Ina Mierig, Hamburg

Eine venezianische Gondel in hanseatischen Gewässern

Die Tätigkeit von Frau Mierig möchte man kaum als „berufliche“ bezeichnen; denn sie ist Gondoliera aus Leidenschaft und lenkt eine elegante venezianische Gondel durch die Hamburger Kanäle. Oftmals sind es besondere Anlässe wie Hochzeiten, Geburtstage oder Verlobungen, die die Arbeit immer wieder zum Erlebnis werden lassen. Weltweit gibt es nur drei Frauen, die eine über zehn Meter lange und 500 Kilo schwere Gondel steuern dürfen. Die Holzbootsbauerin hat als erste Deutsche ihren Gondel­führerschein in Venedig gemacht. Das Rudertraining, bei dem Frau Mierig lernte, den Ruderriemen der Gondel in den acht möglichen Positionen richtig zu bewegen und das asymmetrisch gebaute Boot vorwärts, rückwärts und seitwärts einzuparken, dauerte zweiein­halb Monate. 

Als Frau Mierig mit einer aus Venedig importierten Gondel im Jahre 1999 das erste Mal in Hamburg zu Wasser ging, erhob die Alsterwasser­aufsicht Einwände gegen das „nicht der typisch hanseatischen Kulturtradition“ entsprechende Gefährt. Die Gondel würde nicht zum Stadtbild passen und auch sonst bestünde die Gefahr, dass es durch ihr Auftreten unter Brücken zu Unfällen kommt. Das Anlegen an öffentlichen Stegen und an den Haltestellen der Alsterdampfer sowie ein Liegeplatz auf der Alster wurden ihr lange Zeit versagt. Fehlende Ein- und Ausstiegs­möglichkeiten für die Gäste in der Nähe von Sehenswürdigkeiten machten den kommerziellen Betrieb der Gondel jedoch unmöglich.

Außerdem verlangten die Behörden von Frau Mierig den Nachweis des Erwerbs des kleinen Hafenpatents, einer Art Boots-TÜV, und eines Personenbe­förderungs­­scheins; nach Aussage von Frau Mierig gibt es aber so etwas wie einen deutschen Gondelführerschein nicht. Sie wurde auch aufgefordert, auf dem Boot zwei Toiletten für ihre Kunden einzubauen.

Ein Jahr zuvor hatte die Alsterwasseraufsicht noch gemeint, Frau Mierig könne die Gondel an einem Platz liegen lassen, wenn sie diesbezüglich mit dem Stegeigentümer zur Einigung kommt. Der Vorgang wäre dann lediglich meldepflichtig. Um einen Liegeplatz zu erwerben und eine Insassenunfallversicherung für die Gäste abschließen zu können, gründete Frau Mierig schließlich den La Gondola Verein.

Ein Gespräch mit dem Hafenmeister brachte zwischenzeitlich die Wende; das Verbot des Befahrens der Alster wurde aufgehoben. Ein- und Aussteigen konnte man während der Fahrt an interessanten Plätzen aber immer noch nicht. Zu dem Zeitpunkt bat Frau Mierig ihre Gäste, bei der Geschäftsführung der Alstertouristik immer anzufragen, wann Stege zu besonderen Anlässen angefahren und betreten werden könnten. Inzwischen darf sie dank der Erlaubnis des Hafenkapitäns die Dampferanlegestellen benutzen. –

Hamburg – die Stadt, die sich wegen ihrer vielen (zweitausendfünfhundert) Brücken und Kanäle gerne als das Venedig des Nordens präsentiert – ist offen für Touristenattraktionen wie die amerikanischen Mississippidampfer und Kajaks. Eine original italienische Gondel, deren Entstehungsgeschichte in den Kulturwissenschaften nachvollzogen werden kann und die in Venedig als Verkehrsmittel alltäglich zum Einsatz kommt, ist den Behörden an der Alster seit 1999 ein innovatives Dorn im Auge.

Stand der Falldarstellung: 03/2008

 

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