissionsschutzrechtlicher Sicht zugestimmt wird.

Das LUGV zeigt hier ein Beispiel für schnelle und vorbildliche Verwaltungsarbeit: In dem Gutachten werden zu allen in Betracht kommenden Problemfeldern, die insbesondere den Schutz der Nachbarn betreffen, insgesamt 30 Nebenbestimmungen formuliert, welche die Bauordnungsbehörde im Grunde Wort für Wort als Auflagen in die Baugenehmigung hätten übernehmen können.
Trotz des vorliegenden Gutachtens des LUGV und der Bereitschaft der Schillings, alle dort formulierten Nebenbestimmungen umzusetzen, um den Belangen der Anwohner gerecht zu werden, wurde vom Bauordnungsamt über den Bauantrag immer noch nicht entschieden, sondern am  27.09.2012 die dritte Ankündigung der Versiegelung des Betriebsgeländes für den 12.10.2012 erlassen.

Keine Entscheidung im Genehmigungsverfahren – Landkreis fordert immer weitere Unterlagen

Mit Schreiben vom 18.10.2012 wurden von den Schillings nun weitere Unterlagen zu neuen vermeintlichen Problemfeldern gefordert, ohne deren Beibringung das Bauordnungsamt sich nicht in der Lage sah, über den Bauantrag zu entscheiden. So wurde nun auch eine individuelle Betriebsbeschreibung für die Verarbeitung von Wurzelholz, einschließlich Art, Menge und Verarbeitung als genehmigungsrelevant erachtet. Gründe für diese vermeintliche Relevanz wurden nicht genannt. Weiterhin wird von den Schillings die Eintragung beschränkt persönlicher Dienstbarkeiten (Leitungs-, Wege-  und Zufahrtsrechte) auf dem angrenzenden derzeit gepachteten Flurstück, alternativ dazu der Nachweis über den Kauf und die Vereinigung der Flurstücke gefordert. Dieser nun Mitte Oktober geforderte Nachweis, sowie die Vorlage des Brandschutzkonzeptes zzgl. Prüfbericht sollte jedoch nach persönlicher Absprache im Bauordnungsamt von Anfang September 2012 erst nach erfolgter grundsätzlicher Zulässigkeitsprüfung des Bauantrages erfolgen. Diese war jedoch bis Oktober 2012 noch immer nicht erfolgt.

Am 23.10.2012 führte das Ehepaar mit Unterstützung ihrer 38 Mitarbeiter vor dem Landratsamt in Rathenow eine Demonstration durch, um einerseits die Öffentlichkeit zu informieren, dass ihnen seit geraumer Zeit eine Entscheidung über Ihren Bauantrag vorenthalten wird, sie laufend mit neuen Nachforderungen überzogen werden und durch die angedrohte Versiegelung des Betriebsgeländes die Arbeitsplätze ihrer Mitarbeiter akut gefährdet sind. Im Rahmen der Demonstration erklärte der anwesende Baudezernent in Anwesenheit des stellvertretenden Landrats, dass eine Erteilung der Baugenehmigung im Dezember 2012 möglich wäre, sofern alle geforderten Unterlagen vorliegen würden. 

Erst mit Schreiben vom 15.11.2012 wurden sodann jedoch weitere Nachforderungen an die Schillings gestellt. Um über den Bauantrag entscheiden zu können, wurde nun noch eine Bescheinigung des Gesundheitsamtes über die Trinkwasserqualität des zur Nutzung vorgesehenen Brunnens verlangt. Weiterhin wird den Schillings erst im November 2012 mitgeteilt, dass nach der örtlichen Satzung für den Betrieb der Schillings 60 Pkw-Stellplätze vorgesehen wären, jedoch nur 29 Stellplätze beantragt wurden. Um die ausstehenden Stellplätze abzulösen, sei ein öffentlich-rechtlicher Vertrag mit der Stadt Rathenow abzuschließen und dieser vor Erteilung der Baugenehmigung vorzulegen.

Spätestens an dieser Stelle erscheint es fraglich, ob die Praxis der nach und nach geforderten Unterlagen, deren Beibringung ganz offensichtlich eine weitere, nicht unwesentliche Verlängerung des Genehmigungsverfahrens bedeutet, noch im Verhältnis steht zum allgemein im Verwaltungsverfahren geltenden Beschleunigungsgrundsatz (§ 10 Satz 2 Verwaltungsverfahrensgesetz). Dies gilt umso mehr angesichts der hier erkennbaren Eilbedürftigkeit.

Landrat fordert kostenintensive Auflagenumsetzung vor Entscheidung über Bauantrag 

Die Eheleute Schilling und ihr Objektplaner Herr Schmidt erklärten, am 20.12.2012 alle neu geforderten Unterlagen im Bauordnungsamt abgegeben zu haben. Einzig ausstehend ist der Auszug aus dem Grundbuch zum Nachweis des erfolgten Kaufes des zuvor gepachteten angrenzenden Grundstückes.
Eine Entscheidung über den Bauantrag erfolgte trotzdem nicht.
Vielmehr teilt der Landrat in einem Pressemitteilung vom 02.01.2013 mit, dass eine Baugenehmigung aufgrund noch immer fehlender Unterlagen noch nicht erteilt werden könne. Als Vorschlag zur Lösung des Konfliktes führte er an, dass die Schillings nun – befristet – auf einem Grundstück eines anderen Unternehmens tätig werden könnten  und in dieser Zeit auf ihrem eigenen Grundstück umfangreiche Umbauarbeiten zur Minimierung der Lärm-, Staub- und Geruchsemissionen (vgl. Nebenbestimmungen des LUGV) umsetzen sollen. Wenn dies erfolgt sei, könne über die Erteilung der beantragten Baugenehmigung erneut gesprochen werden.
Neben der Tatsache, dass das Ausweichgrundstück, welches das Betriebsgelände einer Baustoffrecycling-Firma in Rathenow-Bölkersdorf ist, für den Betrieb der Schillings vollkommen ungeeignet sei, bietet dieser „Lösungsansatz“ für die Schillings keinerlei Rechtssicherheit. Die erheblichen Umbauten würden weit über 1,5 Mio. € kosten – eine Investition, die Schillings tätigen müssten, ohne eine anschließende Garantie für die Erteilung der Baugenehmigung zu erhalten. Für die Schillings ist dies daher keine Alternative zur raschen Erteilung einer Baugenehmigung. Der Landrat kündigte an, sollten die Schillings sich nicht bis zum 31.01.2013 mit dem Besitzer des Ausweichgrundstückes arrangiert haben, werde das Betriebsgelände in Rathenow / Göttlin definitiv am 01.02.2013 versiegelt.

Die Aufgabe des Landkreises, den aktuellen Zustand unter Auflösung des Problems, dass der Betrieb der Schillings mangels erteilter Baugenehmigung formal illegal betrieben wird, zu beenden, wird hier nicht erfüllt. Der Anspruch des Ehepaar Schillings auf eine rechtmäßige Entscheidung über ihren Bauantrag wird hier durch das Verhalten des Landkreises, der offenbar nicht gewillt ist, eine gerichtlich überprüfbare Entscheidung zeitnah zu treffen, missachtet. Unverständlich erscheint hier auch, dass die Behörde, die mangels vorhandener Baugenehmigung wiederholt die Versiegelung des Betriebsgeländes ankündigt, nicht diesen Zustand problemlösungsorientiert angeht, indem sie endlich über den Bauantrag entscheidet. Die umfangreiche Vorarbeit, der Formulierung nachbarschützender Auflagen für die Genehmigung, hat bereits das LUGV übernommen.

Die Schillings setzen darauf, dass der Landkreis nun kurzfristig über die Baugenehmigung entscheidet um sodann auf rechtssicherer Basis Übergangslösungen für eine Weiterführung des Betriebes bis zur Erfüllung aller Auflagen zu realisieren und damit ihre Existenz und die Arbeitsplätze ihrer 38 Angestellten retten zu können.

(Stand der Falldarstellung: 02/13)

Herr und Frau Schilling waren mit dem hier dargestellten Fall für den „Werner Bonhoff Preis wider den §§-Dschungel 2013“ nominiert.

Update: Am 28.01.2013 teilte das Ehepaar Schilling mit, dass sie – um die Fortführung ihres Betriebes und Erhaltung der Arbeitsplätze zu gewährleisten – mit dem Unternehmenssitz und der Produktion auf ein anderes Grundstück in Tangermünde in Sachsen-Anhalt ausweichen werden. Das Baugenehmigungsverfahren für den Standort Göttlin in Rathenow wird jedoch weiter betrieben und das Grundstück dort als Außenlagerplatz genutzt.

Info: Nach einem ergangenen Hinweis einer Verwaltungsmitarbeiterin aus einem anderen Bundesland, möchten wir ergänzend informieren, dass es sich ausweislich der Stellungnahme des Landsamtes für Umwelt, Gesundheit und Verbraucherschutz vom 12.09.2012 bei dem Bauvorhaben der Schillings

a) nicht um eine nach dem Bundesimmissionsschutzgesetz genehmigungsbedürftige Anlage handelt und
b) trotz der seit 2007 ständigen Betriebserweiterung kein Verstoß gegen die Festsetzungen im Bebauungsplan vom 16.11.2011 vorliegt.

Info: Die Stiftung erhielt am 19.04.2013 eine E-Mail von der Pressestelle des Landkreises Havelland, in der die Sicht der Behörde auf das Baugenehmigungsverfahren des Ehepaares Schilling mitgeteilt wurde.
Die Nominierung der Schillings für den Werner-Bonhoff- Preis 2013 sowie die Darstellung in unserer Online-Fallsammlung gab dem Landkreis nach eigenen Angaben Anlass zu reagieren.

Update: Mit Datum des 02.05.2013 hat der Landkreis Havelland nunmehr über den Bauantrag der Schillings entschieden und die Baugenehmigung erteilt.

Wir begrüßen grundsätzlich, dass die Genehmigung erteilt wurde und nun für die Schillings Rechtssicherheit schafft. Die über fünf Seiten aufgeführte Kostenberechnung für die Genehmigungserteilung erscheint der Summe nach (35.049,50 Euro) recht hoch. Möglicherweise wird darüber noch zu berichten sein.

Stand der Falldarstellung: 05/2013

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